In den Zelten

Die Straße In den Zelten war nicht einmal fünf­hun­dert Meter lang, nur drei­und­zwan­zig Häuser stan­den rechts und links. Wo sie anfängt, beim Kurfürs­ten­platz (heute Zelten­platz), hat fast ein halbes Jahr­hun­dert lang Bettina von Arnim gewohnt, Goethes Freun­din. Dort, In den Zelten Nr. 5, entstand der “Brief­wech­sel mit einem Kinde”. Hier hat Bettina aber auch eines der aufrüh­re­rischs­ten Bücher geschrie­ben, das viel­leicht gerade wegen seines unbe­que­men Mahnens so schnell verges­sen wurde. Es war dem König gewid­met, sein Titel lautete ganz heraus­for­dernd “Dies Buch gehört dem König”. Aber auch Fried­rich Wilhelm IV. hat das 1843 erschie­nene Buch mit all den Ankla­gen Betti­nas nicht für wich­tig gehal­ten…

Genau fünf Jahre später, 1848, schrien ihm die Revo­lu­tio­näre die Anklage entge­gen. Die Schreie kamen auch von den Zelten her, dort hatten sich Berlins Bürger versam­melt, um vom König ein Parla­ment und demo­kra­ti­sche Frei­heit zu fordern.

Das Haus Nr. 5 steht nicht mehr. Es ist hübsch, dass am ande­ren Ende der klei­nen Straße die Kongress­halle (heute Haus der Kultu­ren der Welt) errich­tet wurde, die dem Gedan­ken der Frei­heit eine Heim­statt sein will. Auch wenn die Herren Stadt­pla­ner wohl kaum daran gedacht haben, freut man sich darüber, dass sie den neuen Bau gerade in die Nach­bar­schaft eines Hauses stell­ten, das auf seine Art eine Heim­statt von Frei­heit und Menschen­recht gewe­sen ist.

Die Kongress­halle wurde in der Straße “In den Zelten” errich­tet und genau dort, wo von Fried­rich II. bis zu Wilhelms II. die Gegend sehr leben­dig war. Das Haus der Kultu­ren der Welt steht gerade dort, wo auch nach 1918 und bis zum Bomben­ha­gel ein “Quar­tier der vorneh­men Lebens­freude” war, wie Gerhart Haupt­mann sagte.

Eigent­lich, besucht man dieses Kultur­haus, sollte man sich noch einer zwei­ten Frau erin­nern, die In den Zelten zu Hause und – ehe sie 1882 die präch­tige Villa Nr. 21 bezog – eines welt­be­rühm­ten Mannes Freun­din gewe­sen ist. Mathilde Wesen­donck hat beinahe zwan­zig Jahre hier gewohnt, inmit­ten der kost­ba­ren Bilder­samm­lung, die ihr Mann geschaf­fen hatte, inmit­ten der Erin­ne­run­gen, die sie mit Richard Wagner verban­den, mit der Oper “Tris­tan und Isolde”, deren Entste­hen ohne Mathilde Wesen­donck nicht zu denken ist.

Die Straße “In den Zelten” hat ihre Geschichte. Wenn wir das Haus der Kultu­ren der Welt sehen, denkt kaum jemand mehr daran, dass schon der Alte Fritz hier prome­nierte, dass schon vor mehr als 250 Jahren vergnügte Berli­ner zu den “Zelten” streb­ten. An den Wochen­ende über 10.000 gleich­zei­tig.

Ich habe sogar den Verdacht, dass selbst alte und sogar uralte Berli­ner verges­sen haben, was noch sehr viel älter ist, als eben der älteste Berli­ner. Oder ist die Redens­art doch noch bekannt, die den Berli­ner “bis in de Puppen” laufen lässt, wenn ihn in weiter Ferne ein Vergnü­gen lockt? Die “Puppen” waren ja hübsche Marmor­fi­gu­ren, Baumeis­ter Wenzel von Knobels­dorff hatte sie im Tier­gar­ten aufstel­len lassen, als er nach 1740 das von Wild­gat­tern umge­bene Jagd­re­vier der Kurfürs­ten und Könige in einen park­ar­ti­gen Tier­gar­ten umge­stal­tete. Aber wegen Knobels­dorffs Puppen lief kein Mensch in die Puppen. Inter­es­san­ter war, was rech­ter Hand an der Spree lag: Eben die rich­ti­gen, echten Zelte aus geteer­ter Lein­wand, die vor Regen und Sonne schütz­ten, in denen dienst­eif­rige Wirte köst­li­ches Bier, duften­den “Coffee”, Kuchen, natür­lich auch Wein und Likör und Braten und Suppe bereit hiel­ten.  Nur die Bulette gab es nicht, auch das Kasse­ler fehlte, die Spei­se­karte verzeich­nete auch keine Wiener Würst­chen – diese drei Spezia­li­tä­ten wurden zwar in Berlin erfun­den, aber erst später, im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert. Die ersten Zelte aber geneh­migte Fried­rich II. schon 1745. Zum Vergnü­gen seiner Berli­ner, die dann in großen Scha­ren auch herbei kamen.

Was es aber schon 1745 gab, war “Sieke”, mit welchem etwas schnodd­ri­gen Ausdruck bezeich­net wurde, was feier­lich sonst Musik heißt. Es gab reich­lich Sieke, jedes der Zelte hatte seine Kapelle, und im Zelt 1, das einem frühe­ren Seiden­we­ber namens Mour­rier gehörte, spielte sogar eine Mili­tär­ka­pelle.

Sehr viel los war damals nicht in des Königs Resi­denz­stadt. Sie zählte knapp hundert­tau­send Einwoh­ner, um die Wilhelm­straße herum war sie zu Ende. Und die Zelten lagen eben “jott­we­deh”, janz weit drau­ßen. Für Vatern und Muttern war’s ein langer Weg, weil die Jören doch nicht so schnell laufen konn­ten. Vater schwitzte auch sehr in dem “Jips­ver­band”, der weißen Weste, die er als feiner Mann trug. Mutter tat sich schwer mit dem “Fress­ko­ber”, dem Spei­se­korb, den sie mitschleppte, weil sie den Wirten der Zelte den Verdienst nicht gönnte.

Auch das Schild “Hier können Fami­lien Kaffee kochen” hing in den Zelten. Nicht gerade in Zelt I, auch nicht in Zelt II, auch nicht in Zelt III. Denn die Zelte “In den Zelten” waren numme­riert. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Zelte es gab? Über­schät­zen Sie die berühm­ten Zelte nicht! Die Straße In den Zelten war ja eine kleine Straße. Der Alte Fritz – 1745 war er eigent­lich noch ein sehr junger Fritz – hatte nur vier Wirten erlaubt, hier Getränke und Spei­sen feil­zu­hal­ten. Und als die Bomben fast genau zwei­hun­dert Jahre später herun­ter­fie­len, gab es noch immer nur diese “vier histo­ri­schen Zelte” in der Straße In den Zelten. Und nur ein fünf­tes, das sich “Neues Zelt” nannte, und trotz­dem gar kein “Zelt” mehr war.
Denn die “Zelten” hatten zwar die Zeiten über­dau­ert, aber sie waren lang­sam hölzer­nen Buden gewi­chen. An Stelle der Bret­ter­bu­den ließen die Gast­wirte stei­nerne Häuser errich­ten. Kurz und gut, die Gegend war fein gewor­den. Die Gewer­be­frei­heit nach 1848 tat ein Übri­ges: Aber mehr als sieben “Zelte” aus märki­schen Back­stei­nen hat es nie gege­ben, und nur eben vier durf­ten die ehrende Bezeich­nung “histo­risch” führen.

Als Fried­rich der Große die Zelte geneh­migte, hatte er eine gran­diose Planung städ­te­bau­li­cher Art bedacht. Der Tier­gar­ten sollte, so war seine Absicht, ein Park inner­halb der Stadt werden. Bis zum Bran­den­bur­ger Tor, meinte er, werden die Wohn­häu­ser der Resi­denz gebaut werden – am Nord­rand des neuen Tier­gar­tens müsste ein “länd­li­ches” Berlin, eine Erho­lungs­stätte entste­hen. Fride­ri­cus Rex sah die Einheit voraus, in welcher die “Zelten” städ­te­bau­lich so gut einbe­zo­gen waren wie die Vorstädte beim Halle­schen Tor oder am Alex­an­der­platz.

Wenn der Hofrat Krem­ser für die Fahrt vom Bran­den­bur­ger Tor in die Zelten damals 50 Pfen­nig in seinem “Krem­ser” kassie­ren ließ, war ande­res ja sehr viel billi­ger. Ein lecke­res Kalbs­schnit­zel kostete im Zelt II genau vier­zig Pfen­nig, und für einen ganzen Liter edlen Burgun­ders nahm der “Zelter” von Zelt I nicht mehr als 50 Cent jetzi­gen Wertes. Wir wollen nicht neidisch sein. Heute ist das alles sehr, sehr viel teurer. Aber der Stun­den­lohn für einen Hand­wer­ker, der um das Jahr 1745 nur 10 und 1860 nur 24 Pfen­nig betra­gen hat, liegt heute doch auch um eini­ges höher.

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Will ich eine Demokratie?

Demo­kra­tie = gut? Bin ich ein Demo­krat? Und was genau ist denn Demo­kra­tie? Wiki­pe­dia defi­niert das so: „Demo­kra­tie bezeich­net Herr­schafts­for­men, poli­ti­sche Ordnun­gen oder poli­ti­sche Systeme, in denen Macht und Regie­rung vom Volk ausge­hen, indem dieses […]

15 Kommentare

  1. Sehr informativ.Wurde dort 1941 geboren.Leider wird das Haus Nr.8 nirgendwo erwähnt.Bisher auch keine Fotos gefun­den.
    Eini­ges aus der Histo­rie des Tier­gar­tens habe ich aus verschie­de­nen ande­ren Quel­len für meine Kind­heits­er­in­ne­run­gen verwen­den können.
    Nach Ende des 2.Weltkrieges war dort alles platt mit Sicht zum Reichs­tags­ge­bäude.

    • Lieber Herr Hübner,
      die Fami­lie meines Vaters wohnte In den Zelten. Sie müssen da Mitte der 20er hinge­zo­gen sein. Ich würde so gerne mal Bilder von der Straße vor der zerstö­rung sehen. Gibt es sowas?

      • Habe gerade meine Oma in den Zelten 20 im Berli­ner Adress­buch 1940 gefunden..Grete Driese Pensi­ons­in­ha­be­rin NW 40 In den Zelten 20.. In alten Berlin Chro­ni­ken oder Büchern findet man auch noch einige Hinweise..

      • Leider nein, es gibt zu wenig Fotos,nur Einzel­an­sich­ten.
        So z.B. das Insti­tut für Sexu­al­wis­sen­schaf­ten von Dr. Hirsch­feldt.
        Ich suche weiter.

      • Ergän­zung:
        Aus den Adress­bü­chern entnehme ich, dass sie 1928 da hinge­zo­gen sind.
        In den Zelten Nr 23.
        Die BZ erwähnt den Salon von Feli­cie Bern­stein, der in diesem Haus statt­fand.
        http://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/so-glanzvoll-war-das-alte-tiergartenviertel
        Wiki­pe­dia sagt über die Bern­steins:
        “Später zogen sie in die so genannte „Präsi­den­ten­woh­nung“ in der Straße In den Zelten 23. Diese reprä­sen­ta­tive Wohnung war als Speku­la­ti­ons­ob­jekt gebaut worden. Die zur Vermie­tung an den Reichs­tags­prä­si­den­ten vorge­se­hene Wohnung wurde von diesem jedoch nicht ange­mie­tet und diente so den Bern­steins als vornehme Adresse.”

    • Ihr Hinweis auf die Nr.8 könnte uns weiter­hel­fen. Mein Mann ist 1940 In den Zelten in einer geburts­hilf­li­chen Klinik gebo­ren. Leider haben wir den Namen dieser Klinik nie in Erfah­rung brin­gen können. Es könnte eine Dépen­dance des Moabi­ter Kran­ken­hau­ses gewe­sen sein oder des RVK, dazu habe ich aber nichts gefun­den. Aller­dings sprach meine Schwie­ger­mut­ter von einer Privat­kli­nik, womit sie vermut­lich einen priva­ten Träger gemeint hat, nicht eine Klinik für Privat­zah­ler.

      • Hallo Frau Stein,
        bin auch­Jahr­gang 1940 und dort gebo­ren — nach Erzäh­lung meiner Mutter war dies eine Privat-Klinik…ich habe mir vor eini­gen Jahren ein Foto über das Landes­ar­chiv Berlin besorgt. Bei Inter­esse kann ich es Ihnen per Email kopie­ren.
        mfG Uwe Heim

    • Hallo Herr Hübner — bin 1940 dort zur Welt gekom­men und hatte mir im Archiv ein Foto von Haus Nr.8 besorgt.…bei Inter­esse schi­cke ich es gern per email zu. mfG Uwe Heim

      • Besten Dank!Das ist ja eine Überraschung,habe das Foto erst kürz­lich entdeckt.
        Privat­kli­nik kann stimmen,mein Groß­va­ter war Oberpostinspektor,der hat da sicher­lich was Gutes tun wollen.Vater war schon an der Russ.Front.
        Alles Gute!
        H.Hübner

      • bin erfreut über diese Infor­ma­tio­nen hier. Im Novem­ber 1941 wurde ich hier in den Zelten 8 gebo­ren.
        Könn­ten Sie mir auch das Foto per E‑Mail schi­cken?
        Ein Foto aus einem alten Stadt­plan hätte ich auch noch, lässt sich hier aber nicht einfü­gen.
        Die Stelle der dama­li­gen Straße “In den Zelten” ist heute im Tier­gar­ten der “Zelten­platz”!
        mfG Olaf Mât

  2. Hallo Herr Heim
    Bin auch dort 1940 auf die Welt gekom­men und hätte gerne mehr über das Haus — meine Mutter sprach von einer Privat­kli­nik — gewusst, in der ich meine ersten Atem­züge tat. Könn­ten Sie mir auch das Foto per email schi­cken?
    mfG Heide­ma­rie Moll

  3. In den Zelten 9a, in einem Garten­zim­mer, verbrachte Walter Benja­min im Früh­jahr 1928 einige glück­li­che Monate.

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