Sind Würfelfunker schlechtere Menschen?

Taxi­halte Bahn­hof Lich­ten­berg, hier stehe ich selten, aber gestern Abend war ausnahms­weise mal kein ande­rer Wagen dort. Ich also rauf auf die Halte und bald füllte sich der Platz hinter mir wieder. Die meis­ten Kolle­gen stan­den drau­ßen zusam­men, der Halte­platz hier ist das Haupt­quar­tier einer Taxler-Clique, “fremde” Fahrer werden schief ange­kuckt, ähnlich wie am Bahn­hof Pankow.
Keine zehn Minu­ten später fragt die Zentrale: “Steht denn jemand am Bahn­hof Lich­ten­berg?”. Ich melde mich und werde ans andere Ende der Weit­ling­s­traße geschickt. Dort wartet schon ein junges Pärchen, das strei­tend einsteigt und nach Mitte will. Im Auto geht das gegen­sei­tige Ankei­fen weiter, doch dann bemerkt der Mann: “Endlich mal ein deut­scher Fahrer!” Bevor ich antwor­ten kann, sind die beiden plötz­lich ein Herz und eine Seele, gemein­sam schimp­fen sie über die auslän­di­schen Taxi­fah­rer. Und über den Würfel­funk, der ja so unzu­ver­läs­sig sei, lauter Türken und Penner, dreckige Autos, die Fahrer hätten außer­dem alle keine Ahnung usw. Entwe­der habe ich die falschen Kunden mitge­nom­men oder die Herr­schaf­ten haben sich beim Anru­fen in der Funk­ge­sell­schaft geirrt. Ich sagte jeden­falls nichts, grinste erst­mal still in mich hinein. Dann ging ich aber doch darauf ein, beschwich­tigte, dass doch nicht alle Fahrer gleich wären, egal welcher Funk usw. Aber sie bestan­den darauf, niemals ein Würfel-Taxi bestel­len zu wollen.
Als wir schon die Hälfte der Stre­cke hinter uns hatten, fiel der Dame das gelbe Würfel-Emblem auf, das auf meiner Scheibe klebt. Im Rück­spie­gel konnte ich sehen, wie sie ihren Freund anstieß und ihn darauf aufmerk­sam machte. In die Stille hinein fragte ich, ob ich viel­leicht Musik anma­chen sollte. Der Mann wollte irgend­was sagen, stot­terte aber nur und die Frau über­nahm das Reden. Ob denn der Würfel an der Scheibe zufäl­lig bedeu­ten würde, dass dies ein Taxi vom Würfel­funk wäre und im glei­chen Atem­zug versi­cherte sie mir, dass ich ja deshalb kein schlech­te­rer Mensch sei. Bei soviel Nach­sicht musste ich dann doch lachen und antwor­tete nur: “Wer weiß…”

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