Prenzlauer Bett

Hundert Jahre lang war der Prenz­lauer Berg ein Arbei­ter­be­zirk. Genau wie nebenan im Wedding gab es hier zahl­rei­che Miets­ka­ser­nen, manche quer durch den Block. Als die DDR-Führung 1970 beschloss, inner­halb von 20 Jahren jedem Bürger eine Neubau­woh­nung zu schaf­fen, war das Schick­sal der vielen Grün­der­zeit­bau­ten zwischen Schön­hau­ser Allee und Greifs­wal­der Straße eigent­lich besie­gelt. Doch glück­li­cher­weise fehlte das Geld für den flächen­de­cken­den Abriss, und in den 80ern besann man sich sogar und rekon­stru­ierte eine (!) Straße, die Huse­mann. Um den Rest der Entwick­lung kümmerte sich dann die Geschichte. Viele Künst­ler, Studen­ten, unan­ge­passte Jugend­li­che zogen in die teil­weise unbe­wohn­ba­ren Häuser und rich­te­ten sie wieder her.
Nach der Wende öffne­ten sie Knei­pen, Cafés, Gale­rien, die Alter­na­tiv­kul­tur wurde in den neuen Staat mit hinüber geret­tet. Das zog bald andere Menschen an, nach zehn Jahren auch soge­nannte “Besser­ver­die­nende”, die in einer unfer­ti­gen Gegend leben woll­ten, auf der Suche nach dem Charme der Bronx oder wenigs­tens von Kreuz­berg.
Immer mehr Menschen mit Kohle zogen in den Prenz­l­berg, die Häuser wurden luxus­sa­niert, die Autos auf den Stra­ßen kamen ins abfa­ckel­wür­dige Preis­sig­ment, aus dem Arbei­ter­be­zirk wurde eine “bessere Gegend”. Durch die Miet­stei­ge­run­gen muss­ten viele der alten Mieter ihre Wohnun­gen verlas­sen. Doch trotz des massi­ven Bevöl­ke­rungs­wan­del gab es noch immer auch die Ande­ren, die Alter­na­ti­ven mit ihren Knei­pen und Clubs. Nicht mehr ille­gal in den Höfen, sondern durch­aus schon mit Miet­ver­trag und regel­mä­ßi­ger Kontrolle vom Wirt­schafts­amt.

Nach all den Wegzü­gen aus der alten Bevöl­ke­rung, nach den Wucher­prei­sen für Gewer­be­mie­ten, die zahl­rei­che Knei­pen zum Aufge­ben zwang, kommt nun die nächste Stufe der Vertrei­bung. Dies­mal sind es dieje­ni­gen, die neu in den Prenz­lauer Berg ziehen, die für die Schlie­ßung von Kultur­ein­rich­tun­gen sorgen. Zuerst ziehen sie in eine der schick sanier­ten Wohnun­gen oder neu errich­te­ten Häuser, dann beschwe­ren sie sich darüber, dass es dort zu laut ist. Sie verkla­gen die Clubs, die es dort teil­weise seit Jahr­zehn­ten gibt und provo­zie­ren damit deren Schlie­ßung. Warum aber ziehen sie in eine Gegend, in denen es Musik­kul­tur, unter ande­rem auch Live-Musik, gibt? Na klar, sie finden es schick. Sie möch­ten ihren Verwand­ten in Schwa­ben oder Dahlem schrei­ben, dass sie in einer total hippen Gegend wohnen, in der echt merk­wür­dige Leute rumlau­fen. Aber in Wirk­lich­keit wollen sie mit den Menschen dort gar nichts zu tun haben. Sie verschan­zen sich in ihren fußbo­den­be­heiz­ten Lofts und rufen sofort die Poli­zei, sowie sie ein Geräusch von gegen­über hören. Auf diese Art haben sie es bereits geschafft, den Magnet-Club aus der Greifs­wal­der Straße zu vertrei­ben. Und die nächs­ten Opfer dieser Dorf­na­sen stehen schon fest. Der Knaack-Klub am Königs­tor entstand schon vor über 50 Jahren und ist seit der Wende ein wich­ti­ger Ort für Live­mu­sik und Disco-Events auf mehre­ren Etagen. Die Macher haben durch Umbau­maß­nah­men eine Lärm­re­du­zie­rung erreicht, trotz­dem wurde ihnen unter­sagt, nach 22 Uhr in norma­ler Konzert­laut­stärke spie­len zu lassen. Viel­leicht erwar­ten die Neu-Anwoh­ner und der Bezirk ja, dass Bands wie Ramm­stein künf­tig nur noch a cappella spie­len. Damit wird das Knaack nun in den Ruin getrie­ben. Oder in eine andere Gegend. Denn wie schon der Magnet-Club über­le­gen die Knaack-Leute nun eben­falls, nach Kreuz­berg umzu­zie­hen.

Das Icon in der Canti­an­straße dage­gen wird wohl komplett dicht machen. Hier hat das bezirk­li­che Bauamt wegen der Beschwerde eines Neube­woh­ners die Schlie­ßung für Ende des Jahres verfügt. Dabei ist es nicht mal der Club selber, der den angeb­li­chen Lärm produ­ziert, sondern die davor warten­den Besu­cher. Eine Geräusch­mes­sung hielt das zustän­dige Amt für über­flüs­sig, was es aber nicht von der Behaup­tung abhielt, die Besu­cher würden eine Laut­stärke von einer Inten­si­tät produ­zie­ren, dass gesunde Wohn­ver­hält­nisse nicht mehr einge­hal­ten werden könn­ten. Das Amt drohte dem Betrei­ber sogar mit einer sofor­ti­gen Schlie­ßung. Die nicht erfolgte Lärm­mes­sung brau­che außer­dem nicht zu erfol­gen, da das Icon ja in einem Wohn­ge­biet liege, die Nutzung als Vergnü­gungs­stätte sei daher sowieso unzu­läs­sig.
Diese Argu­men­ta­tion ist natür­lich Blöd­sinn. Das Icon gegen­über des Sport­parks an der  Max-Schme­ling-Halle liegt zwischen zahl­rei­chen Bars, eine leise Gegend ist das seit 20 Jahren nicht mehr.

Aber offen­sicht­lich gefällt sich der Bezirk darin, seinen neuen Bewoh­nern als willige Helfer anzu­bie­dern, ähnlich wie in Mitte. Hoch­prei­sige Gastro­no­mie bringt ja letzt­lich auch mehr Geld in die Kassen, als Club­kul­tur oder Rock­kon­zerte. Und der gemeine Schwabe freut sich, dass  der Prenz­lauer Berg seiner Heimat wieder etwas ähnli­cher wird. In der verschnarch­ten Reut­lin­ger Fußgän­ger­zone gibt es schließ­lich auch keine drecki­gen Keller­dis­cos.

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Wer regel­mä­ßig das Inter­net nutzt, zudem zur Recher­che von Infor­ma­tio­nen, kommt an Wiki­pe­dia nicht vorbei. Dieses Projekt ist eine Online-Enzy­k­lo­­pä­­die, die frei verfüg­bar ist und an der jeder mitar­bei­ten kann. Durch diese Offen­heit wurde sie […]

4 Kommentare

  1. Teil 2 deiner Reihe über die Verdrän­gungs­pro­zesse der Alter­na­tiv-Kultur. Und leider ist kein Ende dieser Serie abzu­se­hen. Wenn es so weiter­geht, haben wir hier tatsäch­lich bald schwä­bi­sche Verhält­nisse.

  2. D’accord, nur in Kreuz­berg lief es z.T. etwas anders. Die Haus­be­set­zer (inzwi­schen zu Geld gekom­men) kauf­ten die besetz­ten Häuser für ein Appel und ein Ei in den 80-ern, sanier­ten sie auch mit Förder­mit­teln und priva­ti­sier­ten sie anschlie­ßend, so dass den “Ur”-Bewohnern auch nichts ande­res blieb als wegzu­zie­hen. Die jetzige Entwick­lung im Pren­zel­berg wird vom Rot-Roten Senat und dem gleich­far­bi­gen Bezirk offen­bar mit Wohl­wol­len beglei­tet. Als nächs­tes ist der Fried­richs­hain dran. Dort stei­gen im Moment die Mieten ganz flei­ßig.

  3. das liegt wohl zum einen daran, dass ein Groß­teil der “zivi­li­sier­ten” Bevöl­ke­rung einfach dumm, engstir­nig, kurz­sich­tig und egozen­trisch ist. Sie ziehen zum Beispiel dort­hin wo es zur Zeit hip ist und fangen exakt im glei­chen Atem­zug damit an genau DAS weswe­gen sie dort hin gezo­gen sind zu zerstö­ren, was zur Folge hat, dass diese Gegend dann irgend­wann nicht mehr hip ist. Heuschre­cken­gleich zieht die privi­li­gierte Horde dann weiter um den nächs­ten Stadt­teil oder Stadt platt zu machen und hinter­lässt eine kultu­relle und nach­bar­schaft­li­che Wüste. Das ist aber mehr oder weni­ger schon immer so gewe­sen. Was mich dabei wundert ist, dass die alt einge­ses­se­nen Bewoh­ner und Nutzer so wenig Wieder­stand leis­ten bzw. bei ihrem Wieder­stand so wenig Unter­stüt­zung erfah­ren. Ist dafür zu wenig Inter­esse in der Bevöl­ke­rung vorhan­den ? Werden die Betrof­fe­nen mund­tod gemacht oder gar besto­chen mit größe­ren Geld­sum­men damit sie wegzie­hen ? (Wer sich bestechen läßt, darf sich dann später aber auch nicht beschwe­ren) Warum schaf­fen es die alt Einge­ses­se­nen nicht eine größere Lobby für sich aufzu­bauen??
    Ein zwei­ter Punkt ist natür­lich die idio­ti­sche 22.00 Uhr Rege­lung für Restau­rant-Terras­sen, Stra­ßen­ca­fes, Knei­pen, und Veran­stal­tungs­orte. Das scheint mir typisch deut­sche Menta­li­tät zu sein. In südeu­ro­päi­schen Länder wie z. B. Spanien, Italien, Grichen­land fangen die meis­ten Veran­stal­tun­gen, das Restau­rant- oder Knei­pen­le­ben vor 22.00 Uhr garnicht erst an. (Wie das in Nord­eu­ro­päi­schen Länder ist weiß ich nicht)

  4. Schön finde ich das auch nicht, aber was bringt das Meckern. Die Welt verän­dert sich eben. In 10 Jahren teilen sich Prenz­lauer Berg, Kreuz­berg und Fried­richs­hain das Schick­sal Mittes. Dafür nehmen dann Neukölln und der Wedding ihren Platz ein. Gentri­fi­zie­rung lässt sich nicht aufhal­ten. Krampf­haf­tes fest­hal­ten des Alten ist doch auch nicht rich­tig.

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