Denk mal

Berlin ist nicht gerade arm an Denk­mä­lern. Am Großen Stern im Tier­gar­ten steht beson­ders prot­zig der Eiserne Kanz­ler Bismarck, am Olym­pia­sta­dion werden die stol­zen Recken des groß­deut­schen Reichs­sports in Stein geehrt, und dann gibt es noch viele kleine, kaum erkenn­bare, Erin­ne­rungs­fi­gu­ren. Wer weiß zum Beispiel, dass die Gänse an der Putlitz­brü­cke in Moabit an ein altes Adels­ge­schlecht im Norden Bran­den­burgs erin­nern? (Dank an Vilmosk­örte für den Hinweis!)

Jahr­hun­der­te­lang dien­ten die Denk­mä­ler dazu, die Gezeig­ten zu ehren. Wirk­lich nach­den­ken sollte man nicht, wenn man vor ihnen stand, sonst hätten sie anders gestal­tet werden müssen — viel­leicht mit Toten­schä­deln zu Füßen eini­ger Gene­räle.
Erst seit eini­gen Jahr­zehn­ten sollen Denk­mä­ler wirk­lich zu eige­nen Gedan­ken anre­gen. Die Spie­gel­wand auf dem Hermann-Ehlers-Platz in Steglitz ist ein Beispiel dafür und auch der stili­sierte Vieh­wag­gon, der an Stelle der eins­ti­gen Moabi­ter Synagoge in der Levet­zow­straße an die Depor­ta­tio­nen erin­nert.

Es war ein großer Schritt hin zu diesem Wandel. Statt vermeind­lich verdiente Poli­ti­ker, Mili­ta­ris­ten oder andere “Helden” zu ehren, wird an die düste­ren Zeiten unse­res Landes erin­nert und an ihre Opfer. 2005 entstand eine neue Form des Denk­mals, das Mahn­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas. Neu ist dabei nicht nur seine Größe, sondern vor allem, dass es erleb­bar ist. Man schaut es sich nicht einfach an, obwohl selbst das schon seine Wirkung hat. Von außen sehen die Stelen wie hunderte von Särgen aus, dabei beka­men die wenigs­ten Holo­caust-Opfer über­haupt ein Grab.
Rich­tig “funk­tio­nie­ren” tut das Mahn­mal jedoch erst, wenn man es betritt. Egal von welcher Seite man in das Stelen­feld geht, zuerst hat man noch den Über­blick. Doch je tiefer man hinein geht, umso höher wach­sen die Wände um einen herum, bis sie irgend­wann doppelt so groß sind, wie man selbst. Gleich­zei­tig ist der Boden nicht mehr gerade, sondern schräg und uneben. Das Mahn­mal symbo­li­siert so den Leidens­weg der Juden während der NS-Zeit, dass nichts mehr sicher war und die Bedro­hung immer mehr wuchs. Nur wer sich auf dieses Erleb­nis einlässt, kann begrei­fen, wie das Holo­caust-Denk­mals funk­tio­niert.

Auch das nun beschlos­sene, neue Frei­heits- und Einheits­denk­mal ist ein “Mitmach-Ort”. Nach hunder­ten Vorschlä­gen gewann im zwei­ten Anlauf eine gebo­gene, etwa 40 Meter lange Schale den Wett­be­werb. Innen und außen werden Paro­len aus der Wende­zeit ange­bracht, so erin­nert es an die Revo­lu­tion der DDR-Bürger 1989/90.
Die Schale ist aber auch begeh­bar. Und wenn sich mindes­tens 50 Perso­nen finden, die sich auf das glei­che Ende stel­len, neigt sie sich in diese Rich­tung. Damit symbo­li­siert sie eine Grund­weis­heit der Gesell­schaft: Zusam­men sind wir stark, zusam­men kann man etwas errei­chen. Erst als die Menschen zu Tausen­den protes­tier­ten, begann das Regime zu wanken. “Bürger in Bewe­gung” nennen es Sasha Waltz und Johan­nes Milla, die das Denk­mal entwor­fen haben.
Es war eine geniale Idee, das Frei­heits- und Einheits­denk­mal so zu konzi­pie­ren, auch wenn es eher auf den Wider­stand anspielt, als auf die Wieder­ver­ei­ni­gung, die über­haupt nicht das Ziel der Oppo­si­tion war.

Dass das begeh­bare Denk­mal auf dem Sockel des eins­ti­gen monu­men­ta­len Natio­nal­denk­mals für Kaiser Wilhelm I. entsteht, ist ein schö­ner Neben­ef­fekt. Von der Vereh­rung des deut­schen Monar­chen hin zum moder­nen Denk­mal.

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2 Kommentare

  1. Es ist ein schö­ner Gedanke. Aber leider wird es aus Sicher­heits­grün­den nicht funk­tio­nie­ren. Es sind schon unge­fähr­li­chere Kunst­werke vom Ordnungs­amt oder der Bauauf­sicht verhin­dert worden.

    Wenn dieses Denk­mal aber doch wie entwor­fen reali­siert werden sollte, wird es spätes­tens, nach­dem das erste Kanin­chen platt­ge­schau­kelt ist, geschlos­sen und fest­ge­schraubt werden.

  2. Ich muss Hanno da zustim­men. Ich denke auch das es da bei tausen­den von Verord­nun­gen irgendwo eine gibt, die dage­gen spre­chen wird.

    Mir stellt sich aber eine ganz andere Frage. Brau­chen wir das über­haupt? Haben wir nicht wich­ti­gere Sachen in die wir Geld inves­tie­ren soll­ten?
    Zumal Berlin, soweit mir bekannt, doch immer noch mit ein paar Euro in der Kreide steht. Oder?

    Gruß aus Fran­ken

    Ortwin

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