Er ist zurück!

Es kommt vor, dass bei Konfe­ren­zen der Veran­stal­ter gleich ein ganzes Hotel für seine Gäste bucht. Oft ist es das Inter­conti, vor dem dann die Busse im Minu­ten­takt abfah­ren, zum Verdruss der Taxi­fah­rer die selten was vom Kuchen abkrie­gen.
Leider wohnen die Teil­neh­mer manch­mal auch im Ritz Carl­ton, und wenn dort auch nur ein einzi­ger Bus steht, wird es eng. Gestern Abend waren es aber stän­dig zwei bis drei, so dass irgend­wann gar nichts mehr ging. In dieser Situa­tion stieg ein Pärchen bei mir ein, die sich (nach eige­ner Aussage!) “zu fein” waren, um mit dem Bus zu fahren. Sie woll­ten eben­falls zu der Veran­stal­tung in Fried­richs­hain. Der Mann saß vorn, die Dame hinter ihm.
“Wie lange wird es dauern?”
“Etwa 10 Minu­ten, aber erst­mal muss ich uns hier heraus manö­vrie­ren.”
“Dann mach mal schnell, wir haben es nämlich eilig.”
Es gibt durch­aus Fahr­gäste, von denen ich mich duzen lasse. Der arro­gante Schnö­sel gehörte aber nicht dazu.
“Kennen wir uns?”, fragte ich deshalb, “ich wusste nicht, dass wir per Du sind.”
Er lachte, aber ich hatte den Eindruck, dass es ihm seiner Beglei­tung gegen­über unan­ge­nehm war. Meinen Hinweis, dass er sich vorn anschnal­len soll, igno­rierte er.

Ich musste durch zwei Busse hindurch, zwischen denen nur gefühlte einein­halb Meter Platz war. Trotz­dem schaffte ich es, aber die Reak­tion des Typen war: “Hoffent­lich kommen wir heute noch an.” Gerade als ich auf die Kreu­zung fuhr, setzte sich ein Radfah­rer direkt vors Auto, so dass ich eine Voll­brem­sung machen musste. Der unan­ge­schnallte Mann neben mir flog nach vorn, der Kopf gegen die Decke. “Was soll das?”, brüllte er und von hinten meldete sich seine Dame: “Sie sind aber gemein!”
Chole­ri­kern begeg­net man am besten ganz ruhig und mit einem feinen Lächeln. Das regt sie noch mehr auf. Also sagte ich ganz sach­lich: “Bitte schnal­len Sie sich an.”
Ich rech­nete schon damit, dass er jetzt völlig ausras­tet und ich ihn mitten auf der Kreu­zung raus­schmei­ßen könnte, obwohl mir das Spiel­chen anfing Spaß zu machen. Den Gefal­len tat er mir aber nicht, sondern er legte tatsäch­lich den Gurt an.

Es folgte ein Gespräch zwischen den beiden, das nur noch pein­lich war. Ich kann es nur gekürzt wieder­ge­ben, denn es dauerte die gesam­ten zehn Minu­ten bis zum Stra­lauer Platz.
“Das ist ja der tiefste Osten hier.”
“Ja, ekel­haft.”
“Das ist wie Moskau oder die Mongo­lei, total siffig.”
“Wieso findet das denn mitten in Sibi­rien statt?”
An mich gerich­tet: “Wie weit sind wir denn vom Westen entfernt?”
“Rund 100 Meter, gleich auf der ande­ren Seite der Spree.”
“Das kann gar nicht sein, das ist hier der fins­terste Osten. Ich würde hier nie frei­wil­lig herzie­hen.”
“Außer­dem hab ich mir heute neue Schuhe gekauft, Dieter!”
“Ja.”
“Ich habe mir heute neue Schuhe gekauft, Dieter!”
“Ja!”
“Dieter?”
“Ja, neue Schuhe.”
“Kann man die hier tragen?”
“Ja.”
“Nicht, dass die einem hier noch gestoh­len werden.”
“Es gibt doch bestimmt eine Secu­rity dort. Sicher alles ehema­lige Stasi-Leute, die können ja nichts ande­res.”
“In dieser Gegend ist es wohl besser, normale Menschen sind hier ja nicht sicher.”
An mich: “Was leben denn hier für Leute?”
“Höhlen­men­schen, das sieht man doch”, sagte ich grin­send.
“Den Taxi­fah­rer brauchst Du nicht zu fragen, der hat keine Ahnung.”

Glück­li­cher­weise kamen wir in diesem Moment am Ziel an und ich konnte die 10,80 Euro kassie­ren. Der Mann stieg aus, warf mir einen Zehner und einen Fünfer auf den Sitz und schmiss die Tür zu.
Während die Frau ausstieg, sagte sie ohne jeden Zusam­men­hang: “Neue Schuhe.”
Und ich legte eine Loriot-Gedenk­mi­nute ein, denn die beide schie­nen seiner Fanta­sie entsprun­gen zu sein.

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8 Kommentare

  1. Lieber Aro. Du hast toll darauf reagiert, besser kann man mit so eine Situa­tion nicht umge­hen. Da blieb ja wirk­lich nur noch raus­schmeis­sen über. Ich wette die konn­ten dir nicht folgen ! Bravo

  2. Oh Mann!
    Ich bin auch nicht sehr wähle­risch bezüg­lich meiner Kund­schaft, aber sowas muss nicht unbe­dingt sein.
    Weißt du zufäl­lig, was das für eine Veran­stal­tung war?

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