Rockstraßen

Es ist ja nicht selten, dass Stra­ßen nach Musi­kern benannt werden. In der Regel sind das aber klas­si­sche Kompo­nis­ten, allein Beet­ho­ven und Mozart haben in Berlin jeweils sechs Stra­ßen.
Anders sieht es jedoch bei Musi­kern der Gegen­wart aus. Gerade mal drei Stra­ßen­na­men erin­nern an Musi­ker, die in den 1990er Jahren gestor­ben sind. Sicher, es wird auch später keine Ramm­stein­straße geben und auch dass die von ihm gewünschte Wolf-Bier­mann-Allee wirk­lich mal gebaut wird, ist zu bezwei­feln. Aber Tamara Danz, Rio Reiser und Frank Zappa, das ist völlig in Ordnung.

Rio Reiser

Er hat zwar keine eigene Straße, aber wenigs­tens einen Platz. Der eins­tige Hein­rich­platz, mitten im Kreuz­ber­ger Orani­en­stra­ßen-Kiez, liegt nahe von Rio Reisers frühe­rer Heimat. Am Mari­an­nen­platz steht das Rauch-Haus, über das er mit seiner Band Ton Steine Scher­ben gesun­gen hat. Gegen­über war das in den 1970ern von ihm mitbe­setzte Jugend­zen­trum. Und auch das in der Naunyn­straße ist mit Rio Reisers Biogra­fie verbun­den, dort hat er mit Jugend­li­chen eine Thea­ter­gruppe gegrün­det.
Der Rio-Reiser-Platz wurde 2022 benannt, nicht

Tamara Danz

Verdient hat Tamara Danz ihre Straße auf jeden Fall, die ausge­rech­net an einem großen Veran­stal­tungs­ort liegt, der aller­dings erst nach ihrem Tod gebaut wurde. Die Mehr­zweck­halle Fried­richs­hain mit wech­seln­den Namen (Anschutz-Arena, O2-World, Uber-Arena) steht auf einem eins­ti­gen Lager­haus­ge­lände, auch die Tamara-Danz-Straße wurde neu ange­legt.
Die in Thürin­gen gebo­rene Tamara Danz war wohl die bekann­teste Rock­sän­ge­rin der DDR. Ihren osteu­ro­päi­schen Namen bekam sie von ihrem russisch-affi­nen Vater, mit dem sie in Bulga­rien und Rumä­nien aufwuchs. Voll­jäh­rig gewor­den zog sie nach Berlin und sang Anfang der 70er Jahre im Okto­ber­klub. In Fried­richs­hain machte sie ihre Ausbil­dung in Tanz­mu­sik und Gesang. Das war in der DDR die Voraus­set­zung dafür, um von der eige­nen Musik leben zu dürfen.
1978 stieß sie zu der Rock­band Fami­lie Silly (ab 1980 nur noch Silly), die kurz zuvor gegrün­det worden war. Alle Alben wie Mont Klamott oder Batail­lon d’Amour wurden Verkaufs­er­folge, sieben­mal wurde Tamara Danz zur besten Rock­sän­ge­rin des Jahres in der DDR gewählt.
Dabei war die Band nicht ange­passt, 1984 wurde sogar ein ganzes Album der Band verbo­ten. Im Herbst 1989 war sie Mitin­itia­tor und Erst­un­ter­zeich­ner der Reso­lu­tion von Rock­mu­si­kern und Lieder­ma­chern und trat vor Hunder­ten von Oppo­si­tio­nel­len in der Rummels­bur­ger Erlö­ser­kir­che auf.

Tamara Danz war die schrillste Musi­ke­rin des Landes. Ihre langen, zu wirk­lich allen Seiten abste­hen­den Haare, ihr manch­mal übelst dunkel geschmink­tes Gesicht, ihre Leder­kla­mot­ten, ihre Bewe­gun­gen auf der Bühne, all das erin­nerte an den jungen David Bowie, aber nicht an ostdeut­sche Kultur.

Wie auch für andere DDR-Bands kam mit der Wende ein Bruch, Plat­ten­fir­men und Musik­ver­lage unter­stüt­zen den “Ost-Rock” nicht. Und viele eins­tige Fans gingen erst­mal in Konzerte von west­deut­schen Bands. Das änderte sich aber wieder, als Silly 1996 das Album Para­dies veröf­fent­lichte. Gerade zu einer Zeit, als es über­all in Ost- wie in West-Deutsch­land rassis­ti­sche Anschläge und Über­fälle auf Immi­gran­ten und Flücht­linge gab, sang Tamara Danz “Gib mir Asyl, hier im Para­dies, hier kann mir keiner was tun.” Die Lieder von Silly hatten immer viel mit der Reali­tät zu tun, wie in dem Lied über “Die verlor’nen Kinder in den Stra­ßen von Berlin” über das Leben in den Plat­ten­bau-Sied­lun­gen von Staa­ken oder Hellers­dorf.
Ich selber habe Tamara zehn Jahre vorher in ihrer dama­li­gen Wohnung im Prenz­lauer Berg kennen­ge­lernt, eine über­aus warm­her­zige Frau, die mir gefühlt 20 Mal ihren Tee einge­schenkt hat. Und die über jeden Scheiß disku­tie­ren wollte.

Im Jahr 1995 war klar, dass sie nicht mehr lange zu leben hat, der Krebs war zu weit fort­ge­schrit­ten. Sie pendelte noch zwischen der Wohnung am Gendar­men­markt und dem Haus in Münche­hofe, östlich von Berlin, wo noch ihre Mutter lebte. Am 22. Juli 1996 starb sie im Alter von nur 43 Jahren, noch in der glei­chen Woche folgte ihr die Mutter.
Zehn Jahre nach dem Tod von Tamara Danz erhielt die Straße ihren Namen. Die Gruppe Silly spielte “Batail­lon d’Amour” und “Asyl im Para­dies”.

Frank Zappa

Wesent­lich bekann­ter war der Kompo­nist und Musi­ker Frank Zappa, der mehr als 60 Alben produ­zierte. Auch er war schon als Kind multi­kul­tu­rell beein­flusst, hatte sizi­lia­ni­sche, grie­chi­sche, arabi­sche und fran­zö­si­sche Vorfah­ren und zog als Kind oft um. Sein musi­ka­li­scher Anfang war in einer Schü­ler­band, schon damals schrieb er teil­weise unkon­ven­tio­nelle, aber auch klas­si­sche Orches­ter­mu­sik. In den USA der 50er Jahre hatten aber die Unan­ge­pass­ten einen schwe­ren Stand. Erst zehn Jahre später wurde Frank Zappa mit seiner Band “The Mothers of Inven­tion” zu einem wich­ti­gen Teil der neuen Jugend- und Studen­ten­be­we­gung. Zappa war eine Kult­fi­gur der Under­ground­mu­sik, die konser­va­tive Gesell­schaft sah in ihm eine Bedro­hung, so dass er wegen seiner Musik auch im Knast landete.

Bis zum Schluss stand Frank Zappa für musi­ka­li­sche Expe­ri­mente, sowohl was die kultu­rel­len Hinter­gründe vieler Stücke betrifft, als auch die Archi­tek­tur der Arran­ge­ments. Klas­si­sche Momente, Free-Jazz, Doo-Wop, Punk, osteu­ro­päi­sche Folk­lore flos­sen in seine Werke ein. DAS typi­sche Zappa-Stück gibt es nicht.
Frank Zappa starb im Dezem­ber 1993 im Alter von 53 Jahren eben­falls an Krebs.

Die Frank-Zappa-Straße im west­li­chen Marzahn, neben der Lands­ber­ger Allee, war zu DDR-Zeiten ein Büro­haus der Firma ORWO-Film. Heute beher­bergt es zahl­rei­che Probe­räume und Musi­ker, hier werden Konzerte und andere musi­ka­li­sche Events veran­stal­tet.
Früher hatte die Straße nur die Nummer 13. Auf Antrag der Musik­fa­brik ORWO Haus erhielt sie am 28. Juli 2007 ihren neuen Namen Frank-Zappa-Straße.

Bleibt zu hoffen, dass auch künf­tig im Berlin Stra­ßen nach Musi­kern aus unse­rer Zeit benannt werden.

print

Zufallstreffer

Orte

Rotes Rathaus

Es gibt immer noch Zeit­genossen, die glau­ben, das Rote Rathaus hätte seinen Namen während der DDR-Zeiten bekom­men und daher sei es eine ideo­lo­gisch gefärbte Bezeich­nung. Aber das ist Quatsch, der Name bezieht sich ausschließ­lich auf […]

Schreibe den ersten Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*