Schräg gegenüber des Amtsgerichts findet sich in der Kantstr. 79 das alte Strafgericht Charlottenburg. Es entstand zeitgleich zum großen Amtsgericht. 1897 mit einer Fassade im Stil des Augsburger Barock errichtet beherbergte es die Strafabteilungen des Gerichts. In den Nachkriegsjahren diente es als Landesanstalt für Lebensmittel-, Arzneimittel- und gerichtliche Chemie, später als Dienstgebäude des Amtsgerichts. Hier war lange Jahre die Nachlassverwaltung untergebracht. Seit 2015 nutzt es die kanadische Designerfirma Bocci als Showroom für ihre Produkte.
Von der Straße aus nicht zu sehen entstand zusammen mit dem Gericht im Blockinneren auch ein Gefängnis. Mit rotem Klinker verblendet wurde es als Vollzugsanstalt für weibliche Jugendliche und Strafabteilung des Amtsgerichts konzipiert. Ab 1939 war der Komplex ein reines Frauengefängnis.
Während der Zeit des Faschismus wurden hier rund 20 Menschen inhaftiert, die vermeindlich oder tatsächlich im Widerstand gegen die Naziherrschaft standen. Die Gestapo hatte sie als Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ bezeichnet. Unter anderem wurden hier ab 1942 Mildred Harnack und Libertas Schulze-Boysen nach den Verhören in der Gestapozentrale eingesperrt. Schulze-Boysen hatte zusammen mit ihrem Ehemann Harro Film- und Bildmaterial über NS-Verbrechen gesammelt. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler inhaftierten die Nazis im Zuge der „Sippenhaft“ auch Verwandte der beeiligten Offiziere. Darunter die Pilotin Melitta Gräfin von Stauffenberg (Schwägerin des Attentäters Claus von Stauffenberg), Reinhild von Hardenberg und die Frauen der Familien von Bredow und von Hammerstein.
Zur gleichen Zeit, 1942 bis 1945, leitete die zwangsverpflichtete Oberin Anna Wieder das Frauengefängnis. Über sie wurde später berichtet, dass sie die Insassinnen menschlich behandelte. Die Verpflegung der Gefangenen war besser als in anderen Knästen, die Besuchszeiten länger und nicht überwacht. Doch auch sie konnte nicht verhindern, dass mindestens neun der in der Kantstraße inhaftierten Frauen durch die Nazis wegen „Hochverrats“ im Gefängnis Plötzensee hingerichtet wurden.
Nach der Befreiung vom Faschismus diente das Gefängnis noch lange als Jugendarrestanstalt. 1985 wurde es geschlossen und beherbergte bis zum Jahr 2010 das Archiv des Kammergerichts. Seitdem steht es leer und muss höchstens mal als Kulisse für Filme oder Musikvideos herhalten.
Das Gebäude steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Es ist sehr fraglich, wie eine künftige Nutzung aussehen kann. Die Zellen sind nur sechs Quadratmeter groß und ein Betrieb z.B. als Hostel ist kaum möglich. Aber eines wird es sicher nicht mehr: Ein Gefängnis.
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