Dänen lügen nicht

Meine Dänisch-Kennt­nisse sind nicht wirk­lich gut. Zu lange schon ist es her, dass ich in Kopen­ha­gen gelebt habe. Aber ich freue mich immer wieder, wenn ich däni­sche Fahr­gäste habe, mit ihren Å, Æ und Ø, einem ganz spezi­el­len Slang. Die frage ich dann gern über das Kopen­ha­gen von heute aus, auch wenn sie — wie gestern — eigent­lich aus Odense kommen. Aber wie man in den USA alle Deut­sche für Bayern hält, sind für mich eben alle Dänen Kopen­ha­ge­ner.
Die drei Jung-Frauen waren aus Helsin­gør, immer­hin noch auf der glei­chen Insel wie Kopen­ha­gen. Sie warfen sich am Rosa-Luxem­burg-Platz fast vor’s Taxi, ich musste wirk­lich eine Voll­brem­sung hinle­gen und blieb dann mitten auf der Straße stehen.

“Kennen du Haupt­bahn­hof?”
“Ja, hab ich schon mal gehört”, lachte ich sie an.
“We sprä­chen keine Deuts.”
“Snak ikke tysk?” (Ihr sprecht kein Deutsch?)
Da waren sie baff, dass ich in ihrer Spra­che antwor­ten konnte. Den Schwall aus drei sehr lauten, sehr aufge­reg­ten Mündern, der nun auf mich einpras­selte, konnte ich aller­dings nicht verste­hen.

Während des Schnat­terns sammel­ten sich fünf weitere Leute neben meinem Wagen. Es störte sie auch nicht, dass sich hinter uns noch andere Autos stau­ten, denn an dieser Stelle ist der U‑Bahn-Eingang in der Stra­ßen­mitte und ich stand genau zwischen dem Bürger­steig und dem Eingang.
Zu der Gruppe gehörte ein etwa 20 Jahre alter junger Mann, mit einem blon­den Rasta­kopf und mädchen­haf­tem Gesicht. Er klopfte an die Scheibe und nach­dem ich sie runter­ge­las­sen habe, lachte er mich an — sagte aber nichts. Lang­sam war ich etwas irri­tiert und nun fingen die Autos hinter uns auch noch an zu hupen. Die Gruppe rannte nach hinten und stieg in ein ande­res Taxi. Der Junge kam ums Auto herum, bestieg den Beifah­rer­sitz und stellte sich gleich als Nisse Jakob vor. Nisse ist in Däne­mark kein Name, sondern die Bezeich­nung für einen Kobold. Na gut, auch schön.

Im Anfah­ren fragte ich vorsichts­hal­ber noch­mal nach: “Haupt­bahn­hof?”
“Ja.”
Auf dem Weg dort hin versuch­ten wir uns auf Englisch und Dänisch zu unter­hal­ten, was echt schwie­rig war. Das Mädchen direkt hinter mir beugte sich stän­dig nach vorn und sprach direkt in mein Ohr, aller­dings verstand ich kein einzi­ges Wort. Bis Jakob wissen wollte, ob ich sie gut verstehe. “No.”
Er sagte, dass sie doch Deutsch spricht, aber ich schüt­telte den Kopf und grinste dabei. Er fing laut an zu lachen und die Mädels hinter mir auch. Sie nannte ihn dann ein “bøsse barn”, das verstand ich noch: Schwu­les Kind.
Ich fragte ihn, wieso bøsse barn und er antwor­tete, er wäre in der gesam­ten Gruppe der einzige normale Mensch. Weil er nämlich schwul ist und als Kind bezeich­nen sie ihn nur, weil sie schon so wahn­sin­nig alt sind.

Es war eine sehr lustige Fahrt und zum Schluss wollte er noch wissen, ob ich ihn heira­ten würde. Wir verab­re­de­ten uns dann dafür, aber eine der Mädels erin­nerte ihn daran, dass er schon einen Freund habe.
“Ja, in Danmark, nicht in Tysk­land! Und ich liebe den Taxi­fah­rer!”
Schön wär’s ja, aber irgend­wie glaube ich, dass das gelo­gen war.

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