„Faschistische Arbeiterheere“

Es war die Zeit der großen sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Das West-Berlin der 80er Jahre war ein Schwerpunkt, Friedensbewegung, Häuserkampf, Frauen- und Schwulenbewegung, Arbeitskämpfe. Jedes Jahr gab es Dutzende von Demonstrationen, oft mit tausenden Teilnehmern. Die politischen Spektren links von der SPD und den Gewerkschaften waren sehr vielfältig. Da waren zum einen die Parteien, von verschiedenen stalinistischen und maoistischen, über die Trotzkisten bis hin zur DDR-orientierten „Sozialistischen Einheitspartei Westberlin“ (SEW). Die größte der linken Parteien war die Alternative Liste.
Daneben gab es aber auch massig Linke, denen jede Form von Parteien suspekt waren, die Autonomen und Anarchisten sowie die zahllosen Basisgruppen, Kommunen, Hausgruppen und Einzelkämpfer, die in ihrer Vielzahl ein viel größerer Teil der Bewegung, der Opposition waren. Aber gegen den bundesrepublikanischen Staat, vor allem die Kohl-Regierung, hielt man zusammen.
Anders sah es bei inhaltlichen, ideologischen Fragen aus. Während z.B. die Friedensbewegung klar gegen die Atombewaffnung in West UND Ost war, sahen die Genossen der SEW die sowjetischen Waffen als gut und friedensstiftend an, im Gegensatz zu den bösen US-Raketen.

Eine Gruppe fiel aus dem Schema raus. Sie gehörten ursprünglich zum Spektrum der Autonomen,  die sich qua Namen von der Organisierung in Parteien distanzierten. Trotzdem proklamierten sie die Gründung einer „Kampfpartei“, die sowohl politisch als auch militant agieren sollte. Auf Demonstrationen traten sie in geschlossenen Blöcken auf, sehr massiv und einschüchternd, absolut machomäßig. Ihre Parolen waren vorher geprobt und die wurden wie ein Räumschild vor sich her geschoben. Das galt auch für ihre „Kampflieder“. Die wurden über Lautsprecher abgespielt und stammten aus der Mottenkiste der 1920er KPD. Besonders beliebt war bei denen das Lied „Der heimliche Aufmarsch“, ein Loblied von Hanns Eisler auf die Sowjetunion, mit den Zeilen
„Zerschlagt die faschistischen Ausbeuterheere
Setzt eure Herzen in Brand.“

Als Anarchist kotzte mich das autoritäre Auftreten dieser Recken ziemlich an, so wie auch ihre Stalo-Lieder. Und weil es meinen Freunden ähnlich ging, fielen wir irgendwann in den Gesang mit ein, jedoch mit leicht geändertem Text. Zuerst haben sie das gar nicht bemerkt, freuten sich nur über die unerwartete Unterstützung, bis zur Zeile
„Zerschlagt die faschistischen Arbeiterheere
Setzt eure Führer in Brand.“
Das Ganze hatte schon einen politischen Hintergrund, denn die simple Logik „Arbeiter = links“ stimmte damals genausowenig wie schon in den 20er und 30er Jahren. Dafür waren wir schon zu oft mit Nazis zusammengetroffen und die meisten von ihnen waren Arbeiter.
In den Augen der kommunistischen Mannen jedenfalls waren wir plötzlich Feinde, die „antirevolutionäre Propaganda“ verbreiteten. Das war natürlich Schwachsinn, in Wirklichkeit machten wir uns nur lustig über diese engstirnigen Politgorillas. Aber das war für sie genauso schlimm. Humor war das letzte, was sie hatten. Nach ein paar üblen Beschimpfungen und Drohungen begannen einige von ihnen, auf uns einzutreten und zuzuschlagen. Damit war eine Grenze überschritten, die wir immer akzeptiert haben: Mit Leuten „auf unserer Seite“ konnte man sich streiten und anbrüllen, aber niemals körperlich angreifen. Nun jedoch wurden wir von ihnen attackiert und für mich war das ein Schock. Prügeleien hatten wir vorher mit der Polizei, Neonazis und Aktivbürgern, nicht aber mit anderen Linken. Dazu kam, dass sie extrem hart zuschlugen, teilweise mit Schlagringen, was bei manchen schwere Gesichtsverletzungen verursachte. Trotzdem begannen wir uns zu wehren. Und da wir mehr Kampferfahrung hatten und auch viel mehr Leute waren, konnten wir sie schnell in die Flucht schlagen.
Zurück blieben ein paar Verletzte auf beiden Seiten und die Erkenntnis, dass die linke Szene nicht nur ein Haufen von Leuten mit unterschiedlichen Konzepten ist, sondern dass es da Gräben gibt, die kaum zu überwinden sind.

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