Zwei zärtliche Alte

Ich cruiste gerade durch Wilmers­dorf, musste an der Kreu­zung Blisse/Berliner halten, als vom eins­ti­gen DAG-Haus ein altes Paar herüber rannte, mit den Armen fuch­telnd, als würde hier nur alle Woche mal ein Taxi vorbei­kom­men. Es ist ein schö­nes Gefühl, wenn man so begehrt ist.
Nachts um 2 Uhr sieht man selten solch alte Leute auf der Straße, und dann auch noch so beschwingte. Sie schwan­gen sich in meinen Wagen und kicher­ten los: “Wir wollen nach Hause, bitte schön.” Ich schätzte sie auf etwa 80 Jahre ein, aber sie waren aufge­dreht wie 12-Jährige. Sie: “Du musst dem Mann schon sagen, wo es hingeht, sonst fährt er nie los.” Beide wieder am Lachen, das steckt an, ich hatte plötz­lich auch gute Laune. Er antwor­tete: “Er kennt die Straße ja doch nicht und wenn, weiß er nicht, wie man hinkommt.” — “Warte es doch erst­mal ab, viel­leicht ja doch.” Ich fand es sehr lustig und war nun wirk­lich gespannt, welchen ominö­sen Stra­ßen­na­men ist gleich hören werde. “Kennen Sie die Leon­hard­straße?”, fragte er. Sofort ratterte es in meinem Hirn wie in einem Spiel­au­to­ma­ten und das Wort “Stutti” blieb vor meinem geis­ti­gen Auge stehen: “Die am Stutt­gar­ter Platz?”. “Na siehste, er ist gar nicht so doof!” War das jetzt ein Lob?

Wir fuhren los und auf dem Weg unter­hiel­ten sie sich über mich: Warum ich wohl die linke oder rechte Spur fuhr, warum ich Gas gab oder bremste. Das Ganze war nicht unan­ge­nehm, sondern sympa­thisch. Sie ließen mich dabei sehr gut ausse­hen, jeder Schritt wurde lobend und mit netten Worten beglei­tet (“Hast Du gemerkt, wie sanft er die Spur gewech­selt hat?”).
Beide gingen auch recht liebe­voll mitein­an­der um, sie müssen eine sehr zärt­li­che Bezie­hung führen. Leider war die Tour sehr kurz, ich hätte die beiden gerne noch länger im Auto gehabt. In der Leon­hard­straße ging noch­mal das Spiel los, ob ich wohl weiß, in welcher Reihen­folge die Haus­num­mern ange­bracht sind. Am Ziel ange­kom­men wartete ich noch, bis beide im Haus waren, er hielt ihr noch die Haus­tür auf.
Es ist schön, dass es solche Menschen in Berlin gibt — und dass ich sie kennen­ler­nen darf. Ich hoffe, dass die beiden noch sehr lange zusam­men sein können.

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Mit dem Gesicht zum Volke

Ich saß in einem weiten Saal, ein biss­chen einge­zwängt. Zu viele Menschen hatten sich noch durch die Tür gedrängt. Das Podium, vorn, noch menschen­leer, von Neon­licht erhellt – mit Tischen, Stüh­len und mit Mikro­fo­nen voll­ge­stellt. […]

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“Die Geschichte der Berli­ner Konfek­tion ist zugleich die Geschichte derje­ni­gen deut­schen Indus­trie, die sich als erste den Welt­markt eroberte und den Ruf von deut­scher Arbeit und deut­schen Gewer­be­flei­ßes in die ferns­ten Länder trug…” (Der ‘Confek­tionair’ […]

3 Kommentare

  1. Sehr schöne Geschichte, auch weil so etwas leider nur selten zu erle­ben ist. Schon beim lesen der Über­schrift musste ich an die Schluß­se­quenz des Films “Step across the border” denken. Von Zärt­lich­keit ist bei den alten Leuten dort zwar nichts zu sehen, aber man könnte sich bei denen einen Umgang wie von dir geschil­dert, gut vorstel­len.
    http://www.youtube.com/watch?v=Es21B30bD6c
    (ab 0:23 geht’s rich­tig los. Der ganze Film ist auch bei youtube zu sehen, aber besser im Kino!)

  2. So etwas berührt mich immer zutiefst.

    Vor eini­gen Jahren hatte ich das Glück, ein ähnli­ches Paar als Stamm­gäste zu fahren. Sie hatten mit 60(!) gehei­ra­tet, jeder zum zwei­ten Mal.
    Ich lernte sie kennen, als sie ~90 waren und offen­bar noch immer so verliebt und rück­sichts­voll gegen­ein­an­der wie am ersten Tag.

    Aufgrund des Alters blieb es ihnen leider nicht erspart, ins Alters­heim über­zu­sie­deln, wo ein Part­ner früher als der andere starb…

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