Die ersten Jahrzehnte

Da die Geschichte der Versöh­nungs­ge­meinde nicht in einem einzi­gen Arti­kel unter­zu­brin­gen ist, kommt sie gleich an fünf Stel­len vor.
Die Geschichte der Kirche ist nicht gerad­li­nig verlau­fen, sondern hat Brüche erlebt. Begon­nen hatte es vor etwas mehr als hundert Jahren, 1894. Kaise­rin Auguste Victo­ria nahm an der Einwei­hung des von ihr gestif­te­ten Gottes­hau­ses teil, das 1.000 Menschen Platz bot. Zu dieser Zeit entstan­den in und um Berlin über­all neue Gemein­den, bis Beginn des ersten Welt­kriegs insge­samt 100, davon 75 evan­ge­li­sche Kirchen. Schon einige Jahre zuvor, 1888, wurde der “Evan­ge­lisch-Kirch­li­che Hülfs­ver­ein” unter Auguste Victo­rias (damals noch Kron­prin­zes­sin) Schirm­herr­schaft gegrün­det. Kron­prinz Wilhelm (später Kaiser Wilhelm II), begrüßte diese Grün­dung mit den Worten:
“In den großen Volks­mas­sen, nament­lich der großen Städte, nehmen die Umsturz-Ideen immer mehr über­hand. Gesetze oder Gewalt­maß­nah­men sind dage­gen nicht ausrei­chend. Der wirk­samste Schutz für Thron, Altar und Vater­land besteht darin, die der Kirche entfrem­de­ten Massen zum Chris­ten­tum und zur Kirche zurück zu führen. Dazu aber müssen sich alle treuen Männer ohne Unter­schied der kirch­li­chen und poli­ti­schen Partei­stel­lung verei­ni­gen und in gegen­seit­gem Vertrauen zusam­men­ar­bei­ten zu einem nach­hal­ti­gen Wider­stande gegen die Sozi­al­de­mo­kra­tie und den Anar­chis­mus, die sich in immer gefahr­dro­hen­de­rer Weise orga­ni­sie­ren.”

In diesem Sinne sprach Auguste nun die Worte: “Lasst Euch versöh­nen mit Gott!” Aha, daher stammt also der Name “Versöh­nungs­kir­che”. Da die Kaise­rin damals bei sehr vielen Kirchen­ein­wei­hun­gen dabei war, nannte man sie bald die “Kirchen­juste”. Ob das nun Spott ausdrü­cken sollte oder einen gewis­sen Respekt, weil sie sich so für die armen Seelen enga­gierte, blieb dahin­ge­stellt.
Die Versöh­nungs­kir­che wurde gegrün­det, weil die Elisa­beth-Gemeinde sehr groß gewor­den war. Diese gab einen großen Teil der Gemeinde ab, der auf mehrere neue aufge­teilt wurde. So wurde zum Beispiel auch die Zions­kir­che gegrün­det. Die Versöh­nungs-Gemeinde hatte sich um die Not der Menschen durch Bildung von verschie­de­nen “Hülfs­ver­ei­nen” geküm­mert. Es entstan­den “Jung­frauen-Verbände”, deren Vorsit­zen­der der erste Pfar­rer der Versöh­nungs­kir­che, Johan­nes Burck­hardt, war. Nach ihm wurde später auch das “Burck­hardt-Haus” benannt, eine Ausbil­dungs­stätte für Gemein­de­hel­fe­rin­nen. 1903 wurde der “Männer­ver­ein” gegrün­det, der nach einem Jahr bereits 600 Mitglie­der hatte. Diese mach­ten Haus­be­su­che bei armen Gemeinde-Mitglie­dern und galten als Vertrau­ens­leute. Ein Diako­nie­ver­ein und ein Armen­näh­ver­ein wurden gegrün­det, die vor allem die Aufgabe hatten, das Gemein­de­le­ben zu berei­chern und zu erwei­tern. In der Acker­straße 110 traf sich derJung­män­ner-Verein. Und natür­lich gab es auch eine eigene Jugend­ar­beit. Bei einem Tref­fen beschlos­sen die Jugend­li­chen, dass sie einen eige­nen Raum brauch­ten, der sich aber in der Enge der Kirche in der Bernauer Straße 4 nicht fand. So sammelte man Geld und ging auf die Suche. In der Hussi­ten­straße 101 fanden sie eine geeig­nete Wohnung, die fortan als Jugend­heim diente. Im bran­den­bur­gi­schen Wüns­dorf wurden zudem gemein­same Frei­zei­ten verbracht. Auch die Einrich­tung der “Schrip­pen­kir­che” geht auf die Versöh­nungs-Gemeinde zurück.
Neben all diesen Initia­ti­ven wurde auch der “Vater­län­di­sche Bauver­ein” geschaf­fen, eins der wich­tigs­ten Projekte, die aus der Versöh­nungs-Gemeinde heraus entstan­den sind. Dieser Verein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, menschen­wür­di­ges Wohnen zu ermög­li­chen. Das Glanz­stück wurde 1906 mit der “Versöh­nungs-Privat­straße” einge­weiht, einem Wohn­kom­plex zwischen der Hussi­ten- und Stre­lit­zer Straße, der zum Teil heute noch exis­tiert. In einer Zeit, in der vorwie­gend Miets­ka­se­men entstan­den, um immer mehr Menschen auf engem Raum unter­zu­brin­gen, wurde hier menschen­ge­rech­tes Wohnen ange­strebt — mit viel Platz groß­zü­gi­gen Räumen und moder­ner Ausstat­tung der Wohnun­gen. Und dies nicht nur für Unter­neh­mer, sondern auch für “einfa­che” Ange­stellte und Beamte. All die verschie­de­nen Initia­ti­ven der Versöh­nungs­kir­che brauch­ten natür­lich Platz. Deshalb wurden die Häuser Acker­straße 48, 110, 134, 135 und 139 teil­weise komplett gemie­tet oder gekauft.
Nach dem Ende des ersten Welt­krie­ges bedau­erte die Evan­ge­li­sche Kirche die Abdan­kung des Kaisers, der ja als kirch­li­ches Ober­haupt galt. Auch in der Versöh­nungs­kir­che wurde der Verlust von Kaiser und Kaise­rin wehmüh­tig betrau­ert. In der Fest­schrift zum 25-Jähri­gen Bestehen der Kirche wurde an die enge Bindung gerade auch der Versöh­nungs­kir­che zum Kaiser­haus erin­nert.

Versöh­nungs­kir­che (2) — Im Faschis­mus

weiter »

Schreibe den ersten Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*