Anhalter Bahnhof

Es gibt in Berlin einige lang­ge­zo­gene Brach­flä­chen, denen man ansieht, dass hier einmal ein sehr großes Bauwerk gestan­den hat. Direkt am Pots­da­mer Platz ist solch eine Fläche, am Spree­wald­platz in Kreuz­berg und an der Inva­li­den­straße sogar zwei. Hier stan­den einst große Fern­bahn­höfe: Pots­da­mer, Lehr­ter, Stet­ti­ner und Görlit­zer Bahn­hof bringt man heute höchs­ten noch mit dem Nahver­kehr in Verbin­dung.
Das glei­che gilt auch beim Anhal­ter Bahn­hof. Nur noch der Rest einer Ruine erin­nert daran, was hier einst stand — es ist das Portal des ehema­li­gen Eingangs­be­reichs. Dahin­ter eine leere Fläche auf der manch­mal ein Zirkus sein Zelt aufbaut, ansons­ten spielt man hier Fußball.

“Berlin — Anhal­ter Bahn­hof”, das war mal ein Begriff. Nahe des Pots­da­mer Plat­zes war der Aska­ni­sche Platz, an dem der Bahn­hof stand, ein pulsie­ren­des Stück Berlin. Auf der gegen­über­lie­gen­den Seite der Königs­grät­zer Straße (heute Stre­se­mann­straße) stand das größte Hotel Euro­pas, das Excel­sior: 600 Zimmer, neun Restau­rants, ein Bier­kel­ler für 1.500 Gäste, zwei­hun­dert Tages­zei­tun­gen aus aller Welt. Selbst­ver­ständ­lich gab es einen eige­nen unter­ir­di­schen Zugang zum Bahn­hof. Dane­ben warte­ten aber noch fünf weitere Luxus­ho­tels in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft des Bahn­hofs, wie das Hotel Holl­stein.
Der Anhal­ter Bahn­hof des Archi­tek­ten Franz Schwech­ten war wie alle Berli­ner Fern­bahn­höfe eine Endsta­tion. Bei der Planung wurden sie als Kopf­bahn­höfe ange­legt, die nahe der Stadt­mauer stehen. Der Anhal­ter jedoch, aus dem die Züge Rich­tung Süden anka­men und losfuh­ren, war eine Beson­der­heit, hier hatte der Kaiser sogar eigene Räume. Zusam­men mit seinem Reichs­kanz­ler Bismarck erschien Wilhelm I. denn auch zur Eröff­nung am 15. Juni 1880. Dabei hatte Bismarck über­haupt kein gutes Verhält­nis zur Eisen­bahn, er meinte, sie wäre nur dem Verkehr im Wege. Doch die riesige Halle des “Berlin-Anhal­ti­schen Eisen­bahn­hofs” mit 34 Metern Höhe und einer Spann­breite von 62 Metern beein­druckte auch ihn.
Anhal­ter Bahn­hof, das hieß eine direkte Verbin­dung nach Dres­den, von wo aus es weiter­ging nach Wien, Rom und Athen, es waren sechs Bahn­steige in die weite Welt. Später ging es von hier aus sogar direkt bis nach Neapel. Und die Welt kam auch hier an. Neun Jahre nach der Eröff­nung entstieg der italie­ni­sche König Umberto seinem extra für diese Reise gebau­ten Luxus­zug, der sieben Salon­wa­gen hatte. Umberto wurde von Wilhelm II. persön­lich erwar­tet. 1913 folgte der russi­sche Zar Niko­laus, fünf Jahre später holten hier 20.000 Menschen Karl Lieb­knecht von Zug ab.

55 Jahre nach seiner Inbe­trieb­nahme war jedoch das Ende des Bahn­hofs beschlos­sene Sache: Adolf Hitlers Pläne für eine neue “Reichs­haupt­stadt Germa­nia” sahen an dieser Stelle eine Bade­an­stalt vor, die Bahn­höfe soll­ten aus der Innen­stadt verschwin­den. Dass der Bahn­hof dann zehn Jahre später tatsäch­lich zerstört wurde, war eben­falls Hitlers Verdienst, wenn auch auf andere Weise. In den letz­ten Mona­ten des Zwei­ten Welt­krie­ges gab es schwere Schä­den, vor allem die verhee­ren­den Luft­an­griffe am 3. Februar 1945 vernich­te­ten große Teile des Komple­xes, alle dazu gehö­ren­den Gebäude brann­ten aus oder wurden gesprengt. Die Menschen flüch­te­ten in den unter­ir­di­sche S‑Bahnhof. Als die Rote Armee bereits in Berlin stand, wurde der Nord-Süd-Tunnel am Land­wehr­ka­nal mutmaß­lich von der SS gesprengt. Gerüch­ten nach sollen dabei tausende Menschen im Tunnel ertrun­ken sein, Augen­zeu­gen berich­te­ten jedoch, dass das Wasser nur lang­sam stieg und fast alle flie­hen konn­ten.

Etwa ein Jahr nach Kriegs­ende wurde der Anhal­ter Bahn­hof wieder provi­so­risch in Betrieb genom­men. Die Gebäude waren zerstört, das Dach verschwun­den, die Bahn­steige notdürf­tig geflickt, aber die Schie­nen erneu­ert. Das lang­same Ster­ben des Bahn­hofs ging jedoch weiter. Durch die beson­dere Lage der nun geteil­ten Stadt muss­ten alle Züge die nach Berlin woll­ten durch die von den Sowjets besetzte Zone. Im Mai 1952 verlangte die DDR-Regie­rung, dass sämti­che Perso­nen­züge nach West­ber­lin zuerst den Ostbahn­hof anfah­ren müss­ten. Das war das Aus für den Anhal­ter Bahn­hof. Der notdürf­tig geflickte Bahn­hof war nun nutz­los gewor­den. Trotz massi­ver Proteste aus der Bevöl­ke­rung ließ der Senat das Gebäude 1960 spren­gen, nur ein Teil des Portals blieb stehen. Ganz oben sieht man noch heute die Alle­go­rien für den Tag und die Nacht, dazwi­schen Loch, in dem einst eine große elek­tri­sche Uhr hing — Symbole dafür, dass im Anhal­ter Bahn­hof immer Betrieb war.

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