In dem Arbeitsamt

In den 1970er Jahren gab es ein Lied, das ging „In dem Arbeits­amt stehst Du auf dem Gang, und stehst nach Arbeit an. Und kommst Dir über­flüs­sig vor.“
Zehn Jahre später war auch ich in dem Alter, dass ich im Arbeits­amt anstand. Ich weiß bis heute, wie ich da in diesem Bau in der Müllerstraße das erste Mal die Halle betrat. Links Stell­wände, dane­ben ein Schal­ter. Ich zeigte meine Vorla­dung, die man dort Einla­dung nannte und ohne ein Wort zu sagen zeigte die Ange­stellte mit dem Finger nach oben.
Auf meine Frage, in welche Etage ich denn müsste, raunzte sie mich an: „Natür­lich in die erste!“ Natür­lich, wie könnte ich etwas ande­res denken.

Oben dann stan­den meine Arbeits­los­kol­le­gen und füll­ten den Gang, der sich nach hinten zieht. Es dauert Stun­den, bis ich endlich an der Reihe war. Dann das feiste Gesicht der Sach­be­ar­bei­te­rin, die mir deut­lich zu verste­hen gab, dass sie mich für Abschaum hielt. Mit Arbeits­lo­sen hat sie ja täglich zu tun, da kann sie den ganzen Tag ihre Macht ausspie­len. Aber in meiner Akte muss es irgend­ei­nen Vermerk gege­ben haben, das habe ich schon bei den vori­gen Besu­chen im Kreuz­ber­ger Arbeits­amt gemerkt. Viel­leicht stand da „Arbeits­faul“ oder „Asozial“ oder was auch immer aus dem Wort­schatz der Nazi­zeit in die Büro­kra­tie über­nom­men worden war.

Ich hatte keine Chance. Geld bekam ich nicht, weil ich angeb­lich nicht arbei­ten wollte. Was nicht stimmte. Kurz zuvor war ich aus einer Drucke­rei geflo­gen, weil meinem Chef nicht passte, dass ich schwul bin. Als er damit begann mich zu mobben, wehrte ich mich. Und flog raus. Und genau in diese Firma wollte sie mich wieder vermit­teln, drei­mal hinter­ein­an­der. Als ich das ablehnte fällte die Scharf­rich­te­rin das Urteil, dass mir das Abeits­lo­sen­geld gestri­chen würde. Schließ­lich hätte ich drei ange­bo­tene Arbeits­stel­len abge­lehnt.

Ähnli­che Erfah­run­gen habe ich an diesem Ort auch später noch mehr­mals gemacht. Ich habe dieses Gebäude gehasst. Wenn in den Fern­seh­nach­rich­ten ein Bericht über Arbeits­äm­ter kam, wurde immer genau dieses Amt in der Müllerstraße gezeigt. Irgend­wann began­nen dann Leute, das Haus mit Farbe zu beschmie­ren und die Fens­ter einzu­wer­fen. Zwar weiß ich nicht, wer das war, aber Opfer gab es hier bestimmt viele. Ich hatte jedoch eine heim­li­che Sympa­thie für dieje­ni­gen, die das getan haben. Auch wenn es natür­lich nichts verän­derte.

Seit eini­gen Jahren muss ich nicht ins Arbeits­amt, das sich längst vornehm Jobcen­ter nennt. Ob es darin mitt­ler­weile anders zugeht, weiß ich nicht. Ich hoffe es aber für dieje­ni­gen, die dort auf Hilfe ange­wie­sen sind.

In dem Arbeits­amt

In dem Arbeits­amt stehst Du auf dem Gang.
Und stehst nach Arbeit an.
Und kommst dir über­flüs­sig vor.
Kommst dir über­flüs­sig vor.

Und dein Neben­mann, der ist auch zuviel.
Nun seid ihr schon zwei zuviel.
Zwei, die man nicht gebrau­chen will.
Nicht gebrau­chen will.

Und die 17-jährige Marion ist Nähe­rin.
Und Rena­tes Firma ging gerade in Konkurs.
Gabi wär gern Verkäu­fe­rin in einer klei­nen Boutique.
Auch was ähnli­ches nähme sie sofort.

Und der vor dir kriegt keine Ausbil­dung
Und ist noch für Akkord zu jung.
Drei die man noch nicht nötig hat.
Noch nicht nötig hat.

Und dein Neben­mann könnt’ dein Vater sein.
Das Werk stellte die Ferti­gung ein.
Er war 30 Jahre im Betrieb.
30 Jahre im Betrieb.

Eine Schreib­kraft wartet, dass man ihre Nummer ruft.
Ein Umschü­ler hat mal wieder den falschen Beruf.
Und auch eine Lehre­rin füllt Formu­lare aus.
Und Mustafa denkt an Zuhaus.

Und als Arbeit­neh­mer musst du Arbeit nehmen.
Der Arbeit­ge­ber baucht dir keine geben.
Der hat einen schö­nen Beruf.
Einen schö­nen Beruf.

Und der Arbeits­ge­ber wird nie arbeits­los.
Der wird höchs­tens die Arbei­ter los.
Und lässt sie für sich stem­peln gehn.
Lässt sie stem­peln gehn.

In dem Arbeits­amt stehst Du auf dem Gang.
Und stehst nach Arbeit an.
Und kommst dir über­flüs­sig vor.
Kommst dir über­flüs­sig vor.

(Lied­text von Floh de Colo­gne)

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2 Kommentare

  1. Moin, moin,
    ich kann die Gefühle und Erleb­nisse gut nach­emp­fin­den. Mitt­ler­weile hat sich da aber eini­ges posi­tiv verän­dert, jeden­falls in unse­rem JC. Wobei, schlech­tes Perso­nal gibt’s eben über­all, auch bei euch im Taxi gibt’s ja einige ganz beson­dere “Schätz­chen”, oder?
    Das Arbeits­amt heißt jetzt übri­gens Bundes-agen­tur für Arbeit und ist zustän­dig für ALG1. JC dann nach einem Jahr für ALG2 (Hartz4).
    Gruß Frank

  2. Wie kann sich in einem JobCen­ter etwas ändern, wenn die Vorgabe nicht ist, den Leuten zu helfen, sondern für die Mitar­bei­ter wich­tig ist, die ausge­ge­be­nen Quoten zu erfül­len?

    Also bspw. die Quote für die Anzahl der ALG-2-Geld-Kürzun­gen im Monat X? Oder, oder, oder — es geht für den Mitar­bei­ter, damit er seinen viel­leicht nur auf Zeit befris­te­te­ten Job, behält und ggf in einer Dauer­stel­lung wandelt, nur um Quoten­er­fül­lung. Nicht um Hilfe. Das war viel­leicht mal. Vor Jahr­zehn­ten. Heute will man Geld sparen. Und die Statis­tik berei­ni­gen.

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