Besuch aus San Francisco

Es kommt öfter vor, dass ich Amis im Taxi habe. Manchmal erzählen sie auch von Zuhause, New York, Los Angeles oder von irgendwo in der Pampa. Oft geben sie sich echt klischeemäßig. Tatsächlich hatte ich schon zweimal Texaner, die dermaßen nach Cowboy aussahen, dass ich mir nicht sicher war, ob sie nicht eher ein Pferd statt ein Taxi bräuchten. Und verstanden habe ich bei denen auch kein einziges Wort.

Das war bei der Oma anders, sie sprach ein schlechtes, aber verständliches Deutsch. Kein Wunder: Zwar war sie gerade aus San Francisco zu Besuch, stammte aber ursprünglich aus Berlin. Als sie am Hauptbahnhof in mein Taxi stieg, sah ich die mitleidigen Blicke meiner Kollegen hinter mir: Sie waren froh, dass sie die Dame nicht mitnehmen mussten. Mir aber machte das extrem schrille, knallbunte und mit einer rosa Federboa umhüllte Outfit nichts aus, im Gegenteil. Fahrgäste, die immer gleich aussehen, gleich sprechen und die gleichen belanglosen Geschichten erzählen, habe ich schon genug.

Sie heißt Gerda, ist 81 Jahre alt und erzählte mir während der leider kurzen Fahrt zum Kudamm, dass sie Mitte der 1960er Jahre nach San Francisco geflogen ist, dort tolle Leute kennenlernte und schließlich in einer Hippiekommune hängengeblieben ist – bis heute! Auch wenn sie mittlerweile in einer Zweierbeziehung lebt, hat sie noch immer die Werte von damals. „Inklusive LSD, junger Mann!“

Ehrlich gesagt hätte es mich auch gewundert, wenn Oma Gerda sich nicht hauptsächlich von solchen Drogen ernähren würde. Für mich ist sie ein gutes Beispiel dafür, dass auch illegale Drogen nicht automatisch schädlich sein müssen, wenn man damit umgehen kann. Sicher ist das Ergebnis kein angepasstes, bürgerliches Aussehen und Verhalten, aber glücklicherweise legt auch nicht jeder Wert darauf.

All die Jahre hat Gerda als Schreinerin gearbeitet, nebenbei als Sängerin und seit 20 Jahren macht sie Webdesign. Alle paar Jahre kommt nach Berlin, um hier ihre Tochter, Enkel und Urenkel zu besuchen. Und darunter gibt‘s sogar einen, der ihr ganzer Stolz ist: „Dem ist es auch egal, was die Leute von ihm denken. Er macht, was er will, ist herzensgut, hat eine feste Freundin und auch noch einen Lover, macht Musik, er ist wunderschön, intelligent und so wie ich immer unterwegs.“ Sie kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Es war schön, sie so glücklich zu sehen.

Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass Gerda mit ihrem Leben sehr zufrieden ist. Ich hoffe, dass sie es noch lange genießen kann.

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