Königs Wusterhausen

30 km. Spie­lend lernen

Da sieht man in Amerika junge Männer zusam­men vorm Bild­schirm sitzen, und alles wirkt ganz echt. Die Jungs sehen aus, wie spie­lende Heran­wach­sende ausse­hen, und sie reden auch so, wenn ihnen ein Tref­fer gelun­gen ist. Sie tragen, was viele Halb­wüch­sige so tragen: gebrauchte Mili­tär­kla­mot­ten. Auch das Compu­ter­spiel sieht haar­ge­nau aus wie ein Compu­ter­spiel.
Es ist aber kein echtes Spiel. Am ande­ren Ende des Inter­net, in Nord­afrika oder Afgha­ni­stan, ster­ben Menschen, wenn wieder mal ein Tref­fer gelun­gen ist. Hier töten Solda­ten beruf­lich. Compu­ter­spiele haben sie früher gespielt, in ihrer Frei­zeit, frei­wil­lig, und so haben sie sich auf ihren Beruf vorbe­rei­tet.
Eine Gene­ra­tion früher spiel­ten Kinder mit Play­mo­bil-Figu­ren. Damit kann man aller­lei Berufs­sze­nen ausden­ken und bauen, doch bewe­gen tut sich nur etwas, wenn man mit der Hand schiebt.
In meiner Jugend hatten wir die elek­tri­sche Eisen­bahn. Auch die Dampf­loks waren elek­trisch; aber darauf kam es nicht an. Wenn man genug Weichen hatte, konnte man sich auf den Beruf des Fahr­dienst­lei­ters vorbe­rei­ten. Viel span­nen­der aber fand ich das Planen und Bauen einer größe­ren Anlage und das Anschlie­ßen der Kabel an die Weichen und Signale. Da musste alles ganz genau stim­men. Viel­leicht habe ich darum später Physik und Mathe­ma­tik studiert. Fürs Leben aber habe ich so nichts gelernt. Dazu hätte es einer Kombi­na­tion von Mono­poly und Stre­cken-Still­le­gun­gen bedurft. Ich wäre nie von selbst darauf gekom­men, dass man Stecken seiner elek­tri­schen Eisen­bahn profes­sio­nell still­le­gen und damit Geld verdie­nen kann.
Mein Vater war in der Hitler­ju­gend und hatte keine Zeit für Spie­le­reien. Danach ging er nach Nieder­län­disch Indien, wo ihm nicht half, was er in der HJ gelernt hatte. Ausge­rech­net bei einer Besich­ti­gung von Schloss Königs Wuster­hau­sen kam ich 2014 ins Gespräch mit einem ex-HJ‘ler, der nicht nach Nieder­län­disch Indien gegan­gen war. Der erklärte ohne jegli­chen Anlass, dass Deutsch­land der zweite Welt­krieg von den Englän­dern und den Juden mit List und Tücke aufge­zwun­gen worden sei und die Nazis völlig unschul­dig wären.
Mein Groß­va­ter und seine Spiel­ka­me­ra­den hatten Dampf­ma­schi­nen, die rich­tig funk­tio­nier­ten, nicht elek­trisch wie meine Dampf­lok. Das Inter­es­san­teste waren die Trans­mis­sio­nen und all die Maschi­nen, die man an diese Kraft­quelle anschlie­ßen konnte. Als diese Jungs groß waren, haben sie gehol­fen, hoch­mo­derne Tech­nik zu entwi­ckeln und einzu­set­zen.
Mein Urgroß­va­ter hatte Zinn­sol­da­ten. Das ist eine Art Kreu­zung von Play­mo­bil und Kriegs­spiel.
Ange­fan­gen aber hatte dies alles in Wuster­hau­sen, wo Fried­rich Wilhelm zum Spie­len ein klei­nes Regi­ment aus echten, leben­den Solda­ten hatte, im Maßstab 1:1.
Dieser Junge – heute hätte man wohl ADHS bei ihm diagnos­ti­ziert – ging nämlich seinem Vater und vor allem dessen Bera­tern und leiten­den Mitar­bei­tern gewal­tig auf die Nerven. Er bewun­derte seinen Groß­va­ter, den sie den Großen Kurfürs­ten nann­ten und über den er viel gehört hatte. Seinen Vater mit seinen Perü­cken und seinen Klei­dern aus Samt, Seide und Herme­lin dage­gen verach­tete er. Das war kein echter Mann. Der konnte ja nicht einmal sitzen ohne Seiden­kis­sen unter seinen Schu­hen. Der ließ sich immer ganz anders malen, als er wirk­lich aussah, aber dadurch nahm man ihn auch nicht ernst.
Je älter Fried­rich Wilhelm wurde, desto besser verstand er, wie schlecht der Vater regierte und wie sehr er sich durch Hofschran­zen mani­pu­lie­ren ließ, die ihn lobten, sich selbst berei­cher­ten und den Staat verkom­men ließen. Also wollte er mithel­fen und diesen Staat, den er mal erben würde, auf Vorder­mann brin­gen. Darum musste er weg vom Berli­ner Hof. Sein Vater schenkte ihm ein Schloss in Wuster­hau­sen und eine Hand­voll Solda­ten mit Unter­of­fi­zier zum Exer­zie­ren.
Wuster­hau­sen liegt auf halbem Wege zwischen Berlin und Kossen­blatt. Das Schloss war nicht groß. Irgend­wie ein Zwischen­ding zwischen Burg und Renais­sance-Doppel­haus. Nie hatte jemand baro­cke Verzie­run­gen ange­bracht. Die Wände waren weiß; die Böden bestan­den aus groben Holz­die­len, auf denen man prima mit Stie­feln herum­lau­fen konnte.
Hier beschäf­tigte er sich erstens mit dem Exer­zie­ren und zwei­tens mit der Jagd, die einmal sein großes Hobby werden sollte. Hier konnte er tragen, was manche Jungs nun einmal gerne tragen: Solda­ten­kla­mot­ten. Hier hatte er Ruhe vor den Blicken und dem Getu­schel am Hof. Vor allem aber hatte der Hof Ruhe vor ihm.
Als er dann König war und man den Ort Königs Wuster­hau­sen nannte – ein Name, dessen Länge bis heute der S‑Bahn Schwie­rig­kei­ten berei­tet – kam er jeden Herbst ein paar Monte mit der ganzen Fami­lie her, um zu jagen. Frau und Kinder fanden es schreck­lich. Zugig, primi­tiv, beengt und lang­wei­lig. Natür­lich regierte der König in der Jagd­sai­son von hier aus weiter. Hier wurde auch das in Küstrin voll­streckte Todes­ur­teil Leut­nant Kattes unter­zeich­net.
Vor allem aber hat er sein Leben lang weiter­ge­macht mit dem, was als Spiel begann: eine Armee aufbauen und in Schuss halten. Darum nannte man ihn den Solda­ten­kö­nig.
Die Armee war eine reine Vertei­di­gungs­ar­mee. Seine Solda­ten waren ihm viel zu wert­voll, um sie in Krie­gen zu verhei­zen. Viel­leicht kommt das daher, dass er als Kind mit echten Solda­ten gespielt hatte.
In den Gene­ra­tio­nen danach spielte man mit Zinn­sol­da­ten, Play­mo­bil­männ­chen und Modell-Eisen­bah­nen. Der Maßstab 1:87 trennte Spiel und Wirk­lich­keit.
Nun schie­ßen die Solda­ten wieder mit täuschend echten Compu­ter­spie­len, genau wie sie sie als Kind kennen­ge­lernt hatten.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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