Ringe im Märkischen Sand

Krumm und exzen­trisch

Auf dem Arma­tu­ren­brett wird auf den Kilo­me­ter genau ange­zeigt, wie lange die Tank­fül­lung noch reicht. Aber gerade dann, wenn es span­nend wird und man wirk­lich darauf ange­wie­sen ist, erlischt diese Anzeige. Der Herstel­ler will sich eben doch nicht genau fest­le­gen.
Aus ähnli­chen Grün­den erlö­schen in diesem Teil die Abstands­an­ga­ben. Wir sind ja auf der Suche nach der Mitte von Berlin, da darf ich nicht durch genaue Abstands­an­ga­ben den falschen Eindruck wecken, ich würde sie schon kennen.
Wer erwar­tungs­voll nach Berlin reist, muss erst stun­den­lang das waldige, sandige Bran­den­burg durch­que­ren, was die Produk­tion von Schlaf­hor­mo­nen fördert. Adre­na­lin beginnt erst wieder zu flie­ßen, wenn man den Berli­ner Ring erreicht. Der Refrain von Grebes Bran­den­burglied drückt es aus: „Berlin, halle­luja Berlin!“
Amtlich heißt der Berli­ner Ring Bundes­au­to­bahn A10, aber gebaut hat ihn Hitler. Er gilt als der längste Auto­bahn­ring Euro­pas. Das ist wieder so ein typisch Berli­ner Etiket­ten­schwin­del. Über­all in Europa kann man auf Auto­bah­nen riesige Gebiete umfah­ren, nur ändert sich dann ab und zu die Nummer. Bei der A10 ändert sie sich nicht, diese Auto­bahn hat keinen Anfang und kein Ende; sie ist aber auch kein rich­ti­ger Ring, weil sie immer wieder von sich selbst abzweigt.
Streng genom­men führt dieser Ring nicht um Berlin herum, sondern im Nord­os­ten durch Berlin hindurch, denn der Stadt­teil Buch liegt außer­halb.
Jeden­falls weiß man, wenn man den Berli­ner Ring von außen erreicht: jetzt sind wir bald da!
Berlin hat aber mehr Ringe, nur heißen die anders. Und auch die sind exzen­trisch und krumm.
Der nächste, von außen gese­hen, ist der Außen­ring. Das ist eine Eisen­bahn­li­nie, die zwischen Berli­ner Ring und der ehema­li­gen Mauer um West-Berlin verläuft. Diesen Außen­ring hat nicht Hitler, sondern Ulbricht gebaut. Sie wissen ja, wie er vier­zehn Tage vor dem 13. August 1961 gesäch­selt hatte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errich­ten.“ Statt­des­sen hatte er sich schon jahre­lang damit beschäf­tigt, eine Eisen­bahn­li­nie durch die Einöde zu bauen. Als dann die Mauer über Nacht entstand, erwies sich diese Linie als ausge­spro­chen prak­tisch: sie verband Ost-Berlin mit Schö­ne­feld, Pots­dam und Orani­en­burg, ohne dass man durch das einge­mau­erte West-Berlin hätte fahren müssen.
Streng genom­men führt auch der Außen­ring nicht ganz um Berlin herum: er verläuft mitten durch das ehema­lige Ost-Berlin, was sich nach dem Mauer­bau gerade als güns­tig heraus­stellte.
Heute kann man leider nicht auf dem Außen­ring herum­fah­ren, ohne zwischen­durch den Zug zu wech­seln. Aber wenn Sie mal von Orani­en­burg oder Schö­ne­feld nach Pots­dam wollen, nehmen Sie den Außen­ring! Die Aussicht ist meist das, was man lieb­lich nennt, die Reise beru­hi­gend.
Berli­ner Ring und Außen­ring haben nicht dazu geführt, dass neben ihnen viel gebaut wurde. Beide gestat­ten vor allem Einblick in die Einsam­keit Bran­den­burgs.
Als nächs­tes kommt die Berli­ner Mauer, bezie­hungs­weise, seit­dem die abge­ris­sen ist, der Berli­ner Mauer­weg. Der führt nur um das ehema­lige West-Berlin herum, und es empfiehlt sich sehr, ihn mit dem Rad abzu­fah­ren. An manchen Stel­len ist West-Berlin bis hart an den Mauer­weg mit Hoch­häu­sern voll­ge­baut, an ande­ren Stel­len fährt man durch den gegen die Bauwut vertei­dig­ten Stadt­wald. Im Süden, bei Groß­zie­then, laufen der Berli­ner Stut­hir­ten­weg und die Bran­den­bur­ger Grenz­straße direkt neben­ein­an­der her. Da kann man genau verglei­chen, ob die alten oder die neuen Bundes­län­der mehr Geld für Stra­ßen­bau haben.
Weiter innen kommt dann die Ring­bahn, oft einfach Ring genannt. Das Trajekt in Form eines Hunde­kop­fes verlief im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert ähnlich weit­räu­mig um die Städte Berlin, Char­lot­ten­burg, Schö­ne­berg und etli­che Dörfer herum, wie heute der Außen­ring um ganz Berlin und Pots­dam. Der Ring liegt nun aber mitten drin, denn er hat das Wachs­tum der Stadt enorm geför­dert. Eine Rund­fahrt dauert genau sech­zig Minu­ten. Leider führt die Stadt­au­to­bahn mit ihren Schall­schutz­vor­rich­tun­gen neben ihm her. Auf langen Stre­cken lässt darum die Aussicht zu wünschen übrig.
Noch weiter innen befand sich früher die Akzi­se­mauer Fried­rich Wilhelms I., die das Schmug­geln und Deser­tie­ren erschwe­ren sollte. Das Bran­den­bur­ger Tor steht dort, wo die Akzi­se­mauer die Straße nach Bran­den­burg querte. Die Namen der übri­gen Tore findet man nur noch als Namen von Plät­zen oder Kreu­zun­gen. Wo die Mauer beim Schle­si­schen Tor auf den Ober­lauf der Spree stieß, schwamm in dieser der Ober­baum, kein Schlag­baum, sondern ein Schwimm­baum, wie das beim Zoll zu Wasser so war. Die Kreuz­ber­ger U‑Bahn folgt vom Halle­schen Tor an dem Verlauf der Akzi­se­mauer und fährt logi­scher­weise über die Ober­baum­brü­cke. Ansons­ten sieht man abge­se­hen von den Stra­ßen­na­men Torstraße und Lini­en­straße keine Spuren mehr von dieser Mauer. Aber damals markierte sie den ersten Wachs­tums­schub der Stadt.
Noch weiter innen gab es dann ganz früher die Festungs­mau­ern um die alte Doppel­stadt Berlin-Cölln. Heute wird dieses fast kreis­runde Gebiet im Südwes­ten nur noch von der Spree markiert, im Nord­os­ten von der Stadt­bahn. Das Gebiet nennt man heute Berlin-Mitte; aber ob es die Mitte Berlins ist, ist nicht sicher.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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