Die Schlacht am Nolli

Wenn heute ein US-Präsi­dent Berlin besucht, gibt es dage­gen in der Regel nur wenige und zumeist fried­li­che Proteste. Das war mal anders. Als 1982 bekannt wurde, dass Ronald Reagan im Rahmen einer NATO-Tagung West-Berlin besu­chen würde, entstand schnell eine breite Protest­be­we­gung dage­gen. Aufgrund der massi­ven atoma­ren Aufrüs­tung der USA und ihrer Unter­stüt­zung konter­re­vo­lu­tio­nä­rer Grup­pen in Nica­ra­gua ging die Ableh­nung durch das gesamte linke, alter­na­tive und fort­schritt­li­che Spek­trum. Gewerk­schaf­ten, Parteien, Frie­dens­grup­pen bis hin zur Haus­be­set­zer­be­we­gung woll­ten alle am 11. Juni demons­trie­ren, dem Tag von Reagans Aufent­halt in der halben Stadt. Es war auch klar, dass es von eini­gen Grup­pen zu gewalt­tä­ti­gen Ausein­an­der­set­zun­gen kommen würde, was die meis­ten jedoch ablehn­ten. Und so wurde nach vielen Gesprä­chen beschlos­sen, zwei Demons­tra­tio­nen zu veran­stal­ten: Eine sehr breite am Vortag des Besuchs und eine direkt am 11. Juni, während Reagans Anwe­sen­heit in Berlin.
Die Demo am 10.6.1982 wurde viel größer als erwar­tet, unge­fähr 80.000 Menschen nahmen daran teil, zeit­gleich gab es eine vier­mal so große Demo in der dama­li­gen Regie­rungs­haupt­stadt Bonn. Dies zeigte, dass es sehr viele Menschen gab, die gegen die Kalte-Kriegs-Poli­tik der US-Regie­rung auf die Straße gehen. Zwar kam es auch hier zu Konfron­ta­tio­nen mit der Poli­zei, aber das hielt sich in Gren­zen und eska­lierte nicht.

Anders jedoch am nächs­ten Tag: Schon am Morgen hatte die Poli­zei den Nollen­dorf­platz abge­sperrt, da die geplante Demons­tra­tion vom Gericht verbo­ten worden war. Stoß­stange an Stoß­stange stan­den die Mann­schafts­wa­gen, quer über die Straße waren bis auf 2 Meter Höhe mehrere Rollen Stachel­draht über­ein­an­der ausge­rollt. Als viel­leicht 4.000 Menschen auf dem Platz waren, wurden sie einge­kes­selt. Die Poli­zei wollte sie einzeln kontrol­lie­ren und mach­ten dazu an zwei Stel­len die Sperre auf. Dort kam es natür­lich zu Konfron­ta­tio­nen, die sich immer mehr auswei­te­ten. Vom Innern des Kessels flogen massiv Steine auf die Poli­zei, die sich aber nicht hinein traute, um die Angriffe zu been­den. Und auch von außen wurden die Beam­ten ange­grif­fen. Die Demons­tran­ten brachen schließ­lich durch, so dass die Poli­zis­ten in ihre Mann­schafts­wa­gen spran­gen. Mehrere dieser „Wannen“ fuhren dann in die Menge hinein, und mach­ten Jagd auf kleine Grüpp­chen. Die Beam­ten spran­gen raus, prügel­ten kurz auf jeden ein, den sie erwi­schen konn­ten und fuhren sofort weiter.

Um die Poli­zei zu stop­pen, wurde ein Einrich­tungs­ge­schäft geplün­dert und aus den Möbeln Barri­ka­den gebaut, die ange­zün­det wurden. Einer der Mann­schafts­wa­gen blieb im eige­nen Poli­zei-Stachel­draht hängen und wurde von den Leuten umge­wor­fen. Den Poli­zis­ten gelang es noch, mit ihren Waffen zu flie­hen, aber das Fahr­zeug wurde ange­zün­det und brannte völlig aus.

Rund sechs Stun­den lang tobten die Kämpfe, die sich vom Nollen­dorf- bis zum Winter­feld­platz und die umlie­gen­den Stra­ßen ausbrei­te­ten. Es war eine der längs­ten und brutals­ten Stra­ßen­schlach­ten der 1980er Jahre in West-Berlin und die größte öffent­li­che Aktion unter dem Selbst­ver­ständ­nis als Auto­nome. Am Ende gab es Dutzende Verletzte auf beiden Seiten sowie mehr als hundert Fest­nah­men.

Zwar gelang es den Demons­tran­ten nicht, die Gegend zu verlas­sen und eine Demons­tra­tion in Rich­tung Schloss Char­lot­ten­burg durch­zu­füh­ren, wo Reagan eine Rede hielt. Doch der Massen­pro­test vom Vortag und die schwe­ren Krawalle an diesem Frei­tag sorg­ten welt­weit für ein brei­tes Echo. Die Aussage war, dass die Außen­po­li­tik der USA es in der Bundes­re­pu­blik von vielen abge­lehnt wurde.

Inner­halb West-Berlins führ­ten die Krawalle dazu, dass es schwere Vorwürfe der bürger­li­chen Parteien gegen die Alter­na­tive Liste (heute Grüne) gab, da diese die Demo ange­mel­det hatten, nach dem Verbot aber nicht absag­ten. Die Auto­no­men gerie­ten in der linken und Haus­be­set­zer­szene eben­falls unter Druck, weil solche Krawalle Sympa­thien in der Bevöl­ke­rung koste­ten.

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2 Kommentare

  1. Die geplante Demo war zwar vom Berli­ner Gericht (Berlin-West) verbo­ten worden, aber im Gegen­zug von den West­al­li­ier­ten in Berlin — auch den Ameri­ka­nern — ausdrück­lich _erlaubt_ worden.
    Somit war die Demons­tra­tion ausdrück­lich legal.

    • … und damit war die Einkes­se­lung des “Demo­kerns” auf dem Platz rechts­wid­rig!
      Aber davon war in den Nach­rich­ten leider nichts zu hören oder zu lesen. Auf dem Platz selbst war die Eska­la­tion “von 0 auf 100” direkt zu spüren und entlud sich spon­tan in Stei­ne­ha­gel Rich­tung “Ordnungs­kräfte”. Es hat keine 15 Minu­ten gedau­ert bie es einige Demons­tran­ten geschafft haben den Nato­draht in Rich­tung Bülow­strasse ausein­der­zu­zie­hen, konnte ich dieser extre­men Situa­tion entkom­men, und dann begann die Jagd auf einzelne Grup­pen — seit­dem war ich nie wieder auf einer Demo … vielen Dank dafür dem “Rechts”-Staat” … :(

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