Harnröhren und Wassertunnel

Von merk­wür­di­gen Faschis­ten, Ausein­an­der­set­zun­gen in Parteien, Piss­rin­nen, Auffang­be­cken, Krawal­len, Terror und Sexis­mus

 

Partei­en­zank

Das mit den Rechts­ra­di­ka­len ist schon komisch: Da werfen sie den „bürger­li­chen“ Parteien vor, unde­mo­kra­tisch zu sein, obwohl sie selber mindes­tens genauso schlimm sind. Sie fordern „Recht und Ordnung“ ein und „harte Verfol­gung von Krimi­nel­len“ – und haben selber dabei oft verur­teilte Straf­tä­ter in ihren Reihen, manch­mal sogar in hohen Funk­tio­nen. Oder wenn einer der führen­den Kame­ra­den inner­halb der Orga­ni­sa­tion einen Macht­kampf verliert, heult er schein­hei­lig über die „Verschwö­rung von rechts“. So erging es im Sommer 2015 Bernd Lucke mit seiner AfD: Er wurde von Frauke Petry raus­ge­drängt und verließ die Partei, um eine neue zu grün­den, von der man aber bis heute nichts hört. Fürch­ter­lich beklagte er sich über den „Rechts­ruck“ in der AfD, den er jedoch selber einge­führt hatte. Petry hetzte in der Folge­zeit massiv gegen Flücht­linge und schwa­felte davon, dass man das „Völki­sche“ in Deutsch­land wieder hoffä­hig machen müsse.
Aber es hat ihr nichts genutzt, zwei Jahre später wurde sie eben­falls raus­ge­ekelt. Und auch sie beklagte sich darüber, dass „die Rech­ten“ in der AfD nun die Macht über­nom­men hätten. Auch sie grün­dete eine neue Partei.
Das neuste „Opfer“ ist nun Beatrix von Storch. Beim Berli­ner Partei­tag sägten die Dele­gier­ten sie als Landes­vor­sit­zende ab. Initia­tor des Aufstands gegen Storch war Andreas Wild. Obwohl man der Stör­chin sicher nicht vorwer­fen kann, mensch­li­che Grund­sätze zu haben (so forderte sie, dass man auf Flücht­linge an der Landes­grenze notfalls auch schießt), wurde sie nun von noch weiter rechts außen gestürzt. Wild labert von „Schuld­kult der Deut­schen“ und forderte, Flücht­linge in spezi­elle Lager einzu­sper­ren.

Doch nicht nur bei den Arsch­lö­chern für Deutsch­land gibt es Macht­kämpfe, auch an der Berli­ner SPD-Spitze rumort es. Raed Saleh, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der Partei im Abge­ord­ne­ten­haus, griff den Partei­chef und Regie­ren­den Bürger­meis­ter Michael Müller scharf an und machte ihn mitver­ant­wort­lich für die schlech­ten SPD-Ergeb­nisse bei der Bundes­tags­wahl. Indi­rekt forderte er dessen Rück­tritt. Dieser Schuss ging aller­dings nach hinten los. Denn rund ein Drit­tel der Frak­ti­ons­mit­glie­der veröf­fent­lichte darauf­hin einen Brief, in dem sie ihrem Chef vorwar­fen, seine Arbeit eben­falls nicht rich­tig zu machen. Auf fünf Seiten liste­ten sie auf, weshalb sie mit seiner Arbeit unzu­frie­den seien, dass er sich mehr um die Selbst­dar­stel­lung als um die Frak­ti­ons­po­li­tik kümmere, dass er bei wich­ti­gen Termi­nen nicht anwe­send sei, nicht mal bei Plenar­sit­zun­gen und dass es intern keine funk­tio­nie­rende Kommu­ni­ka­tion gäbe.
Beim SPD-Partei­tag gestern wurde nun die Einig­keit der Partei beschwo­ren. Alle gelob­ten Besse­rung. Und wie man die SPD kennt, wird dieser gute Vorsatz auch bis weit in die neue Woche halten.

Gezänk gibt es auch inner­halb der Poli­zei. Nach Vorwür­fen gegen die Poli­zei­aka­de­mie, dass Anwär­ter dort Frauen sexu­ell bedrän­gen, andere Kolle­gen bedro­hen, und dass ein Teil von ihnen krimi­nel­len Clans ange­hö­ren sollen, ging der Poli­zei­prä­si­dent nun in die Offen­sive. Klaus Kandt wies alle Vorwürfe zurück. Offen­bar lässt er sich auch nicht von verschie­de­nen Aussa­gen von Schü­lern, Ausbil­dern und der Gewerk­schaft irri­tie­ren, die die Vorwürfe bestä­ti­gen.
Innen­se­na­tor Andreas Geisel hat jetzt eine Aufklä­rung inner­halb der nächs­ten vier Wochen gefor­dert. Wer die Berli­ner Poli­zei kennt, wird sich davon aber nicht viel verspre­chen. Sie ist seit Jahr­zehn­ten dafür bekannt, dass sie intern klün­gelt, der Corps­geist ist stär­ker als das Bewusst­sein, dass eine Demo­kra­tie auch eine offene Poli­zei braucht. Dass Kandt die Vorwürfe so vehe­ment zurück­weist, ist ein Beleg dafür, dass eine tatsäch­li­che Aufklä­rung wohl nicht gewollt wird. Gegen­maß­nah­men sind deshalb auch kaum er zu erwar­ten.

Görli, Rinne, Tunnel

An ande­rer Stelle funk­tio­niert mal was, soll aber wieder been­det werden. Seit dem Sommer 2016 hat der Görlit­zer Park in Kreuz­berg einen soge­nann­ten Park­ma­na­ger. Der Sozi­al­päd­agoge Cengiz Demirci hat zusam­men mit eini­gen „Park­läu­fern“ erreicht, was weder der Hard­core-Innen­se­na­tor Frank Henkel mit seiner Null-Tole­ranz-Poli­tik und über­trie­be­nen Poli­zei­prä­senz, noch die schein­hei­lige grüne Bürger­meis­te­rin Monika Herr­mann (auch „mehr Poli­zei“) schaff­ten: Im Görli sind die Drogen­ver­käufe, die Gewalt­de­likte, Dieb­stähle und sogar die Zahl der nicht ange­lein­ten Hunde stark zurück­ge­gan­gen. Gut, vor ein paar Tagen wurde ein 23-Jähri­ger dabei erwischt, wie er auf dem Kinder­bau­ern­hof einen Esel von hinten genom­men hat, aber ansons­ten gibt es auch weni­ger sexu­elle Über­griffe als früher.
Vermut­lich liegt es daran, dass Demirci nicht konfron­ta­tiv auf die Menschen zugeht, sondern in Ruhe und Respekt mit ihnen spricht. Doch sein Erfolg wird nun vom soge­nann­ten „Grün­dungs­rat für einen Park­rat“ infrage gestellt. Die 15 Mitglie­der werfen ihm vor, zu viele Ideen zu haben, aber kein Konzept. Und dass er diese auch noch durch­setzt, ohne vorher das selbst ernannte Zentral­ko­mi­tee zu fragen. Deshalb haben sie sich beim Bezirks­amt über Demirci beschwert. Auch manche Anwoh­ner bedro­hen ihn: Seine Maßnah­men würden den Görlit­zer Park aufwer­ten, es drohe eine Gentri­fi­zie­rung.
Vor eini­gen Jahr­zehn­ten, als der Park noch ein still­ge­leg­tes Bahn­hofs­ge­lände war, gab es quer dadurch einen Fußgän­ger­tun­nel, den alle nur die „Piss­rinne“ oder “Harn­röhre” nann­ten. Man versuchte immer, möglichst lange die Luft anzu­hal­ten, wenn man da durch musste. Reste der Rinne sind heute noch erhal­ten. Viel­leicht wollen die Anwoh­ner ja diesen Duft des alten Kreuz­bergs wieder.

Tunnel gab es einst auch unter der Grenze zwischen Mitte und dem Wedding. Während dort Anfang der 1960er Jahre Menschen vom sozia­lis­ti­schen Para­dies in die kapi­ta­lis­ti­sche, „selbst­stän­dige poli­ti­sche Einheit West­ber­lin“ flüch­te­ten, wird nun ein paar hundert Meter weiter von staat­li­cher Seite ganz offi­zi­ell ein neuer Tunnel gegra­ben. Wo sich der Mauer­park befin­det, begin­nen in diesen Tagen die Bauar­bei­ten für einen Tunnel der Super­la­tive. Für 20 Millio­nen Euro soll ein Groß­teil des Parks unter­kel­lert werden. Eine riesige Bohr­ma­schine gräbt dann eine 650 Meter lange und fast vier Meter hohe Röhre unter den Park. Sie soll ab 2020 helfen, Über­schwem­mun­gen zu vermei­den. Bis zu 7.400 Kubik­me­ter Wasser kann sie aufneh­men, wenn es mal Stark­re­gen gibt und das Abwas­ser nicht unge­klärt in Spree und Panke flie­ßen sollen. Der Tunnel staut das Wasser auf, bis die regu­lä­ren Leitun­gen wieder frei sind. An der Chaus­see­straße entsteht sogar ein fast drei­mal so großes Auffang­be­cken.
Die Feiern­den, die vor allem an den Wochen­ende den Mauer­park nutzen, werden sich während der Bauar­bei­ten einschrän­ken müssen. So wird der Eingang an der Ebers­wal­der Straße vorüber­ge­hend gesperrt, manche Ange­bote (wie der Floh­markt) müssen verklei­nert oder ganz einge­stellt werden. Und auch ob es die Karaoke-Show weiter geben wird, die in allen Touris­ten­füh­rern so ange­prie­sen wird („die MUSS man sehen, sie ist so TYYY­PISCH Berlin!!!“) ist unklar. Alles in allem werden die kommen­den zwei Jahre für die Hips­ter aus dem Prenz­lauer Berg und Mitte sicher hart.

Arbei­ter­kra­walle?

Krawall werden die aber bestimmt nicht machen. Da darf man sich jedoch bei den Arbei­tern von Siemens nicht so sicher sein. Bis zu 4.000 ihrer Jobs könn­ten in den nächs­ten Jahren in Berlin wegfal­len. Ausge­rech­net nach­dem der Konzern mit 6 Milli­ar­den Euro den höchs­ten Gewinn seiner Geschichte gemacht hat, gibt er bekannt, dass es demnächst zu Massen­ent­las­sun­gen kommen wird. In Berlin stehen die Turbi­nen­fer­ti­gung in Moabit sowie das Dyna­mo­werk in Siemens­stadt auf der Liste. Genaues soll in der kommen­den Woche bekannt werden, aber die Kolle­gen in den Werken gehen schon jetzt auf die Barri­ka­den. „Wir können unsere Leute kaum noch zurück­hal­ten“, sagte der Betriebs­rats-Chef von Siemens­stadt. Sein Kollege von der Gewerk­schaft IG Metall meint: „Wenn das Dyna­mo­werk geschlos­sen werden soll, werden wir es anzün­den.“
Wie schrieb schon 1863 Georg Herwegh in seinem „Bundes­lied“ für den Allge­mei­nen Deut­schen Arbei­ter­ver­ein:
Mann der Arbeit, aufge­wacht
Und erkenne deine Macht.
Alle Räder stehen still
Wenn dein star­ker Arm es will!

Terror

Rech­ter Terror war es, an den am vergan­ge­nen Donners­tag erin­nert wurde. In der Nacht des 9. Novem­ber 1938 fand die soge­nannte Kris­tall­nacht statt. Die SA ermor­dete etwa 400 Juden, tausende Geschäfte sowie 1.400 Synago­gen und Gebets­räume wurden zerstört, ein Groß­teil davon ange­zün­det. In den folgen­den Tagen sind 30.000 Juden verhaf­tet worden.

Die Täter von damals haben noch heute Kinder im Geiste. Sie terro­ri­sie­ren zum Beispiel seit Jahren demo­kra­ti­sche, anti­fa­schis­ti­sche Menschen rund um die Hufei­sen­sied­lung in Britz, mit Bedro­hun­gen, körper­li­chen Angrif­fen, Brand­stif­tun­gen. Dies­mal haben die Täter kurz vor dem 9. Novem­ber zahl­rei­che Stol­per­steine aus dem Boden gehe­belt und gestoh­len. Diese Steine erin­nern jeweils an ein Opfer des Holo­causts oder – wie in diesem Fall – an Menschen, die direk­ten Wider­stand gegen den Nazi­staat geleis­tet haben und dafür umge­bracht wurden. Die Faschis­ten von heute haben dort zwischen 16 und 20 Stol­per­steine gestoh­len; sicher würden sie statt­des­sen lieber die Anti­fa­schis­ten von heute direkt vernich­ten.

Terror war es auch, als am 19. Dezem­ber 2016 ein Isla­mist bei einem Anschlag auf dem Breit­scheid­platz 12 Menschen tötete und rund 70 verletzte. Doch erst jetzt, elf Monate nach der Tat, schafft es der Senat, eine Anlauf­stelle für Terror­op­fer einzu­rich­ten. Sie soll „möglichst bald“ die Arbeit aufneh­men. Direkt Betrof­fene oder deren Ange­hö­rige sollen dort betreut werden. Aber solche Menschen brau­chen nicht erst nach fast einem Jahr inten­sive Betreu­ung, sondern sofort. Notfall­psy­cho­lo­gen müssen sich unmit­tel­bar nach dem Ereig­nis um die Opfer kümmern können. Aber offen­bar ist die Berli­ner Büro­kra­tie nicht in der Lage, so „schnell“ zu reagie­ren.

Schlim­mer Sexis­mus

Probleme ganz ande­rer Art haben Studie­rende der Alice-Salo­mon-Hoch­schule in Hellers­dorf. An deren Haus­wand steht das spani­sche Gedicht „Aveni­das“ des 92-jähri­gen boli­via­nisch-schwei­ze­ri­schen Schrift­stel­lers Eugen Gomrin­ger:
Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewun­de­rer

Der Asta der Hoch­schule hat dieses Gedicht nun als sexis­tisch entlarvt. Nicht etwa, weil Frauen darin belei­digt oder bedroht werden, oder weil sie als Sexu­al­ob­jekte betrach­tet werden, sondern weil der Künst­ler sie anschei­nend bewun­dert. Aber das ist den Studen­ten auch nicht recht:
“Ein Mann, der auf die Stra­ßen schaut und Blumen und Frauen bewun­dert. Dieses Gedicht repro­du­ziert nicht nur eine klas­si­sche patri­ar­chale Kunst­tra­di­tion, in der Frauen ausschließ­lich die schö­nen Musen sind, die männ­li­che Künst­ler zu krea­ti­ven Taten inspi­rie­ren”, schreibt der Asta. “Es erin­nert zudem unan­ge­nehm an sexu­elle Beläs­ti­gung, der Frauen alltäg­lich ausge­setzt sind.”

Selbst­ver­ständ­lich gibt es Frauen, die sich auch durch Freund­lich­kei­ten sexu­ell beläs­tigt oder ange­grif­fen fühlen, das haben ja gerade die vergan­ge­nen Wochen gezeigt. Das ist auch nach­voll­zieh­bar, wenn Freund­lich­keit als Vehi­kel zur sexu­el­len Beläs­ti­gung genutzt wird. Aber es stellt sich schon die Frage, ob das über­trie­bene „Sexismus!“-Geschrei bei einem solchen Gedicht nicht eine Verharm­lo­sung tatsäch­li­cher sexis­ti­scher Anma­che und Gewalt darstellt.
Die Entschei­dung, was nun mit dem Gedicht an der Wand gesche­hen soll, will der Akade­mi­sche Senat der Hoch­schule im Januar 2018 tref­fen.

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