Was hat mein Opa getan?

Es ist eine Frage, die sich viel­leicht Hundert­tau­sende von Menschen gestellt haben, die in den Jahr­zehn­ten nach dem Zwei­ten Welt­krieg gebo­ren wurden. In den Fami­lien wurde oft nicht darüber gespro­chen, was der Ehemann, Bruder, Vater oder Groß­va­ter als Soldat erlebt – und viel­leicht verbro­chen – hat. Egal, ob sie wieder zurück­ka­men oder „verschol­len“ blie­ben, die Solda­ten der Deut­schen Wehr­macht waren auch an Kriegs­ver­bre­chen betei­ligt. Sie unter­stütz­ten die Waffen-SS bei der Ermor­dung von Millio­nen jüdi­scher Menschen, brann­ten ganze Dörfer im Osten Euro­pas nieder. Dass sie im Nach­hin­ein darüber schwie­gen, ist verständ­lich. Ob aus Scham oder weil es sie selber trau­ma­ti­siert hat.

Auch mein eige­ner Opa Georg Tank ist „im Krieg geblie­ben“. Was ich aber von ihm weiß: Er ist im Osten deser­tiert, um sich nach Berlin durch­zu­schla­gen. Hier wollte er meine Oma heira­ten, hatte aber keinen Heimat­ur­laub bekom­men. Mein Opa wurde erwischt und in eine Straf­kom­pa­nie gesteckt. Immer­hin nicht gleich erschos­sen, wie viele andere Deser­teure. Ob es auch poli­ti­sche Gründe waren, die ihn zur Flucht beweg­ten, weiß ich nicht.

Vor Kurzen ist nun das Buch „Der Duft der Kiefern“ erschie­nen, in dem die Berli­ne­rin Bianca Schaal­burg die Geschichte ihrer Fami­lie beschreibt, und zwar in Form eines Comics. Bei ihr geht es um den Opa Hein­rich, der in Riga statio­niert war. Das unglaub­lich span­nende Buch zeich­net die Geschichte der eige­nen Fami­lie nach, die der Verwand­ten sowie der Nach­barn, für die heute drei Stol­per­steine vor der Haus­tür liegen. Durch das Medium Comic kann Schaal­burg viele Situa­tio­nen auch bild­lich darstel­len, die sonst nur beschrie­ben werden müss­ten. Mal taucht sie ein in die Wälder von Riga, zu den Massen­er­schie­ßun­gen von Juden und Jüdin­nen. Paral­lel dazu der Blick in die Zehlen­dor­fer Wohnung, das Leben einer „arischen“ Fami­lie zu Kriegs­zei­ten. Die Autorin und Zeich­ne­rin beschreibt auch, wie sie recher­chiert hat, wie immer mehr Frag­mente auftauch­ten. Doch mit denen taten sich neue Fragen auf, viele konn­ten nicht beant­wor­tet werden.

Das Buch, das es nur in Hard­co­ver-Version gibt, lässt einen nicht kalt. Man spürt den Wunsch von Frau Schaal­burg, mehr über die eigene Geschichte zu erfah­ren, trotz der Angst, was dies sein könnte.

„Der Duft der Kiefern“ ist aber nicht nur eine Fami­li­en­ge­schichte, sondern gleich­zei­tig ein Geschichts­buch. Man lernt eini­ges über das Leben während des NS-Zeit. Über das Denken vieler Nicht-Juden, über den Holo­caust, über das Schwei­gen danach. Und über die Lügen derje­ni­gen, die davon profi­tiert haben und viel­leicht sogar aktiv mitmach­ten. In mir ist nach der Lektüre der Wunsch gewach­sen, mehr über meinen Groß­va­ter zu erfah­ren.

Im hinte­ren Teil erfährt man noch eini­ges über die Nach­kriegs­zeit, Befrei­ung, Besat­zung, Blue Jeans und Rock’n’Roll, wieder das Schwei­gen der Deut­schen, Ost- und West-Berlin.

„Der Duft der Kiefern“ gehört zu den Büchern, die man erst wegle­gen kann, wenn man auf der letz­ten Seite ange­kom­men ist. Es ist abso­lut empfeh­lens­wert.

Bianca Schaal­burg:
Der Duft der Kiefern
Avent-Verlag, Berlin
208 Seiten, 26 EUR
ISBN 978–3‑96445–0586

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