Lebenssatt gegangen

Christa Schaffmann
25. April 1947 – 15. August 2023

„Man darf nicht sagen, man sei lebensmüde, sondern lebenssatt!“ So hat mir meine einstige Chefin und spätere Freundin Christa Schaffmann erklärt, wie sie Hilfe von einem Verein bekam, um sich selbst umzubringen. Nicht in der Schweiz, sondern in ihrer Wohnung in Berlin-Mitte. Ein Notar, eine Medizinerin sowie wenige Freunde waren dabei, als sie sich selbst das Gift in die Venen gespritzt hat. Damit ging ein Leben zu Ende, das alles andere als gradlinig verlief.

Es fing schon in ihrer Jugend in Ost-Berlin an. Sie wollte Journalistik studieren, sollte dafür aber in die FDJ eintreten, in die staatliche Jugendorganisation. Das lehnte sie ab. Nicht, weil sie es politisch nicht wollte, sondern weil sie das als Zwang ansah, was es ja auch war. Stattdessen fuhr sie nach Leipzig, wo die einzige Journalistenschule der DDR lag. Sie legte dem Rektor ihre Noten vor und konnte ihn überreden, sie für ein Jahr aufzunehmen. Danach durfte sie ihr Studium beginnen und wollte dann auch in die FDJ eintreten – durfte nun aber nicht.

Ähnlich ging es weiter, als sie nach dem erfolgreichen Studienabschluss wieder nach Berlin kam. Sie landete beim Rundfunk in der Nalepastraße und reifte dort zu einer engagierten Journalistin. Einige Jahre später wechselte sie zur Berliner Zeitung. Dort verbrachte sie viele Jahre in der Auslandsredaktion, spezialisierte sich auf Afrika, veröffentlichte auch mehrere Bücher zum Thema Simbabwe, aber auch die Kämpfe in Nordirland. Sie brachte es in der Redaktion bis nach oben, entsprechend tief war der Fall, als nach dem Ende der DDR auch unter der Journalisten der eiserne Besen umging.

Christa kümmerte sich um ihr einziges Kind, einen selbstbewussten Jungen. Gleichzeitig jobbte sie, versuchte sich mit eigenem Gewerbe, aber es war nichts, was sie wirklich wollte. Als in New York die Flugzeuge ins World Trade Center flogen, hatte sie gerade eine Anstellung als Pressesprecherin in einem Psychologenverband angefangen und konnte dort ihre Professionalität unter Beweis stellen. Noch im selben Jahr lernte ich sie kennen, als ich als ihr Assistent ebenfalls in dieser Presseabteilung anfing.

Mehr als zehn Jahre hatte Christa Schaffmann nun mit anderen Journalisten zu tun, tauchte tief in das Thema Psychologie ein, wurde eine Expertin und war auch von vielen PsychologInnen anerkannt. Als sie Mitte der Zehnerjahre in Rente ging, war ihr Sohn bereits erwachsen, zog nach Schottland.
Irgendwann kam dann die Nachricht, dass er Krebs hat, eine besonders schlimme Art, die praktisch nicht heilbar ist. Ab jetzt lebte sie hauptsächlich noch für ihn, schrieb aber auch weiterhin für Tageszeitungen und psychologische Fachblätter.
Im Dezember 2020 starb ihr Kind unter großen Schmerzen, sie war dabei an seiner Seite. Danach beschäftigte sie sich viel mit dem Thema Suizid und Suizidassistenz. Noch vor einem Monat erschien dazu ein Artikel von ihr.

Vor ein paar Wochen erzählte sie mir, dass sie das Thema auch für sich selber recherchiert hat. „Stirb Du nicht so wie ich“, hatte ihr Sohn noch kurz vor seinem Tod zu ihr gesagt. Als sie dann selbst die Krebsdiagnose bekam, war ihre Entscheidung gefallen. Sie würde Ihren Weg so konsequent weitergehen, wie sie gelebt hat. Selbstbestimmt leben, selbstbestimmt sterben.

„Ich bin nie in diesem Land angekommen“, sagte sie mir. Bei aller Kritik an den Verhältnissen in der DDR und dem Umgang des Staates mit ihr, war sie doch auch nie vom System der Bundesrepublik überzeugt. Dies, der Tod ihres Sohnes und schließlich die eigene Diagnose hat sie zur Entscheidung gebracht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Unser letztes Gespräch fand vor wenigen Tagen statt. Sie war traurig, dass manche Leute sie immer noch von ihrem Entschluss abhalten wollten, ihn nicht akzeptierten. Sie sollten sie besser kennen.

Wir glauben ja beide nicht an das christliche Weltbild, trotzdem habe ich Christa gesagt, dass ich ihr wünsche, irgendwo vielleicht ihren Sohn wiederzusehen. Ich hoffe sehr, dass sie das nun tun kann.

Foto: Wolfgang Gebhardt, WOGE-Design

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9 Kommentare

  1. Ich verbeuge mich mit Hochachtung vor Christa Schaffmann, es war mir vergönnt, viele Jahre im BDP mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen. Aufrecht, kompetent, gradlinig, scharfsinnig; so hat sie gelebt und ihr persönliches Schicksal mit Würde ertragen.
    Ihr Freitod ist eine logische Konsequenz ihrer Lebenseinstellung.

  2. Ich kenne Christa aus der Grundschulzeit, kannte auch ihre Mutter. Christa hatte immer Bestnoten, sie war loyal und hatte Verständnis für andere Schüler, die nicht so begabt waren. Ich hatte sie immer gerne, man konnte sich auf sie verlassen. Der Freitod von Christa nimmt mich sehr mit! Man muß aber ihren Freitod akzeptieren, auch da war sie stark!

  3. Ich kannte sie auch nicht. Sie ist eine sehr eindrucksvolle Persönlichkeit und hat eine sehr beeindruckende und sprechende Biographie. Ich wünsche ihr von Herzen ein Wiedersehen mit dem Sohn.

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