Als im Mai 2005 das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas eröffnet wurde, war es sehr umstritten. Vorher hatte es eineinhalb Jahrzehnte lang Diskussionen gegeben und das Ergebnis hat vielen nicht gefallen. Dabei ist dieses Mahnmal auf dem ersten Blick gar nicht zu begreifen, man versteht es nur, wenn man es betritt. Dann spürt man, dass es mehr vermittelt als nur einen optischen Eindruck. Um die Aussage des Ortes zu begreifen, muss man sich mit allen Sinnen darauf einlassen, denn es symbolisiert den Weg, den die europäischen Juden während der Nazizeit gegangen sind.
Ich stehe vor dem grauen Ungetüm und bin dabei unschlüssig, was ich davon halten soll. Was erwartet mich in der Zukunft? Was ich schon vor Augen habe ist, dass sie nicht schön ist. Grau, unübersichtlich, eine diffuse Bedrohung. Noch habe ich die Hoffnung, einigermaßen zu überblicken, was da vor mir liegt, langsam gehe ich hinein. Schon jetzt, ganz am Anfang, spüre ich, dass der Weg nicht glatt ist. Es ist unangenehm, darauf zu gehen. Neben mir die ersten Stelen, niedrig noch, aber sie vermitteln bereits eine böse Ahnung. Doch es nützt nichts, ich muss da durch.
Mit jedem Schritt wächst die Wand neben mir immer höher, sie verhindert bereits, mich frei für eine Richtung zu entscheiden. Schon bin ich im gedachten Jahr 1938 angelangt. Der Boden bewegt sich nun bei jedem Schritt. Mal wiegt er sich nach links, dann nach rechts, aber immer geht er auch nach unten. Es ist das Gefühl, eine kaputte Kellertreppen hinab zu steigen.
Längst kann man nicht mehr nebeneinander laufen. Jeder muss seinen Weg allein gehen. Und dieser führt mich weiter rein ins Dunkle. Die Stelen überragen mich nun, bei jedem Schritt wachsen sie weiter. Festhalten geht nicht, weil die Wände glatt sind und abweisend.
Jetzt bin ich im Innern des Felds angelangt. Ich habe die Orientierung verloren, nur manchmal sehe ich ein paar Meter weiter jemanden einen ähnlichen Weg gehen. Diejenigen, die von der Seite kommen, lasse ich vorbei, ohne sie weiter zu beachten. Sie sind Fremde, und jetzt im Jahr 1943 oder ’44 knüpft man keine neuen Kontakte mehr.
Es ist aussichtslos. Um mich herum scheinen die viereinhalb Meter hohen Wände immer näher zu kommen, als wenn sie dich über mir zusammenziehen wollen, um mich einzuschließen, zu begraben.
Ich kriege Panikgefühle, will hier nur noch raus. Und anders als die Menschen damals darf ich es auch.
Draußen setze ich mich auf einen der niedrigen Blöcke und weine. Nie hätte ich erwartet, dass mich der Besuch des Holocaust-Mahnmals so intensiv in diese verdammte deutsche Geschichte hineinzieht. Ich brauche ein paar Minuten, um mich zu beruhigen. Von außen schaue ich wieder auf das Stelenfeld, an dem ich ja schon hunderte Male achtlos vorbei gefahren bin. Es sieht wieder harmlos aus, nicht schön, aber auch nicht wirklich beklemmend. Doch das täuscht.
Der Architekt Peter Eisenman hat es geschafft, den Weg der Juden symbolisch so nachzuzeichnen, dass die persönliche Bedrohung spürbar wird. Es wird lange dauern, bis ich dort nochmal rein gehe.
im doppelten Sinne (Berlin-Street war gestern und heute Vormittag nicht erreichbar) freue ich mich das Du wieder aufgetaucht bist. Dein Bericht nehme ich zum Anlass auch noch einmal durch das Stelenfeld zu gehen. Vor ein paar Jahren habe ich das schon mal getan und war auch beeindruckt obwohl ich vorher eher zu den Kritikern gehört habe. So betroffen wie Du es hier beschreibst war ich allerdings nicht, deshalb werde ich noch mal starten und auf einige hier angesprochene Punkte achten.
Ja, da kommt man zwangsläufig immer wieder dran vorbei. Und sehr oft wird man von Touristen darauf angesprochen, was das denn sei.
“Das ist das Holocaust Mahnmal.”
“Das ist aber hässlich.”
“Das soll ja auch nicht “schön” sein. Wollen Sie so etwas vergolden?”
@Ela
Ja, tu das. Es ist auch immer eine Frage, wie weit man sich auf den Ort einlässt. Bei meinem ersten Besuch vor ein paar Jahren habe ich das auch viel oberflächlicher wahrgenommen.
Es gab gestern und heute Serverprobleme, die auch noch nicht ganz behoben sind. Ich hoffe, das heute noch in den Griff zu kriegen.
@Klaus
Das kenne ich auch. Künftig werde ich meinen Fahrgästen sagen, dass sie es sich nicht nur von außen anschauen sollen, sondern reingehen, bevor sie ihr Urteil fällen.
Ich werde demnächst mit polnischen und deutschen Jugendlichen an einem Workshop unterhalb des Mahnmals teilnehmen. Und ja, ich gebe es zu, ich werde das Mahnmalgelände dann das erste mal betreten.