Glockenturm am Olympiastadion

Seit dem Sommer 1979 haben die Berli­ner und die Gäste der Stadt wieder die Möglich­keit, den viel gerühm­ten Rund­blick von der Platt­form des Glocken­turms auf das Olym­pia-Gelände, die Berli­ner Innen­stadt, Span­dau und das Havel­land mit Fern­sich­ten bis Pots­dam, Nauen und Hennigs­dorf zu genie­ßen. Im Osten sind bei klarer Sicht die Müggel­berge zu sehen, und auf den Funk­turm glaubt man hinab­zu­schauen. Nach Süden blickt man auf die weiten Flächen des Grune­walds, die auswär­tige Besu­cher immer wieder zu der erstaun­li­chen Frage führt: “Das alles ist noch Berlin?” Viele meinen, dass man von keiner ande­ren Stelle aus einen besse­ren Eindruck von der schö­nen Lage Berlins inmit­ten der Wälder und Seen der märki­schen Land­schaft gewin­nen kann.
Der Glocken­turm gehört zur Gesamt­an­lage des 1934 bis 1936 nach den Plänen von Profes­sor Werner March (mit Unter­stüt­zung seines Bruders Walter March) für die XI. Olym­pi­schen Spiele 1936 erbau­ten, 132 ha großen, “Reichs­sport­fel­des”. Im Mittel­punkt dieser ihrer Über­sicht­lich­keit und Land­schafts­ver­bun­den­heit einma­li­gen Anlage liegt das Olym­pia­sta­dion, welches das 1913 für die ausge­fal­le­nen Olym­pi­schen Spiele von 1916 inmit­ten der Renn­bahn Grune­wald errich­tete Deut­sche Stadion ersetzte.
Die Entwürfe des Stadi­ons beru­hen auf einem gründ­li­chen Studium ähnlich großer auslän­di­scher, insbe­son­dere ameri­ka­ni­scher Sport­an­la­gen. Sie waren schon 1933 fertig, wurden aber noch im glei­chen Jahr geän­dert, nach­dem es gelun­gen war, die Wider­stände gegen die Besei­ti­gung der Pfer­de­renn­bahn des exklu­si­ven Union-Klubs zu über­win­den. Dadurch wurde eine groß­zü­gi­gere Gestal­tung des Stadi­ons und des Gesamt­ge­län­des möglich.

Das Bauwerk
Der Glocken­turm steht als beson­de­res Kenn­zei­chen dieser Gesamt­an­lage in der Mitte der von den Seiten lang­sam bis zu 19 m Höhe anstei­gen­den, mit Zuschau­er­tri­bü­nen verse­he­nen, west­li­chen Umwal­lung des Maifel­des. Es schließt­Der neue Glocken­turm vom Maifeld aus gese­hen die Gesamt­an­lage nach Westen ab und über­ragt sie mit seiner lich­ten Höhe von 77,17 m (145 über NN) weit­hin. dadurch wird dem Besu­cher schon lange vor dem Betre­ten des Olym­pia-Gelän­des von Osten her der Zusam­men­hang aller Bauwerke klar.
Auf dem Glocken­turm gelangt man mit einem Express­auf­zug (Fahr­zeit 25 Sekun­den), der den Besu­cher bis zur Glocken­stube fährt. Hier hängt die nach dem Vorbild der beschä­dig­ten alten Glocke gegos­sene neue Olym­pia­g­lo­cke. Sie trägt auf ihrem unte­ren Rand neben den fünf olym­pi­schen Ringen die Inschrift “Ich rufe die Jugend der Welt — Olym­pi­sche Spiele 1936” und außer­dem auf dem Mantel als Symbole das Bran­den­bur­ger Tor und den Adler.
Von der Glocken­stube aus ist es nur noch ein kurzer Aufstieg bis zur Platt­form, der den Besu­chern den schon geschil­der­ten herr­li­chen Ausblick auf Berlins City, Seen und Wälder gewährt. Hier erkennt der man, dass der Glocken­turm “dasje­nige Stück in der Gesamt­glie­de­rung des Reichs­sport­fel­des darstellt, auf das hin die wich­tigs­ten Bauteile ausge­rich­tet sind”. Nur von hier aus kann man heute das 1926 bis 1929 eben­falls von Werner March erbaute und 1934 bis 1936 erwei­terte “Deut­sche Sport­fo­rum” mit der ehema­li­gen Reichs­aka­de­mie für Leibes­übun­gen und dem Haus des Deut­schen Sports (zwischen­zeit­lich Haupt­quar­tier der briti­schen Mili­tär­re­gie­rung) sehen, sowie auch den wegen der Schieß­stände eben­falls weit­ge­hend unzu­gäng­li­chen Teil des Grune­walds zwischen Glocken­turm und Char­lot­ten­bur­ger Chaus­see und die Wald­bühne.

Der alte und der neue Turm
In den zahl­rei­chen Geschos­sen des Turmes waren zu den Olym­pi­schen Spie­len Beob­ach­tungs­stände der Fest­lei­tung, der Poli­zei, des Sani­täts­diens­tes sowie der Rund­funk- und Film­re­por­tage unter­ge­bracht. Das 75 Meter lange Mittel­stück der Maifeld­tri­bü­nen rechts und links vom Turm ist nicht als Wall geschüt­tet, sondern als drei­ge­schos­si­ges Bauwerk errich­tet. In ihm war während des Krie­ges u.a. das Reichs­film­ar­chiv einge­la­gert, das nach dem Einmarsch der russi­schen Trup­pen, vermut­lich durch die Unacht­sam­keit eines Solda­ten, in Brand geriet. Die beim Brand entstan­dene große Hitze wurde über den Glocken­turm wie durch einen Schorn­stein abge­lei­tet, dadurch wurden tragende Teile der Stahl­ske­lett-Konstruk­tion derart defor­miert, dass die Stand­fes­tig­keit des Turmes nicht mehr gege­ben war. 1947 wurde er durch briti­sche Pioniere gesprengt und anschlie­ßend enttrüm­mert.
Die bei der Spren­gung herun­ter­ge­fal­lene Olym­pia-Glocke erhielt einen verti­ka­len Sprung. Sie wurde zunächst auf dem Platz vor dem Glocken­turm vergra­ben, dort nach mühe­vol­len Such­ar­bei­ten mit Hilfe von Geiger­zäh­lern wieder­ent­deckt, im Dezem­ber 1956 gebor­gen und kurze Zeit später auf einem Sockel vor dem Südpor­tal des Olym­pia­sta­di­ons aufge­stellt. Wer seine Schieß­künste mit einer panzer­bre­chen­den Waffe ausge­rech­net an der wehr­lo­sen Olym­pia-Glocke auspro­biert und den heute sicht­ba­ren Durch­schuss verur­sacht hat, ist unbe­kannt. Die Glocke muss damals noch gehan­gen haben, denn sie wurde von innen nach außen durch­schos­sen. Wegen der Beschä­di­gun­gen war die alte Glocke als Klang­kör­per nun nicht mehr verwend­bar.

In den Jahren 1960 bis 1962 wurde der Glocken­turm nach einem Entwurf von Werner March, dem Archi­tek­ten des alten Turmes, im Auftrag des Bundes mit einem Kosten­auf­wand von 1,16 Mio. DM in Stahl­be­ton­weise auf den alten Funda­men­ten wieder aufge­baut. Im Erdge­schoss ruht er jetzt auf sechs Stahl­be­ton­stüt­zen von je einem Quadrat­me­ter Grund­flä­che. Der Quer­schnitt des Turmes beträgt unten 11,2 x 6,53 m, oben 9,46 x 6,53 m. Verbaut wurden 720 m³ Beton, 130 t Rund­stahl, 5.000 Stück Natur-Kalk­stein­plat­ten. Das Gewicht des Turmes beträgt 2.500 t. Das Gewicht der vom Bochu­mer Verein für Guss­stahl­fa­bri­ka­tion gegos­se­nen Stahl­glo­cke mit der Tonart fis 0 ist den stati­schen Verhält­nis­sen der neuen Bauweise ange­passt. Es beträgt 4,5 t gegen­über 9,6 t der alten, von der glei­chen Firma gegos­se­nen Glocke.

Die Lange­marck­halle
Den größ­ten Teil des Mittel­ge­schos­ses des unter den Maifeld­tri­bü­nen errich­te­ten Bauwer­kes nimmt die soge­nannte Lange­marck­halle ein, die eben­falls besich­tigt werden kann. Sie ist dem Andenken der im Ersten Welt­krieg gefal­le­nen deut­schen Jugend gewid­met, insbe­son­dere der über­wie­gend aus Abitu­ri­en­ten und Studen­ten gebil­de­ten Frei­wil­li­gen-Regi­men­ter, die, unzu­rei­chend ausge­bil­det und ausge­rüs­tet, beim Sturm auf Lange­marck (bei Ypern in der belgi­schen Provinz West­flan­dern) am 10. Novem­ber 1914 einen unge­heuer hohen Blut­zoll errich­ten musste.
Die damals zwölf Pfei­ler der Halle trugen die 76 Fahnen der an der Schlacht betei­lig­ten Regi­men­ter. Am Massiv des mitten durch die Halle stoßen­den Glocken­tur­mes waren 12 Schilde mit den Namen der Divi­sio­nen und ihrer Trup­pen­teile ange­bracht. Diese vor der Spren­gung von den Englän­dern sicher­ge­stell­ten Schilde hängen heute an der östli­chen Längs­seite der Halle rechts und links von den Türen zu den Maifeld­tri­bü­nen. Der einst in der Mitte der Halle einge­baute Schrein mit Erde vom Fried­hof in Lange­marck ist nicht mehr vorhan­den. Die Schmal­sei­ten der Halle tragen zwei Sprü­che von Hölder­lin und Walter Flex. Die einge­mei­ßel­ten Namen dieser Dich­ter wurden in den sech­zi­ger Jahren durch die Jahres­zah­len 1770–1843 (bei Hölder­lin) und 1887–1917 (bei Flex) ergänzt. Nach Westen ist die Halle mit Blick auf die märki­sche Land­schaft geöff­net.

Das Maifeld
Zu Füßen des Glocken­tur­mes liegt das 112.000 m² große Maifeld. Hier fanden während der Olym­pi­sche Spiele die Polo- und Dres­sur-Wett­kämpfe der Reiter und eine Vorfüh­rung von 20.000 Berli­ner Schul­kin­dern statt. Später sollte es, wie der Name besagt, insbe­son­dere für die Feiern zum 1. Mai Verwen­dung finden.
Das Maifeld kann 250.000 Teil­neh­mer aufneh­men. Die Wälle bieten noch einmal Platz für 60.000 Zuschauer. Hier fanden später die alljähr­li­chen, von Tausen­den von Berli­nern gern besuch­ten Geburts­tags­pa­ra­den für die engli­sche Köni­gin statt. Das Feld gehört zum Areal der briti­schen Schutz­macht, die hier Polo‑, Rugby- und andere Wett­kämpfe veran­stal­tete.
Die “Rosse­len­ker” am Ostrand des Maifel­des stam­men von Josef Wackerle. Die Kolbe-Plas­tik “Der Zehn­kämp­fer”, die nach der Wieder­her­stel­lung des Turmes zunächst auf der Maifeld­tri­büne zentral vor der Lange­marck­halle aufge­stellt wurde, steht seit 1974 wieder auf dem ursprüng­li­chen Platz am Haus des Deut­schen Sports.

Manfred F. Uhlitz
www.glockenturm.de

Foto: Robby­Ber, CC BY-SA 3.0

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