Wer in den 80er Jahren Holland, Dänemark oder Schweden kennengelernt hat, erlebte diese Länder als tolerant und weltoffen. Fremde sah man nicht als Bedrohung, sondern empfing sie als Menschen, egal ob sie zum Arbeiten kamen oder als Asylsuchende. All das ist mittlerweile Geschichte, heute sind diese Länder kalt und abweisend. Rechte und rechtsradikale Parteien unterstützen die Regierungen. Ausländer aus moslemischen Ländern haben es schwer, sich als gleichberechtigte Bürger durchzusetzen. Die Ablehnung des „Anderen“ ist längst Alltag.
Auch wenn es weh tut zu akzeptieren: Offenbar geht auch unser Land in diese Richtung. Nicht plötzlich wie in den Niederlanden 2004 nach der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh durch einen Moslem, sondern schleichend, aber stetig.
Ausländerfeinde gab es natürlich schon immer, in den 60er Jahren saß die NPD sogar noch in mehreren Landtagen und verpasste nur knapp den Einzug in den Bundestag. Parteien wie die „Republikaner“ oder die „Schill-Partei“ versuchten immer wieder, mit mehr oder weniger offenen Ressentiments gegen Südeuropäer, Araber und Afrikaner zu punkten. Nach dem Attentat vom 11. September 2001 rückte das Feindbild des Islamisten in den Mittelpunkt. Schon kurz zuvor propagierte Friedrich Merz aus der CDU die „deutsche Leitkult“ – ein Begriff der stark an den Ausspruch erinnerte „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Dieses Zitat des Lyrikers Emanuel Geibel hatten einst die Nationalsozialisten für ihre Propaganda genutzt. Vor allem im rechten CDU-Flügel dienten die Stimmgewinne rechtsradikaler Parteien als Vorwand, um die Union selbst weiter außen zu positionieren. Leute wie Franz-Josef Strauß, Alfred Dregger oder später Roland Koch bedienten sich gerne radikaler Parolen, die man schon als rassistisch bezeichnen kann.
Wenn das Volk aufbegehrt, soll man ihm ein Ventil geben, um seinen Unmut in Bahnen zu lenken, die für die Regierenden ungefährlich sind. Als kurz nach der Wiedervereinigung die Wirtschaft absackte und die Arbeitslosenzahlen stiegen, war der Feind in Person der vietnamesischen, jugoslawischen und afrikanischen Flüchtlinge schnell ausgemacht. Natürlich hatten diese praktisch nichts damit zu tun, aber egal: In Hoyerswerda und Mannheim rannten Tausende gegen die Flüchtlingslager an, warfen Steine in die Häuser und verprügelten ihre Opfer. Drei Tage lang wütete der Mob auch in Rostock, bis schließlich sogar das Wohnheim angezündet wurde, während die Polizei untätig daneben stand. Die Pogromstimmung war Ausdruck einer bis dahin nie gesehenen Kampage, in der die Hilfesuchenden nur noch als „Asylanten“ bezeichnet wurden und die darin gipfelte, das Asylrecht in Deutschland auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Das war zwar in der Regierungszeit Helmut Kohls, doch auch die SPD stimmte letztlich am 26. Mai 1993 für eine entsprechende Grundgesetzänderung. Dieser Verrat am Grundgedanken der Verfassung nahm in der Folgezeit den rechtsradikalen Parteien vorerst den Wind aus den Segeln.
Seit ein paar Jahren nun ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Politiker bedienen sich einer Terminologie, die man durchaus als volksverhetzend bezeichnen kann.
Jürgen Rüttgers, damals noch CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, stellte vor einem Jahr rumänische Arbeiter als arbeitsfaul hin.
Sein Parteifreund Roland Koch punktete mit der Kampagne „Kinder statt Inder“.
Oder der Linkspolitiker Oskar Lafontaine: „Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“ Nicht nur die Aussage selber ist bedenklich, sondern auch die Wortwahl, denn „Fremdarbeiter“ ist ein Begriff aus der NS-Zeit.
Dass später auch der Sozialdemokrat Thilo Sarrazin Immigrantenkinder als „Kopftuchmädchen“ diffamierte und genussvoll weitere Vorurteile ausbreitete, überrascht da schon kaum noch.
Genauso wenig wie der neueste Vorstoß aus der Union, diesmal aus der Führung der CSU. Deren Vorsitzender Horst Seehofer sagte gestern in einem Interview mit dem Magazin Focus, „dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen.“ Dies ist etwa zu 100 Prozent das, was auch die NPD sagt, nur dass die bereits einen „5-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung“ anbietet.
Die Äußerung Seehofers ist nicht nur seine persönliche Meinung, sondern beschreibt offenbar die künftige Politik der CSU. Denn nur wenige Stunden später legte deren Generalsekretär Alexander Dobrindt nach: „Es darf in Deutschland künftig keine zusätzliche Zuwanderung aus Kulturkreisen geben, die unsere deutsche Leitkultur ablehnen. … Deutschland ist ein Land mit einer christlich geprägten Kultur, und das soll auch so bleiben.“ Da ist sie wieder, die Leitkultur. Die mit dem deutschen Wesen und so weiter.
Dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist, wird von der Union noch immer bestritten. Mit all den negativen Konsequenzen, die daraus folgen. Schon in den 60ern legte man keinen Wert darauf, dass sich die „Gastarbeiter“ hier integrieren und Teil der Gesellschaft werden. Anstatt Deutsch-Unterricht anzubieten, wurden sie in speziellen Wohnheimen isoliert, schließlich sollten sie ja bald wieder zurück. Offenbar hat sich dieses Denken bis heute gehalten.
Unbestritten gibt es unter den Einwanderern auch viele, die eine Integration in unsere Gesellschaft gar nicht wollen. Aber: Dies ist eine kleine Minderheit, die jetzt von diejenigen als Beispiel benutzt werden, die zurück wollen in ein rein deutsch geprägte Gesellschaft. Sie sprechen von „christlich“, weil das Wort „arisch“ nicht mehr en vogue ist. Sie bezeichnen die Moslems als Problem, weil die aus einem anderen Kulturkreis kommen. Dabei geht es nicht um die andere Kultur, denn sonst müssten sie auch gegen die vielen Japaner oder Israelis wüten, die in unserem Land leben. Nein, die Hetzer sind Islamfeinde und das begründen sie sogar, zum Beispiel mit der Scharia, der Unterdrückung von Frauen, der Gewaltbereitschaft usw. Dass dies nur einen eher kleinen, radikalen Teil dieser Religion betrifft, verschweigen sie. Genauso wie die Tatsache, dass es Christen sind, die in den USA mit Bomben gegen Abtreibungskliniken vorgehen oder noch immer Schwarze nur aufgrund deren Hautfarbe ermorden.
Rassismus ist das Grundübel und dass sogar Politiker mit Migrationshintergrund wie Lafontaine, Sarrazin oder auch Erika Steinbach diese Keule auspacken, ist wirklich bedenklich.
Entsolidarisierung in der Gesellschaft, erst gegen Flüchtlinge und Einwanderer, dann gegen Arbeitslose, Alte und andere die als Opfer taugen – unserem Land steht eine Kältewelle bevor.
„Kinder statt Inder“ war allerdings auch von Rüttgers. Das hat übrigens ein Freund von mir damals zum Anlass genommen, aus der CDU auszutreten.