Nachts Ecke Friedrichstraße

Im Norden der Friedrich­straße, zwischen Spree und Orani­en­bur­ger Tor, ist sie nicht mehr so fried­rich­stra­ßen­mä­ßig wie hinter den Linden. Aber brei­ter. An der Taxi­halte Drei­spitz sind die Häuser zurück­ge­setzt, der breite Bürger­steig, die Stra­ßen­bahn­hal­te­stelle, noch ein brei­ter Gehweg auf der ande­ren Seite. Es ist zugig hier, unge­müt­lich und laut. Und tags­über sehr voll.
Jetzt aber, in der Nacht, hat dieser Ort ein ganz ande­res Flair, ein biss­chen unwirk­lich. Das liegt auch am Fried­rich­stadt­pa­last. Während in den Häusern auf beiden Seiten der Straße die Banken und Büros im Dunkeln liegen, glit­zert er wie etwas irgendwo zwischen leuch­ten­dem Edel­stein und Bordell­re­klame. Die gesamte Fassade ist von einem Lich­ter­ket­ten­vor­hang bedeckt, das Licht wandert zuckend von innen zu den Seiten und dort um die Ecke. Zwischen den großen verhäng­ten Fens­tern werfen Schein­wer­fer verti­kale Stelen von rosa Licht an die Wand. Auf dem Dach im Schrift­zug “Fried­rich­stadt Palast” blit­zen kleine Lämp­chen auf. Es scheint, als sei der gesamte Komplex in Bewe­gung und voller Leben. Dabei hat das Varieté-Thea­ter längst geschlos­sen.

Kleine Grup­pen von Touris­ten ziehen vorbei, sie kommen von den Linden und suchen nach Erleb­nis­sen. Gleich sind sie in der Orani­en­bur­ger, dort finden sie die Berli­ner Nacht, auch wenn die mit ihren Knei­pen, Restau­rants und Cafés nur eine Illu­sion ist, geschaf­fen für rhei­ni­sche Ehepaare, Jugend­li­che aus Rends­burg oder Lissa­bon.
Zwischen­durch stei­gen Anzug­män­ner mit Köffer­chen oder Chef­se­kre­tä­rin­nen im dezen­ten Kostüm in die Taxis vor mir. Manch­mal hab auch ich eine von ihnen im Auto. Sie ziehen dann ihre Schuhe aus und bekla­gen sich über die viele Arbeit.
Jetzt fährt wieder eine Stra­ßen­bahn in die Halte­stelle ein. Es ist wie der Auftritt einer Diva: Breit und mäch­tig geht sie ihren Weg, cool und unbe­ein­druckt von dem, was um sie herum geschieht. Ihr Leuch­ten strahlt in die Umge­bung ab und kaum setzt sie sich wieder in Bewe­gung, laufen ihr die Leute nach. Ist sie verschwun­den, legt sich eine Stille über den Ort, der so ruhig eigent­lich nicht ist.
Dann ein kurzer Moment der Aufre­gung. Vom Bahn­hof Fried­rich­straße kommt ein Kran­ken­wa­gen der Feuer­wehr. Das zuckende blaue Licht spie­gelt sich an den Fassa­den und in den Schau­fens­tern wider, auch die Schein­wer­fer und ein paar zusätz­li­che Lampen leuch­ten blitz­ar­tig auf. Er erin­nert mich an einen Spiel­au­to­ma­ten in der Kneipe.
Das Drei­spitz neben der Taxi­halte liegt dunkel da, als wolle es nicht auffal­len. Es ist ein Pseudo-Einkaufs­cen­ter, das auch tags­über so aussieht, als ob es geschlos­sen ist. Auf den Stufen übt jetzt ein schma­ler Junge von höchs­tens 14 Jahren mit seinem Skate­board, wie man ohne Verlet­zun­gen einen Höhen­un­ter­schied von einem Meter bewäl­tigt. Er muss sehr tole­rante Eltern haben, dass er jetzt schon nach Mitter­nacht noch raus darf. Erst nach ein paar Minu­ten entde­cke ich seinen Freund, der mit geschlos­se­nen Augen hinter einer Säule sitzt, die Bier­fla­sche steht neben ihm wie ein Wach­hund.
Gegen­über setzt sich ein Pärchen auf die Stufen des Fried­rich­stadt­pa­las­tes. Sie strei­ten so laut, dass ich es noch auf der ande­ren Stra­ßen­seite im geschlos­se­nen Auto höre. Die lallen­den Stim­men verra­ten ihr Alko­hol­pro­blem. Zum lang­sam vorbei fahren­den Poli­zei­wa­gen schreien sie “Scheiß Bullen!” Der Fahrer geht kurz auf die Bremse, setzt seine Fahrt dann aber fort.
Mein paki­sta­ni­scher Kollege stoppt mit Fahr­gäs­ten im Auto neben mir, ein kurzer Gruß. “Kennst du ein Café mit mexi­ka­ni­scher Live­mu­sik?” Ich schi­cke ihn in die Schlü­ter­straße, dort ist jeden Mitt­woch was, aber viel­leicht ist es schon zu spät. Doch seine Kunden wollen es trotz­dem mal versu­chen.

Zwei smarte Herren stei­gen bei mir ein, um die 30, schlank, ölig glatt. Sie kommen wohl von der Partei­zen­trale nebenan. Noch bevor sie mir das Fahrt­ziel nennen können, klin­gelt bei einem das Handy. Zehn Sekun­den später sind sie wieder drau­ßen und gehen zurück. Gut, dass ich das Taxa­me­ter noch nicht einge­schal­tet habe.
Schließ­lich bekomme ich einen Auftrag. Aus der Kneipe neben dem Deut­schen Thea­ter hole ich einen jungen Schau­spie­ler ab und fahre ihn nach Hause. Weit weg von der Fried­rich­straße.

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4 Kommentare

  1. Eine sehr stim­mungs­volle Studie! Gut geschrie­ben. Man kann das Flair tatsäch­lich nach­emp­fin­den, das meine ich wirk­lich ernst. Eins muß ich dann aber sagen: “Scheiß Nacht­le­ben! Ich weiß schon, warum ich nur am Tage fahre.

  2. @Bernd:
    Hat doch alles zwei Seiten. Ich wollte auch am Tag nicht fahren. Wo ihr über­all Ampeln stehen habt, tsss, kurios. Ich hab ein Fahr- und kein Stand­zeug. Und die Leute, die alle irgend­wel­che, wie nennen sie das — Termine — haben. Furcht­bar!
    :)

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