Meine Nacht

Wenn ich nachts im Taxi unter­wegs bin, habe ich in den vielen tausend Stra­ßen der Stadt ein biss­chen das Gefühl von Zuhause. Die vertrau­ten Orte sind im Dunkeln ruhig, der geschäf­tige Verkehr ist verebbt, nur noch verein­zelte Schein­wer­fer­paare und ganz wenige Fußgän­ger sind zu sehen. Ich komme zum Adlon, dort warten schon weitere zehn Taxen, eines davon aus “meinem” Betrieb. Ein kurzer Gruß, ich fahre weiter, hier stelle ich mich jetzt nicht an.

An der Kreu­zung läuft mir ein alter Freund über den Weg, der heute beim Spie­gel arbei­tet, manch­mal auch nachts. Wir reden kurz, die Wach­leute der Poli­zei, die hier die briti­sche Botschaft vor Terro­ris­ten schüt­zen, schauen desin­ter­es­siert zu. Tags­über würden sie mich bestimmt wegschi­cken, ich stehe ja halb auf der Kreu­zung. Aber jetzt ist es fami­liä­rer, sie machen sich nicht die Mühe.
Nach eini­gen Minu­ten ein Schlen­ker Rich­tung Pots­da­mer Platz, nur zwei Wagen am Ritz Carl­ton, das sieht gut aus. Wie bei vielen Hotels kennt man hier mitt­ler­weile alle Door­men, heute kommt einer, um sein Trink­geld zu wech­seln. Er weiß, dass Taxi­fah­rer oft große Scheine bekom­men, die tauscht er dann gegen die 5er und 10er, die er zuge­steckt bekommt. An manchen Tagen gehe ich auch selbst hinein, um zu wech­seln, wenn der vierte Fahr­gast hinter­ein­an­der mit einem 50-Euro-Schein ange­kom­men ist.

Von dort bringe ich einen Kunden nach Schö­ne­berg, schwu­les Drei­eck. Lang­sam cruise ich durch die Stra­ßen, am Nollen­dorf­platz stehen 10–12 Wagen, zu viel. Ganz vorn ein Kollege, mit dem ich alle paar Wochen mal einen Kaffee trin­ken gehe. Ich kenne ihn schon seit über zehn Jahren, aber jetzt will er natür­lich nicht weg, wartet auf einen Auftrag. Beim Losfah­ren höre ich über Funk, wie er zu einem Lokal in der Nähe geschickt wird. Hoffent­lich bekommt er eine gute Tour. Der Nolli hat nachts eine eigene Atmo­sphäre, darüber schreibe ich bestimmt auch mal. Heute gehts weiter auf die Suche, schließ­lich lande ich am Savin­g­y­platz, gleich als erster auf der Rücke, mit Blick auf das Lokal Zwie­bel­fisch. Dort wie immer warmes Licht und Leute, die sich ihren Abend in die Nacht haben rüber­glei­ten lassen. Eben kommt ein Mann heraus, den ich auch schon herge­fah­ren habe: Ein alter Uhrma­cher, längst in Rente, aber immer noch kommen seine Kunden zu ihm, in seine Werk­statt in der Wohnung. Er repa­riert alles, aber nachts kann er nicht mehr schla­fen.

Vertraut ist auch die ältere Dame, die nun von vorn kommt. An jedem Taxi macht sie Halt, spricht mit dem Fahrer, auch bei mir war sie schon zig Mal. Sie begrüßt mich wie wohl jeden: “Ach, hallo, wir kennen uns doch auch!” Sie macht Werbung für einen der Sexclubs am Kudamm, ihre Karte nehme ich aber nicht, “alles klar, ich weiß ja bescheid!”
Bald stehe ich in Moabit, Turm/Strom, auch längst nach Mitter­nacht sitzen hier Alko­ho­li­ker, Drogen­ab­hän­gige, Obdach­lose nebenan auf den Park­bän­ken. Manche versu­chen zu schla­fen, sie tun mir leid, zumal die Nächte schon sehr kalt sind. Ich sitze in meinem warmen Taxi und wer das Geld hat, darf ein Stück mitfah­ren und sich dabei aufwär­men. Die ande­ren müssen leider drau­ßen blei­ben. Es ist unge­recht, ich weiß. Nach einer halben Stunde verlasse ich die Halte, meinen Heimat­ha­fen Rich­tung Wedding, mein Fahr­gast will noch in eine Kneipe, auch ihn habe ich schon mehr­mals dort hinge­fah­ren.

Die Nacht ist wie eine Heimat. Man kennt sich aus, sieht vertraute Gesich­ter und Orte, bekannte Situa­tio­nen. Diese Stun­den ohne die Hektik des Tages, in denen man suchend durch die Stra­ßen fährt, eine Zeitung lesend am Halte­platz steht oder einfach nur neugie­rig die Umge­bung beob­ach­tet, sie sind beru­hi­gend, machen den Job auf unbe­stimmte Art liebens­wert. Auch wenn es manch­mal Probleme gibt, mit aggres­si­ven Knei­pen­gän­gern oder Gang­ty­pen oder unkol­le­gia­len Kolle­gen, auf die Nächte im Taxi möchte ich nicht verzich­ten.

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1 Kommentar

  1. Komme nicht umhin, diesen alten Eintrag zu würdi­gen!
    Ganz die Vertraut­heit habe ich natür­lich noch lange nicht. Aber irgend­wie drückt dieser Text doch sehr gut aus, was ich an meinem Job als Nacht­fah­rer so liebe…
    Danke dafür!

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