Give away

Als Nacht-Taxifahrer hole oft Leute ab, die auf Partys und Empfängen waren. Das heißt dann in der Regel „Events“ und die werden meist von Firmen veranstaltet, die sich dort als schick darstellen wollen. Die Anlässe sind z.B. die Markteinführung eines neuen Produkts, die Veröffentlichung eines Films oder auch nur, dass man mal wieder im hippen Berlin mit hippen Gästen beweisen will, dass man selber auch hip ist.
Wenn die Gäste dann gehen, haben sie oft Tüten dabei, die dort jeder in die Hand gedrückt kriegt. Der Aufdruck zeigt schon, dass das was Besonderes ist und innen liegen Werbegeschenke. Die heißen allerdings nicht so, sondern „Give aways“. Hatte ich schon geschrieben, dass das hip ist?
Die Gäste sind meist Menschen, die „was mit Medien“ machen, oder welche kennen, die das machen. Oder die „aus der Mode kommen“, ohne dass ihnen wohl die Doppeldeutigkeit dieser Beschreibung bewusst ist. Natürlich sind auch Leute „aus der IT-Branche“ dabei, das ist ja auch hip.

So eine Veranstaltung gab es auch gestern, in einem Hotel in Mitte. Der hochgewachsene, gegelte Fahrgast verabschiedete sich auf der Straße mit Bussi-bussi von zwei Frauen, die wie er auch solche Give-away-Tüten in der Hand hatten. Ich hatte mich ja immer schon gefragt, was da wohl drin ist, seit heute weiß ich es.
Er jedenfalls nannte eine Adresse in der Nähe und auf wem Weg dahin telefonierte er mehrmals. Es war um Mitternacht, seine Gesprächspartner waren entweder schon im Bett und entsprechende sauer über den Anruf (Nummer 1), in einer Bar in München (Nummer 2) oder wollten später nochmal zurückrufen (Nummer 3), was mein Fahrgast mit „Ohrschloch“ beantwortete.
Ja, er stammte aus Bayern.

Und dann kam die Frage, die ich wirklich hasse: „Wo ist denn noch was los in Berlin? Wo kann man denn noch was drauf machen?“ Ich überlege dann immer, ob ich denjenigen in die Kinderdisco fahren soll oder in einen Edelpuff, da ist ja vielleicht auch „was los“. Immerhin kannte er das Adagio (hatte geschlossen), Felix (ebenso) und das SOHO (war ihm zu prollig!). Er wollte irgendwo hin, wo es gleichzeitig „cool“ ist und „sauber“. Keine Ahnung, was er meinte. Ich glaube, dass er dort keine Leute wie sich selber sehen wollte. Eigentlich wollte ich mir einen Spaß machen und ihn zum K17 bringen, wo man Punks, Metaller und Grufties trifft, aber sicher keine gegelten Mittdreißiger aus München, die „Berlin rocken“ wollen (Zitat von ihm). Aber die haben nur am Wochenende auf und deshalb hab ich ihn am Watergate und Magnet abgesetzt. Er zahlte passend, schnappte sich sein Papiertäschchen – und stieg nochmal ein. Ob es nicht vielleicht etwas albern rüberkomme, wenn er damit in einen Club gehe. „Immerhin haben Sie dann die Lacher auf Ihrer Seite“, antwortete ich ehrlich. Da gab er sich einen Ruck und reichte mir großzügig die Tüte.

Deshalb also weiß ich jetzt also, was in einer solchen Give-away-Papiertüte drin ist.
Protokoll:
1 Jutebeutel (bedruckt mir der gleichen Werbung wie auf der Papiertüte)
1 Kugelschreiber mit Werbung für ein Online-Vergleichsportal
1 Becher Beerenmüsli „2 go“, allerdings ohne Milch
1 Energydrink (für’s Müsli?)
1 Türanhänger wie im Hotel, bedruckt mit Werbung für einen Online-Supermarkt
1 Werbepostkarte eines Catering-Unternehmens
1 Werbeprospekt einer winzigweichen Softwarefirma

Wenigstens das Müsli und den Kuli kann man gebrauchen. Und außerdem bin ich jetzt auch hip!

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2 Kommentare

  1. Geiiill, Aro!! Sowas kenne ich noch aus meiner Kindheit im Osten Deutschlands: Geburtstagsfeier im Kindergarten(nur mit anderem Tüteninhalt!

  2. Wie? Hattest du damals etwa keinen Kugelschreiber mit Werbung für ein Online-Vergleichsportal in der Tüte?
    Margot konnte so grausam sein…

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