In der Fremde

Sie erin­ner­ten auf den ersten Blick an Maria und Josef, nur dass das kleine Kind schon drei Jahre alt war. Mit ihm an der Hand und nur einer einzi­gen Tasche stan­den sie in Moabit am Stra­ßen­rand, wo sie mein Taxi heran­wink­ten. Auch sie Flücht­linge, gestran­det im Abend­land. Der Mann hielt mir einen  Zettel hin: “Hostel, Pension, Char­lot­ten­burg, Wilmers­dorf”. Zum Glück spra­chen beide Erwach­sene eini­ger­ma­ßen Englisch, wir konn­ten uns verstän­di­gen.
Den Zettel hatten sie in der zentra­len Aufnah­me­stelle gleich um die Ecke in der Turm­straße bekom­men, dazu 20 Euro für das Taxi. Aber keine Adresse, wo sie über­nach­ten könn­ten. Die soll­ten sie sich nun selber suchen, aber wie, wenn man in einer frem­den Stadt ist? Zumal die Über­nach­tung nicht mehr als 50 Euro kosten dürfte, für alle zusam­men.
Anders als in Mitte, Kreuz­berg oder Fried­richs­hain gibt es in der West-City nicht viele Hostels. Und Pensio­nen findet man zu diesem Preis wohl gar nicht. Mir war auch unklar, wieso es unbe­dingt in diesem Bezirk sein muss, aber so stand es auf dem Kosten­über­nah­me­zet­tel, den die Fami­lie dabei hatte.
Das rela­tiv neue Hostel in der Harden­berg­staße war unsere erste Anlauf­stelle, aber die waren bereits ausge­bucht. Wir fuhren um den Block zum Motel One, doch auch dort: Voll. Und zu teuer. Mit dem Taxi klap­per­ten wir weitere Hotels in der Gegend ab, wirk­lich billige gibt es aber kaum. Immer ging der Mann rein, versuchte die Ange­stell­ten zu über­re­den, doch noch ein Zimmer frei­zu­ma­chen. Zwei­mal beglei­tete ich ihn, blieb ansons­ten aber im Auto und unter­hielt mich mit seiner Frau. Sie erzählte, wie sie aus Libyen geflo­hen sind und schon seit Wochen unter­wegs waren. Über Paki­stan kamen sie nach Europa.
Zwischen­durch tele­fo­nierte ich mit der Funk­zen­trale, damit sie mir weitere Adres­sen raus­sucht. Ich rief in der Nikols­bur­ger Straße an, in der Bundes­al­lee, über­all die glei­che Antwort, alles belegt. Auch die Anrufe bei den gängi­gen Hostels in ande­ren Bezir­ken brachte keine Lösung, eben­falls alles voll.
Der kleine Junge war zum Glück noch guter Laune, die Eltern aber verlo­ren immer mehr die Hoff­nung, noch irgendwo unter­zu­kom­men. Ich über­legte schon, ob ich privat eine Lösung wüsste. Dann schaute ich mit dem Smart­phone noch mal im Inter­net nach einem billi­gem Hostel. Die meis­ten Tref­fer auf der Liste hatten wir schon durch, auch versprach die Adresse in der Pari­ser Straße nicht unbe­dingt Erfolg. Aber egal, ich rief an. Ein sehr schlecht Deutsch spre­chen­der Mann ging ran, unfreund­lich, “alles belegt”. Trotz­dem hatte ich das Gefühl, dass doch noch was gehen könnte. “Es muss ja kein Luxus­zim­mer sein, wenigs­tens dass sie Betten und was zum Waschen haben.” Er nannte mir die Adresse, ich sollte wieder anru­fen, wenn wir ankä­men.
Nach weni­gen Minu­ten stan­den wir vor dem hoch­herr­schaft­li­chen Haus, am Tele­fon sagte er, dass er in fünf Minu­ten dort wäre. Wir warte­ten eine Vier­tel­stunde, die zwischen­durch gestie­gende Hoff­nung schwand wieder. Dann aber kam er tatsäch­lich. Er ließ sich die Über­nahme zeigen und sagte, es wäre nur für einen Monat möglich. Das war ok, die Geneh­mi­gung ist sowieso auf diese Frist begrenzt.
Erleich­tert luden wir Tasche und Kind aus, die Frau bedankte sich für die Hilfe, dann verschwan­den sie alle im Haus, der Junge winkte noch mal.
Das alles hat einein­halb Stun­den gedau­ert und da ich das Taxa­me­ter während der Warte­zei­ten immer ange­hal­ten habe, stand zum Schluss nicht allzu viel drauf. Während­des­sen haben die Kolle­gen in der Zeit sicher das Drei- bis Vier­fa­che einge­nom­men, schließ­lich sind Streik­tage bei der S‑Bahn gute Zeiten für Taxi­fah­rer. Aber manch­mal gibt es eben Wich­ti­ge­res.

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Trauerlüge

Als gestern die Trau­er­feier für drei in Afgha­nis­ten getö­tete Bundes­wehr­sol­da­ten statt­fand, zog Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel ihr schöns­tes Betrof­fen­heits­ge­sicht auf. Sie sagte, wie wich­tig ihr es doch wäre, auf dieser Feier spre­chen zu dürfen. Komisch, am […]

3 Kommentare

  1. Ich find’s schon gut, dass du dich kümmerst in so einem Fall. Würde das auch nicht anders machen.

    Aber eigent­lich wäre es die Aufgabe der Aufnah­me­stelle, ein freies Zimmer zu finden. Die sind auch am Limit, schon klar.

    Nur, wenn immer andere die abso­lut unzu­rei­chende Flücht­lings­po­li­tik ausba­den und keine Konse­quen­zen enste­hen muss die Poli­tik ja nichts daran ändern.
    Es müssen erst wirk­li­che Krisen entste­hen bevor da Gelder für mehr Mitar­bei­ter und Häuser frei­ge­ge­ben werden.

  2. Eine Fami­lie in einer ähnli­chen Situa­tion habe ich letz­tens im Zug kennen­ge­lernt.

    Kamen von einer Aufnah­me­stelle in NRW (Krefeld), haben ein Zugti­cket in die Hand gedrückt bekom­men mit der Infor­ma­tion, Bahn­hof Span­dau ausstei­gen zu müssen, und eine Adresse in Siemens­stadt. Kein Hinweis, dass das Bahn­ti­cket nur für die S‑Bahn noch nutz­bar war, und keine weite­ren Infor­ma­tio­nen, wie man vom Bahn­hof Span­dau nach Siemens­stadt zur Unter­kunft kommt. Wäre die Fami­lie mit der U‑Bahn und diesem Ticket nach Siemens­stadt gefah­ren und in eine Fahr­schein­kon­trolle gera­ten, hätte es direkt fünf weitere krimi­nelle Auslän­der gege­ben.

    Es mag sein, dass die Aufnah­me­stel­len momen­tan am Rande der Belast­bar­keit arbei­ten, aber ein paar mehr Infor­ma­tio­nen, wie man von A nach B kommt und was man dabei beach­ten sollte, wäre nicht schlecht. Blöd sind die Leute, die bei uns um Asyl bitten nicht.

    Ich denke, dass ist eher Unlust, Desin­ter­esse und typi­sches Beam­ten­ver­hal­ten, einen mehr oder weni­ger ins offene Messer laufen zu lassen.

  3. Krass! Naja, wenigs­tens wurden sie nicht genö­tigt, mit dem Kind in der Fran­k­lin­straße unter­zu­kom­men. Wobei sich schon die Frage stellt, was macht man (so als Fami­lie) nach­dem der eine Monat der Kosten­über­nahme abge­lau­fen ist? Klar, in der Zwischen­zeit muss man sich um eine perma­nen­tere Unter­kunft kümmern, aber was gibt es da? Norma­ler­weise würde ich ja sagen, Wohnung suchen (was heut­zu­tage hier ja schon mehr als nur verdammt schwer ist, ich kenne nicht wenige, die ein halbes Jahr lang oder länger auf der Suche waren), aber wie macht man das als Flücht­ling, ohne Geld und ohne Arbeit? Und um zu Arbei­ten brau­chen die Leute ja auch noch eine Erlaub­nis, die ihnen aber nicht einfach ausge­stellt wird, damit sie sich versor­gen können…
    Und dann gehts in Flücht­lings­heime, wo sie unter menschen­un­wür­digs­ten Umstän­den “gehal­ten” werden, gerade mal ein Dach über dem Kopf, aber mehr auch nicht.…und dann auch noch von Nazi-Idio­ten und NIMBY-Beton­köp­fen ange­fein­det werden… :-(

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