Der Straßenbahnverkehr erlebte in den 1920er Jahren auch im Berliner Norden einen rasanten Aufschwung. Bald reichten die Betriebshöfe in Reinickendorf und Tegel nicht mehr. Deshalb beschloss die Berliner Straßenbahn-Betriebs GmbH den Bau einer neuen Anlage in der oberen Müllerstraße. Im Herbst 1927 eröffnete hier ein neuer Straßenbahn-Betriebshof.
Allerdings wurde nicht nur ein Gelände mit einer Halle angelegt. Der Architekt Jean Krämer hatte weitergehende Gedanken gemacht. Während es in Berlin immer mehr Kämpfe zwischen Arbeitern und Gewerkschaften auf der einen und Unternehmen und der Polizei auf der anderen Seite gab, setzte er auf Integration. Das Personal sollte in Zeiten von Wohnungsnot und Klassenkampf an die Firma gebunden werden. So entwarf Krämer nicht nur den eigentlichen Betriebshof seiner riesigen Wagenhalle, sondern er ließ auch den Blockrand mit Wohnhäusern für die Arbeiter und Angestellte bebauen. 280 Wohnungen in repräsentativen Häusern, mit Balkonen und ohne dunkle Hinterhöfe flankierten den Straßenbahnhof. Zwei Turmhäuser an den Seiten zur Bockeinfahrt wurden 32 Meter hoch wie Torgebäude errichtet, hier kam die Verwaltung unter.
Der Betriebshof Müllerstraße war nicht nur von diesem Konzept und seiner Architektur herausragend, er erhielt auch innerhalb der Straßenbahngesellschaft eine besondere Bedeutung, alle ihre Ausbildungsschulen wurden hier vereinigt.
Die mächtige Halle bildet das Zentrum des Betriebshofes, 14.000 Quadratmeter groß nahm sie etwa die Hälfte des gesamten Grundstücks ein, auf dem insgesamt 320 Straßenbahnwagen Platz fanden. 31 Gleise führten in die Halle, auf den ersten 40 Metern liefen sie über sogenannte Revisionsgruben, damit die Wagen auch von der Unterseite erreichbar waren. Im hinteren Teil befanden sich die Werkstätten und Aufenthaltsräume, Stellmacher, Schmiede und Schlosserei grenzten an den Seiten.
In der Halle wurden die Straßenbahnwagen auch gewaschen. Dabei kamen Hochdruckpumpen zum Einsatz, die von großen Wassertanks auf den Dächern der beiden Turmhäuser gespeist wurden. Rechts und links entstanden etwa 10 Meter breite Anbauten, die sich über die gesamte Länge der Halle hinzogen. Sie dienten als Geräteräume und Materiallager.
Legendär waren die großen Räume im Erdgeschoss der Turmhäuser. Hier befand sich nicht nur der Kassenraum, in dem die Schaffner ihre Abrechnung machten, sondern auch die “Schreckenskammer”. So nannten die Kollegen den Teil der hauseigenen Fahrschule, in dem 1 1/2 Stunden lang die Entschluss- und Reaktionsgeschwindigkeit sowie die Nervenstärke der Fahranwärter geprüft wurde.
Das gesamte Gelände des Betriebshofes, also die Halle und das Freigelände, ist voll unterkellert. Bis vor wenigen Jahren befand sich hier die Kleiderkammer der BVG, aber auch zahlreiche andere Zweckräume, vor allem Lager. Noch heute gibt es niemanden, der genau weiß, was sich hier alles befand und noch befindet. Ein Teil der Räume ist heute an außenstehende Firmen vermietet.
In den Fünfziger Jahren verlor der Straßenbahnverkehr in Berlin nach und nach an Wichtigkeit. Vor allem der Ausbau der U‑Bahn sowie der Einsatz von Bussen, die flexibler einsetzbar waren, drängten die Straßenbahn immer mehr zurück. Das führte am 31. Mai 1958 zur Schließung des Straßenbahnhofes Müllerstraße und zu seinem Umbau in einen Busbetriebshof. Dabei reichte es nicht, einfach nur die Schienen herauszureißen, sondern die Halle und das Gelände mussten komplett den neuen Anforderungen angepasst werden. So wurden die Revisionsgruben innerhalb der Halle verändert, neue Tore und große Fenster eingebaut, für eine Umfahrungsmöglichkeit um die Wagenhalle wurde das Gelände nach hinten erweitert.. Eine neue Tankstelle wurde errichtet, mit Vorratsmöglichkeit für mehrere Wochen. Auch die Wagenwaschanlage wurde neu gebaut, der Einfahrtsbereich und die Räume der Fahrschule komplett umgestaltet und nicht zuletzt eine neue Heizungsanlage eingebaut. So dauerte es zwei Jahre, bis am 1. Juli 1960 der neue Autobus-Betriebshof Müllerstraße in Betrieb gehen konnte.
Seitdem hat sich vor allem die Kapazität der Anlage und die Effektivität der Einrichtungen stetig verbessert. 1960 konnten gerade 140 Busse auf das Gelände, heute gibt es Platz für 230 Fahrzeuge. Für 108 Eindecker und 75 Doppeldeckerbusse ist die Müllerstraße der “Heimathof”, allerdings werden alle Anlagen heute auch externen Firmen zur Verfügung gestellt. Das gilt genauso für die ehemalige Fahrschule, aus der längst die “Verkehrsakademie Omnibus” geworden ist, die qualifizierte Ausbildung von Fahrpersonal und weiterführende Seminare anbietet, auch für externe Firmen und Privatpersonen. Hier lernt man auch den Umgang mit Konflikten (Deeskalationstraining). Die Erarbeitung von Strategien zur Stressbewältigung und Themen wie Team- und Organisationsentwicklung sind vertreten.
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