Nacht-Tanke

Ich fahre mit dem Taxi nur Nacht­schich­ten. Wenn ich anfange, bin ich noch voll im Berufs­ver­kehr, die Stra­ßen sind dicht, die Leute haben es eilig. Das ändert sich einige Stun­den später und wenn das Sand­männ­chen schon längst die Beine hoch­ge­legt hat und die BVG’­ler die U‑Bahnhöfe abschlie­ßen, dann beginnt endgül­tig die Nacht.
Die Nächte auf den Stra­ßen haben ihre eigene Faszi­na­tion, ihre eige­nen Regeln. Man hört plötz­lich, wie still die Stadt sein kann. Jedes Auto fällt auf, auch jeder Fußgän­ger.

Manche Tank­stel­len sind die Hotspots der Nacht, nicht nur für Taxi­fah­rer. Eine in Kreuz­berg besu­che ich jede Woche ein‑, zwei‑, drei­mal, immer wenn ein Freund dort arbei­tet. Er lässt mich dann rein, der Raum ist abge­dun­kelt. Dort stehen wir und quat­schen manch­mal eine ganze Stunde. Zwischen­durch kommen die Kunden an den Nacht­schal­ter. Die wenigs­tens haben ein Auto dabei, aber getankt haben manche von ihnen trotz­dem. Bier geht gut in der Nacht, fast alle kaufen auch Ziga­ret­ten oder Tabak. Ich wusste vorher nicht, dass es noch so viele Raucher gibt. Vor allem in den Sommer­mo­na­ten stehen die Kunden drau­ßen manch­mal Schlange, dann muss mein Freund im Laden viel hin und her laufen, um all die Getränke und den Süßkram zusam­men­zu­su­chen.
Zwischen­durch fahren immer wieder Kolle­gen zum Tanken auf den Platz. Sie kennen meinen Freund, alle duzen sich. Auch der Liefer­wa­gen­fah­rer, der die Zeitun­gen bringt und die alten mitnimmt, gehört zu den tägli­chen Gästen. Beim Gehen kaufe ich noch zwei frische Bröt­chen, die backe ich mir am nächs­ten Morgen auf.

Dage­gen ist die Tank­stelle in Char­lot­ten­burg nachts recht ruhig. Hier arbei­tet ein ande­rer Freund und so manches Mal verbringe ich auch dort eine halbe Stunde, meist direkt vor dem Feier­abend. Hier sind es Wach­schüt­zer, die zum Tanken kommen und um eben­falls Ziga­ret­ten zu kaufen. Ein Poli­zei­wa­gen fährt aufs Gelände, kurbelt das Fens­ter runter: “Alles klar, hier?” Dann ziehen sie weiter ihre Runden. Ein Betrun­ke­ner schleicht sich an, sagt nur kurz, dass er nichts möchte und geht weiter seiner Wege. Gut, dass wir drüber gere­det haben.
Zwei Jungs schlen­dern lässig zum Nacht­schal­ter, sie arbei­ten um die Ecke bei einem Pizza-Liefer­ser­vice. Um 2 Uhr haben sie Feier­abend, kommen zum Bier an die Tanke. Mein Freund kommt ein paar Minu­ten raus, um eine zu rauchen. Rein­las­sen darf er hier nieman­den, eine Abmah­nung hat er schon bekom­men, weil er sich nicht immer dran gehal­ten hat. Zu viert reden wir ein biss­chen.

Auch die Tank­stelle in Mitte ist nachts ein Treff­punkt, sie ist rund um die Uhr geöff­net. Um Mitter­nacht tref­fen sich hier einige Taxi­fah­rer, tanken, gehen mit dem Hoch­druck­rei­ni­ger übers Auto, trin­ken einen Kaffee und tauschen sich aus. Ich bin hier, weil ich einen Wagen mit Erdgas­an­trieb fahre, da gibt es nicht so viele Möglich­kei­ten.
Hier kommt es auch vor, dass mal eine Poli­zei­wanne vorfährt und zehn Kampf­uni­for­men rein­kom­men. Die Hälfte geht gleich durch zur Toilette, die ande­ren fragen nach Bock­wurst oder beleg­ten Bröt­chen. Nur Kaffee trin­ken wollen sie nicht, sonst müssen sie bald wieder aufs Klo.

Von irgendwo kommen ein paar versprengte Party­gän­ger, die zu früh aus dem Nacht­bus ausge­stie­gen sind. Sie sind müde, nur einer wuselt rum und stresst meine Taxi-Kolle­gen: “Nach Tegel, man, für zehn Euro?”. Keiner nimmt das groß­zü­gige Ange­bot an, der Mann beginnt zu pöbeln. Als ihn der Verkäu­fer zum Gehen auffor­dert und sich drei der Poli­zis­ten vor ihm aufbauen, gibt der Stres­ser auf und trollt sich. Seine Kumpels holen noch Bier und Kekse, sie müssen sich stär­ken, sagen sie.
Nach­dem ich dort getankt und das Auto sauber gemacht habe, beende ich meine Schicht. Im Rück­spie­gel sehe ich noch die grelle Tank­stel­len­re­klame und den hell erleuch­te­ten Verkaufs­raum mit ein paar Menschen drin, die noch keinen Feier­abend haben. Oder noch nicht nach Hause wollen.

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Zufallstreffer

Berlin

Nachts am Heli

Es kommt vor, dass man nachts geweckt wird, weil ein Hubschrau­ber direkt über dem Haus entlang fliegt. Meis­tens sind das Notarzt-Heli­­ko­p­ter, die zu einem der Berli­ner Kran­ken­häu­ser mit Hubschrau­ber­lan­de­platz flie­gen. So war es auch gestern […]

3 Kommentare

  1. Ach ja, die gute, alte Kant­ga­rage. Mal sehen wie lange sie noch stehen wird und wann auch dort das Kapi­tal den Denk­mal­schutz für das Haus kippen kann. Gegen­über hat ja neulich schon der Buch­la­den “ZWEI­TAU­SEND­EINS” geschlos­sen, weil er einfach nicht mehr in die Zeit der anony­men Einkäufe im Netz passte. Wieder einer weni­ger. Ich muss noch einmal mit meiner Toch­ter die Garage rauf fahren, bevor es zu spät ist. Retro ist doch soo im Trend…

  2. Du bringst das Nacht­fee­ling wirk­lich gut rüber, alle Achtung! Da hat man fast das Gefühl, auch dort zu sein. Aber gerade das zeigt mir wieder: Ist es das Alter oder einfach persön­li­che Vorlie­ben, was mich davor schüt­zen will? Ich will sagen: Ich brau­che das nicht und bin unend­lich froh, nicht mehr im Nacht­dienst fahren zu müssen.

  3. Ich mag sie sehr, deine spar­sam dosier­ten Nacht­schil­de­run­gen, die, in einfa­chen Worten, die Stim­mung gut vermit­teln.

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