Vom Tellerwäscher zum Revolutionär

Bis zum Kriegs­ende stand an der Ecke zwischen Knese­beck- und Grol­man­straße ein reprä­sen­ta­ti­ves Wohn­haus, wie es rund um den Platz einige gab. Mit Türm­chen auf dem Dach und sehr viel Stuck an der Fassade. Unge­fähr in den 1960er Jahren wurde an dieser Stelle ein neues Gebäude errich­tet, nur ein Zweck­bau, wie viele andere auch in der Nach­bar­schaft. Nicht schön, aber durch die schräg zurück­ge­setzte Fassade an der östli­chen Seite entstand dort ein klei­ner Platz — der jedoch nur als Park­platz genutzt wird. In Mauer­zei­ten hatte dort die Deut­sche Pres­se­agen­tur ihren West-Berli­ner Sitz.

Direkt dane­ben, schon in der Knese­beck­straße, wurde eine Shell-Tank­stelle gebaut. In einer Lücke, wie sie der Krieg viele geris­sen hat. Einige Jahre später zog die Tank­stelle wieder aus und der Flach­bau wurde umge­baut zu einem Restau­rant. Damals begann das, was als beson­ders exotisch und “verrückt” gelten sollte: Bars und Restau­rants in Tank­stel­len, Hinter­häu­sern oder Toilet­ten­häus­chen einzu­rich­ten. So auch hier.

Ab Mitte der 1980er Jahre wurde in den Räumen geho­bene Gastro­no­mie ange­bo­ten. In Anleh­nung an die eins­tige Tank­stelle hieß das Restau­rant Schell. Nicht ganz frei­wil­lig, wie Anwoh­ner berich­ten, der Ölkon­zern hatte gegen die origi­nale Schreib­weise Einspruch einge­legt. Und so hiel­ten viele den geän­der­ten Namen des Restau­rants irrtüm­lich für eine Hommage an Maxi­mi­lian oder Maria Schell. Die Inha­ber koket­tier­ten sicher auch mit dieser Idee, so dass sich das Schell bald zu einem Promi­nen­ten­lo­kal entwi­ckelte.

Ich war so Mitte Zwan­zig, als ich mich beim Schell bewarb. Es war Zufall, denn vorher hatte ich im Schwar­zen Café erfah­ren, dass im Schell jemand als Küchen­hilfe gesucht wird. Diesen Job hatte leider schon jemand ande­res bekom­men, aber man bot mir an, mich als Teller­wä­scher anzu­stel­len.

Es wunderte mich, dass sie in solch einem feinen Restau­rant Teller per Hand waschen würden, aber das stimmte nur zum Teil, Spül­ma­schi­nen gab es durch­aus. Meine Arbeit bestand darin, mit heißem Wasser eine Vorrei­ni­gung vorzu­neh­men. Die groben Reste muss­ten von den Teller gekratzt, Töpfe und Pfan­nen sauber geschrubbt und die Maschi­nen ein- und ausge­räumt werden.
Die Arbeit war nicht schwer, aber für eine Person zu viel. Ein paki­sta­ni­scher Kollege, der nur wenige Worte Deutsch sprach, war eben­falls für diese Arbeit ange­stellt. Leider spulte er sich als Chef auf, obwohl er nur einige Wochen länger dort arbei­tete als ich. Er dele­gierte nur, ohne selber etwas zu machen. Und zwar an mich. Als wenn der eigent­li­che Chef nicht gereicht hätte. Der rannte stän­dig in der Küche herum, aber anstatt sich auf das Essen machen zu konzen­trie­ren, kontrol­lierte er stän­dig die Ange­stell­ten und meckerte herum. Das ist keine Über­trei­bung, er war wirk­lich die ganze Zeit am Rumlau­fen, schauen, prüfen, meckern.

Der Job machte keinen Spaß. Und die Verhält­nisse im Restau­rant und der Küche auch nicht. Die Kell­ner und der Barmann waren arro­gant, jeder meinte, mir Anwei­sun­gen geben zu können. Wenn ein Gast etwas auf dem Boden verschüt­tet hatte, musste ich genauso hin und sauber machen, wie wenn eine Toilette versaut war. Das Trink­geld der Kunden wurde natür­lich nicht geteilt, man ließ mich spüren, dass ich in den Augen der “besse­ren” Ange­stell­ten nichts wert war. Wieso der paki­sta­ni­sche Kollege bei diesem Mobbing mitmachte, weiß ich nicht. Viel­leicht fühlte er sich dann weni­ger auf der Verlie­rer­seite.

Als ich am ersten Tag Feier­abend machen wollte pfiff mich der Chef zurück. Die Nacht­schicht wäre nicht da, deshalb müsste ich solange noch weiter arbei­ten. Die Nacht­schicht kam auch nicht mehr, auch nicht an den folgen­den Tagen, so dass ich  anstatt der verein­bar­ten acht täglich 12 bis 13 Stun­den waschen, Töpfe auskrat­zen, putzen und Maschi­nen entlee­ren musste. Es war frus­trie­rend. Nach einer Woche rief mich der Chef zu sich. Er legte meine Arbeits­nach­weise auf den Tisch und warf mir Betrug vor. Laut Vertrag würde ich täglich acht Stun­den arbei­ten, wieso ich so viele mehr einge­tra­gen hätte?

Meine Erklä­rung mit der tägli­chen Mehr­ar­beit ließ er nicht gelten, die “paar Stun­den” seinen Kulanz gegen­über der Firma. Über­stun­den wären etwas ande­res. Ich war natür­lich wütend und ohne nach­zu­den­ken sagte ich nur noch “Leck mich doch” und verließ das Büro. Am nächs­ten Tag holte ich meine Papiere ab und war um eine Erkennt­nis reicher: Feine Läden bedeu­ten nicht gleich korrek­ten Umgang mit dem Perso­nal. Ich ließ einige Wochen verge­hen und schlich mich dann nachts an. Mit großen Buch­sta­ben sprühte ich “Ausbeu­ter” und das Anar­chis­ten­zei­chen an die Fassade und fühlte mich sehr revo­lu­tio­när. Doch schon am nächs­ten Nach­mit­tag war das wieder sauber über­malt.
Das Schell gab es noch 15 Jahre lang, Inha­ber und Namen wech­sel­ten mehr­fach. Heute befin­det sich dort das Restau­rant Prati­rio mit grie­chi­scher Küche.

print

Zufallstreffer

Bücher

Temple of Refuge

Im März 2016 kam der junge Kurde Sartep Namiq aus dem Irak nach Berlin. Er hoffte auf eine bessere Zukunft. Aber zunächst war das Leben in der Notun­ter­kunft für geflüch­tete Menschen in dem alten Flug­ha­fen […]

Orte

Mikwe Badehaus

In der jüdi­schen Gemeinde in Char­lot­ten­burg spielte das Bade­haus in der Bleib­treu­straße 2 eine wich­tige Rolle. Das tradi­tio­nelle jüdi­sche Quell­bad, genannt Mikwe, diente der Reini­gung von ritu­el­ler Unrein­heit. Dabei ging es nicht vorder­grün­dig um Hygiene, […]

1 Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*