Wilde Bühne und Tingel Tangel

Während oben im Thea­ter des Westens ernste Opern oder fröh­li­che Operet­ten gespielt wurden, wurde 1920 das soge­nannte Parzi­val­zim­mer geschlos­sen. Der Saal befand sich im Unter­ge­schoss des Thea­ters, zugäng­lich von der West­seite, unter der Kaiser­treppe hindurch. Die Schau­spie­le­rin und Sänge­rin Trude Hester­berg öffnete dort am 5. Septem­ber 1921 ihre “Wilde Bühne”, eine der ersten moder­nen lite­ra­risch-poli­ti­schen Kaba­rett­büh­nen. Auf dieser stan­den bald Schau­spie­ler wie der noch junge Bertolt Brecht oder Joachim Ringel­natz. Autoren wie Kurt Tuchol­sky, Walter Mehring, Erich Käst­ner und zahl­rei­che ande­ren schrie­ben Stücke für die Wilde Bühne. Es war die Zeit des Kaba­retts, gleich um die Ecke an der Joachims­tha­ler Straße eröff­nete im April 1922 auch die “Rakete”. Die Wilde Bühne wurde nach Max Rein­hardts “Schall und Rauch” schnell die belieb­teste Kaba­rett­bühne der Stadt.

Am Vormit­tag des 16. Novem­ber 1923 brach jedoch ein durch Kabel­brand verur­sach­tes Feuer aus, Bühne und Publi­kums­be­reich wurden vernich­tet. Auf dem Höhe­punkt der Infla­tion war an eine Reno­vie­rung nicht zu denken, die Wilde Bühne wurde Geschichte.
Im Jahr danach rich­tete der Komi­ker Wilhelm Bendow (genannt “Onkel Wilhelm”) die Spiel­stätte wieder her und eröff­nete sie unter dem Namen “Tütü”. Die musste er aber im März 1928 nach einem poli­ti­schen Pauken­schlag schlie­ßen: König Amanullah aus Afgha­ni­stan hatte Berlin besucht, was den Staat rund eine Million Mark gekos­tet haben soll. Trude Hester­berg und Kurt Gerron verar­bei­te­ten diese Verschwen­dung schon einen Tag später auf der Bühne mit dem erst­mals aufge­führ­ten Schla­ger “Wer soll das bezah­len, wer hat soviel Geld?”. Soviel popu­läre Kritik vertrug die Demo­kra­tie nicht, das Tütü wurde geschlos­sen.

1931 erfolgte die Aufer­ste­hung der Bühne, dies­mal unter dem Namen “Tingel Tangel”. Der Kompo­nist Fried­rich Hollän­der brachte zwei Revuen zur Auffüh­rung, “Spuk in der Villa Stern” und “Höchste Eisen­bahn”. Nach der Macht­über­gabe an die NSDAP ging Hollän­der ins Exil, das Tingel Tangel wurde von Gustav Hepp­ner weiter­ge­führt. Zwar wurden die Stücke etwas weni­ger bissig, doch die Nazis verstan­den keinen Spaß. Wenn die Gestapo im Zuschau­er­raum flei­ßig mitschrieb, fragte Werner Finck: “Spre­che ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder muss ich mitkom­men?” Finck und der Kaba­ret­tist Walter Gross kamen für mehrere Monate ins Gefäng­nis und erhiel­ten danach Berufs­ver­bot. Das Tingel Tangel wurde am 10. Mai 1935 geschlos­sen, dies­mal für immer.

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