Falsch abgebogen

Es gibt Momente im Leben, in denen man sich Gedan­ken darüber macht, ob man eigent­lich zufrie­den ist. Ob man das eigene Leben so lebt, wie man es möchte. Sicher, es gibt immer etwas, was man gerne anders hätte. Zu einem großen Teil ist man selber für sein eige­nes Leben verant­wort­lich, welche Entschei­dun­gen man trifft, welche Weichen man stellt.

Im Taxi entwi­ckeln sich erstaun­lich oft Gesprä­che, die sich genau darum drehen. Ab und zu öffnen sich Fahr­gäste mir gegen­über, manch­mal mehr, als mir lieb ist. Aber was soll’s – beide Seiten wissen, dass sie sich kaum wieder­se­hen, so entsteht ein gewis­ses, kurz­zei­ti­ges Vertrauen.

Bei meinem Fahr­gast war ich der Erste und Einzige, mit dem er über das Thema gespro­chen hat, meinte er. Das Thema, das ihn seit eini­gen Mona­ten bewegt und das sein ganzes Leben ins Trudeln bringt. Er war etwa 40 Jahre alt, verhei­ra­tet, leiten­der Ange­stell­ter. Verhei­ra­tet – mit einer Frau, wie er betonte. „Rela­tiv glück­lich.“ Der Sohn wird nächs­tes Jahr auszie­hen, zum Studie­ren in einer ande­ren Stadt.

Ich ahnte schon, wie es weiter­ge­hen sollte:
„Und dann kommt die große Leere?“
„Ja. Und die große Frage…“
„Welche denn? Ob man dem Leben noch­mal eine andere Rich­tung gibt?“
„Gut erkannt. Wir haben ja sehr jung gehei­ra­tet, da war schnell alles vorbe­stimmt. Erst kam die Toch­ter, danach der Sohn.“
„Was würden Sie denn gerne anders machen? Einen ande­ren Job? Oder geht es viel weiter?“
„Ja, das tut es. Vor eini­gen Mona­ten habe ich in der Firma einen ande­ren Mann kennen­ge­lernt. Wir sind uns auf eine unge­wohnte und irgend­wie unheim­li­che Art sympa­thisch. Anders, als es sonst zwischen Männern normal ist. Er ist sicher nicht schwul oder so, aber irgend­wie so ganz anders.“
„Weil Ihnen bei ihm ganz anders wird?“
„Ja. Das tut es.“
„Dann sind Sie viel­leicht bise­xu­ell, das ist ja nicht so selten. Und auch keine Kata­stro­phe.“
„Außer, es betrifft einen selber.“
„Sie sind damals viel­leicht einfach falsch abge­bo­gen. Oder zu früh, wer weiß.“
„Falsch abge­bo­gen? Nette Formu­lie­rung. Stimmt aber. Ich hätte damals nicht alles über­stür­zen sollen. Ich wollte ja auch Kinder, da war das ja die einzige Möglich­keit.“
„Dann stel­len Sie die Weichen neu. Sie sind jetzt mitten drin im Leben, nicht am Ende. Es wäre doch schade drum. Und wenn Ihre Frau Sie liebt, unter­stützt Sie sie viel­leicht sogar.“

Mitt­ler­weile waren wir am Ziel ange­kom­men. Er zahlte und machte einen entschlos­se­nen Eindruck.
„Vielen Dank! Da kommt ja was auf mich zu…“
„Ja, span­nend, Ihnen alles Gute.“
„Danke. Dir auch!“

print

Zufallstreffer

Orte

Das alte Hotel Adlon

Am 24. Okto­ber 1907 berich­tete die Vossi­sche Zeitung in Berlin: “Während des gest­ri­gen Tages hatten Kaiser, Kaise­rin, Prin­zes­sin­nen und Prin­zen den präch­ti­gen Hotel­bau besich­tigt und Herrn Adlon ihre Aner­ken­nung des hier Geschaf­fe­nen in ehrends­ter Weise […]

1 Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*