Nachts an der Bude

Nacht-Taxi­fah­rer haben nicht so viel Auswahl, wenn sie zwischen­durch was essen wollen. Die meis­ten Restau­rants und Imbisse haben am späten Abend geschlos­sen und andere, wie Biers am Kudamm, sind zu teuer.

In der Kant­straße neben dem Savi­gny­platz liegt das Schwarze Café, dort gibt’s zum vernünf­ti­gen Preis gutes Essen rund um die Uhr, außer montags früh. In Kreuz­berg und am Zoo bietet sich Curry 36 an, demnächst auch an der Warschauer Straße in Fried­richs­hain. Weiter östlich ist tote Hose.
Dazu kommen einige Burger- und Döner-Läden, aber wie bei den Wurst­bu­den sind nur wenige wirk­lich empfeh­lens­wert und die meis­ten machen abends früh dicht.

Wenigs­tens bis um Mitter­nacht hat aber die Curry-Baude am Bahn­hof Gesund­brun­nen geöff­net, die nicht nur eine freund­li­che Bedie­nung bietet, sondern auch sauber und sehr güns­tig ist. Hier esse ich gerne vor Mitter­nacht ein Schnit­zel für 3,50 Euro.

Dazu gibt es Weddin­ger Lokal­ko­lo­rit. In den 10 bis 15 Minu­ten, die ich dort manch­mal verbringe, bekommt man einen guten Einblick in das Leben des Stadt­teils, der vor langer Zeit auch mal zwei Jahre lang mein Zuhause war.

„Hallo Mutti!“, drän­gelt sich der alte, fast zahn­lose Mann an den Warten­den vorbei zur Futter­luke. Die „Mutti“ könnte seine Enke­lin sein und freut sich sehr über seinen Gruß. In routi­nier­ter Schnelle rich­tet sie das Essen für ihre Gäste her, lässt sich von dem Mann nicht ablen­ken. Und ist trotz­dem für ihn da: „Musst aber warten, sind noch n paar vor Dir dran“, sagte sie. „Ne, ick hab heute schon in Kreuz­berg zwee Wiener geges­sen. Immer nur Curry­wurst ist ja ooch nich jesund, wa.“
Er pros­tet ihr noch mit der leeren Bier­fla­sche zu und geht seiner Wege.

Vor der Bude stehen zwei Hips­ter, zünf­tig mit Voll­bart und Männer­dutt und disku­tie­ren, ob es hier auch vegane Curry­wurst gibt. Sie fragen aber nicht, machen eher den Eindruck, dass sie Angst haben. „Lass uns lieber zum Rosen­tha­ler fahren, das hier ist doch nichts.“ Wenn die wüss­ten, dass es dort um 23 Uhr gar keine Wurst mehr gibt, weder mit noch ohne Tier.

Zwei Bauar­bei­ter­ty­pen kaufen gleich für 20 Euro ein, Curry, Pommes, was zum Trin­ken, alles in XXL, es war wohl ein harter Tag. Sie sehen beide müde aus. Aber als „Schätz­chen“ ihnen das Essen reicht, werden die Augen doch groß und der Blick zufrie­den.

Eine alte Berli­ne­rin schaut noch vorbei, wech­selt ein paar Worte mit der Verkäu­fe­rin, legt einen Fünfer auf den Tresen und geht grüßend wieder. Das Geld ist von Gerda, erfahre ich, die hat es sich schein­bar geborgt, kann aber im Moment nicht raus. Hat aber wohl nichts mit Corona zu tun. Gut zu wissen.

Der BVG’ler, der aus dem U‑Bahnhof kommt, grüßt nur im Vorbei­ge­hen, ebenso ein junger Mann, der in den Bahn­hof sprin­tet. Die Curry-Baude ist hier eine Insti­tu­tion. Sie erin­nert mich an die Bude, die einst am Kotti in Kreuz­berg stand. Mehrere Jahr­zehnte lang wurde sie von Anni betrie­ben. Immer wenn man dort was einge­kauft und etwas Trink­geld gege­ben hat, steckte sie das in ein Gummi­schwein­chen und pfiff eine kleine Melo­die. Anni ist nun schon ein paar Jahre tot, ich kannte sie mehr als 30 Jahre. Aber hier am Gesund­brun­nen gibt es auch ein Gummi­vieh, wenn auch kein Schwein­chen. Hier landet das Trink­geld mit einem Quiet­schen im Bauch. Ist auch schön.

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5 Kommentare

  1. Ach ja, die Anni war ein Schatz. Ich stand dort oft mit meinem Bass­kof­fer bevor es zum Übungs­kel­ler ans Paul-Linke-Ufer ging. Hips­ter gab es damals noch nicht dort, aber ein authen­ti­sches Kreuz­berg und einen Auto­ver­kaufs­platz den ich gerne zu einem Bier­gar­ten gestal­tet hätte. Hätte… Nun steht dort schon lange der Neubau — gegen­über auch — und Anni ist auch schon tot. In den 90er Jahren fuhr ich einen 300er Diesel mit dem ich von der Halte aus die Ampel im Kreis­ver­kehr noch bei Grün schaffte. Trotz der 750.000 gefah­re­nen Kilo­me­ter… hahaha…

    Weiter­hin gute Fahrt und guten Appe­tit am Gesund­brun­nen!

    Hug

    • Grüß Dich Michael

      Warst Du einer von Agita­tion Free, Os Mundi oder Morgen­rot etc.? Manch­mal tauchte dort auch die Nina Hagen auf in den Kellern des Paul-Lincke-Ufer. Zwei meiner Brüder hatten dort auch geübt…

      • Haha. Wir waren die Diletan­ten namnes “Tempo”. Morgen­rot waren unsere Nach­barn — im Keller sowie auf der Straße (KNEIPE). Genau dort traf ich Nina kurz nach­dem sie nach West-Berlin gekom­men war. Sie saß vor verschlos­se­ner Tür auf der Stufe und meinte nur: “Im Westen isset ooch nich besser”.

        Wo spielte denn dein Bruder?

        Als ich vor 15 Jahren einmal vormit­tags am Ufer war, sah ich in einer Kneipe den Drum­mer von Morgen­rot Bier trin­ken. Er sah nicht glück­lich aus. Aber solche Knei­pen dürfte es heute dort nicht mehr geben… Dafür wird dort heute Boule von hippen Menschen (Voll­bart und Männer­dutt) gespielt. :-(

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