Keiner hat’s gewusst, auch im Senat war man überrascht: Erst kurz vor der Eröffnung ihres sechsstöckigen Neubaus in der Otto-Suhr-Allee in Charlottenburg wurde gestern der Schriftzug „Scientology Kirche“ am Haus angebracht. Damit platzte die Bombe und alle regen sich nun auf. Die Opposition verlangt vom Innensenator eine Stellungnahme, wieso die Sekte ihr neues Zentrum so unbemerkt errichten konnte. Dabei weiß sie genau, dass die Scientology in Berlin nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts seit 2003 nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Zur Begründung hieß es: „Bei der Scientology-Kirche hat es nie etwas gegeben, das einer Beobachtung bedurft hätte“. Damit ist Berlin das einzige Bundesland, in dem es keine Beobachtung ihrer Aktivitäten gibt.
Es ist unbestritten, dass die Scientology-Kirche eine Sekte ist, die ihre Mitglieder ausbeutet und in psychische Abhängigkeit treibt. Damit ist sie jedoch nicht allein, es gibt hier in Berlin eine ganze Reihe von religiösen Sekten, auf die das genauso zutrifft. Sicher ist Scientology undemokratisch und geht hart gegen Kritiker und Aussteiger vor – aber auch damit sind sie nicht allein. Dagegen steht die Freiheit, die es jedem Menschen freistellt, den Glauben zu praktizieren, den er möchte. Jeder darf sich auch selbst in Abhängigkeit zu solchen Sekten begeben, wenn er das möchte. Es ist das Wesen und die Dramatik einer Demokratie, dass sie eben auch diejenigen in Schutz nehmen sollte, die einer anderen Meinung sind. Was sich heute in den Radiosendungen abspielte, als „aufgebrachte Nachbarn“ zu Wort kamen, erinnerte allerdings sehr an Pogromstimmung. Offenbar sind die befragten Bürger in Sachen Demokratiebewusstsein kein bisschen weiter, als die Scientologen.
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