Idiotologische Verkehrspolitik

Der im Februar abgewählte Senat hatte mit Bettina Jarasch eine Verkehrssenatorin, die durchaus als radikal bezeichnet werden kann. Allerdings nur, was ihre öffentliche Politik betraf, in der sie dem Autoverkehr den Kampf ansagte. Sie selber ließ sich natürlich trotzdem sehr gerne mit dem Dienstwagen chauffieren, denn sie war ja „darauf angewiesen“. Andere AutofahrerInnen offenbar nicht. Ihre Verkehrspolitik wurde von politischen Gegnern gerne als ideologisch geleitet bezeichnet. Sicher nicht zu Unrecht.

Nun gibt es eine neue Verkehrssenatorin. Manja Schreiner sitzt für die CDU im Senat und was sie bisher zum Thema Radverkehr von sich gelassen hat, ist nicht weniger idologisch gefärbt, nur eben in die andere Richtung. Fast hat man den Eindruck, 60 Jahre zurück katapultiert worden zu sein. Schreiner hat jetzt die Bezirke angewiesen, sämtliche Umbaumaßnahmen zugunsten des Fahrradverkehrs einzustellen, wenn dadurch auch nur ein einziger Autoparkplatz wegfallen würde. Allein im Bezirk Pankow betrifft das zwölf geplante Fahrradstreifen.

Man fragt sich, was diese Leute im Kopf haben. Die eine wie die andere haben wohl nicht verstanden, dass sie nicht nur für ihre eigene Klientel Politik zu machen haben, sondern für alle. Weder ist es akzeptabel, einer Million Autofahrern in Berlin ihr Fahrzeug zu verbieten, noch die Radfahrer wieder wie früher einen 50 Zentimeter breiten Streifen auf dem Bürgersteig zuzuweisen. Beiden Damen unterstelle ich, dass das ihr Ziel ist.

Richtig ist: In Berlin fahren immer mehr Menschen mit dem Fahrrad, prozentual mehr als in den anderen deutschen Großstädten. Berlin hat aber auch prozentual am wenigsten Autos pro EinwohnerInnen, als ebenso die anderen deutschen Großstädte. Was bedeutet, dass es nur ein Nebeneinander geben kann und nicht ein Gegeneinander. Andere Städte wie Münster, Amsterdam oder Kopenhagen machen vor, dass dies möglich ist.
Und auch in Berlin gibt es ja hier und da positive Beispiele, wie z.B. die Einrichtung von Fahrradstraßen parallel zu Hauptverkehrsschneisen. Statt auf der Torstraße in Mitte fahren die Räder parallel in der Linienstraße, wo die Autos nur „zu Gast“ sind. So etwas wäre ohne besonderen Aufwand und ohne große Umbauten an vielen Orten der Stadt möglich: Statt Kantstraße fährt man mit dem Rad durch die Mommsenstraße, statt Müllerstraße im Wedding gechillt durch die Genter und Cornelius-Fredericks-Straße (ehem. Lüderitzstraße), die Donaustraße in Neukölln ist eine prima Fahrrad-Alternative zur Sonnenallee und Karl-Marx-Straße. Und wenn Fahrradstraßen so gestaltet sind, dass sie für Autos unattraktiv wären, gäbe es dort auch kaum Konflikte.

Grundsätzlich kann man auch auf allen breiten Straßen eine 2,5 Meter breite Fahrradspur anlegen, wie es an manchen Stellen bereits geschehen ist. In der Regel sollten zwei Spuren für die Autos reichen, es müssen nicht unbedingt drei oder vier pro Richtung sein, wie z.B. in der Bismarckstraße/Kaiserdamm in Charlottenburg.

Aber vielleicht ist die jeweils herrschende Politik auch tatsächlich nur ein Ausdruck des Denkens. Als ich ein Kind war, hatte mein Vater einen Aufkleber am Auto: „Hallo Partner, danke schön!“. Der kam glaube ich vom Bundes-Verkehrsministerium und war Teil einer Kampagne, damit sich die Menschen im Verkehr nicht rücksichtslos, sondern solidarisch verhalten. Dass so etwas funktionieren kann, merke ich bei meinen Besuchen in Dänemark oder Schweden, wo es zwar auch Verkehrsidioten gibt, aber offensichtlich viel weniger als hier. In fast zwei Jahren in Kopenhagen war ich mit dem Fahrrad etwa nullmal in einer Verkehrssituation, in der ich Angst gehabt hätte. Hier in Berlin kommt das ständig vor.

Eine Verkehrspolitik, die nicht auf Ausgleich aus ist, sondern die Polarisierung vorantreibt, kann keine Lösung sein. Ich möchte z.B. nicht als zeitweiser Autofahrer gezwungen werden, in überfüllten und stinkenden Bussen und Bahnen fahren zu müssen. Als E-Roller- und Fahrradfahrer will ich aber auch weder auf der Straße mein Leben riskieren, noch mir im Winter den einen oder anderen Körperteil abfrieren müssen, weil ich das Auto stehenzulassen habe. Verkehrsstalinismus, egal ob Grün oder Schwarz, lehne ich ab.

Foto: Hans-Michael Tappen / CC BY-NC-SA 2.0

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1 Kommentar

  1. Danke Aro. Gut geschrieben. Aber was nützen Politiker die irgendwelche Anweisungen geben, wenn das Volk nicht zuhören oder sich ändern möchte. Die Aggressivität und Missgunst – nicht nur im Verkehr in unserer Stadt – ist derartig angestiegen, dass ich es kaum noch ertragen kann. Jetzt prügeln sich schon die Jugendlichen an der Wasserrutsche. Oder Menschen bringen Taxifahrer wegen 10 Euro um.

    Der Krieg in der Ukraine ist nur das Abbild der sich wandelnden Gesellschaft hin zu immer mehr Gewalttätigkeit. Immer mehr Waffen werden gebaut, geliefert und benutzt. Offen mit der Atombombe gedroht und sich tatsächlich darauf vorbereitet.

    Was erwartest Du von den Menschen, wenn sie solche Vorbilder haben? Rücksicht und Liebe?
    Wovon träumst Du denn nachts? Natürlich wird der Wind weltweit immer mehr von rechts wehen… Die Anzeichen sind nicht mehr zu übersehen. Wer die Vergangenheit kennt, kennt die Zukunft.

    Kopenhagen, olè!

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