Ausbuchtungen der Geschichte

So mancher hat sich schon gewundert, wenn er von Tegel kommend über die Autobahn A 111 in die Stadt gefahren ist: Am Saatwinkler Damm befindet sich plötzlich eine Bushaltestelle. In beide Richtungen hat die Autobahn dort Ausbuchtungen, Haltestellenschilder, ein paar Betonblöcke zum Schutz der wartenden Fahrgäste – auch wenn man hier selten einen sieht.
Man nimmt sie kaum wahr. Doch wenn man ihren Ursprung erfährt, wundert man sich, dass sie einem nie aufgefallen sind: Vor allem auf dem Berliner Stadtring A 100 befinden sich noch heute die Haltebuchten, die einst als Bushaltestellen gedient haben. Linienbusse, die direkt auf der Autobahn halten, sind natürlich nicht üblich. In Berlin sind sie unmittelbar mit der Geschichte dieser Stadt verbunden, nämlich mit der Teilung und dem Kalten Krieg.

Der Hintergrund ist, dass die Verwaltung der S-Bahn nach dem Krieg in die Hand der Reichsbahn und damit der DDR-Regierung gelegt wurde. Dies war von den Alliierten so bestimmt worden, damit es in Ost- und West-Berlin eine einheitliche Bahn-Verwaltung gab. Die S-Bahnen wurden im Westteil der Stadt aber seit den späten 1950er Jahren und besonders nach dem Mauerbau von vielen Menschen boykottiert. Und dies nicht nur kurzzeitig, sondern dauerhaft: „Wer S-Bahn fährt, bezahlt den Stacheldraht“, war die Parole nach dem 13. August 1961 und an manchen Bahnhöfen standen Demonstranten, die S-Bahn-Fahrgäste beleidigten, bedrohten und manchmal sogar angriffen. Die West-Berliner Polizei griff nur ein, wenn es zu Handgreiflichkeiten kam.

Damals wurde die Stadtautobahn A 100 gebaut, die parallel zum westlichen und südlichen Teil des S-Bahn-Rings verläuft. So kam man bei der BVG auf die Idee, jeweils auf Höhe der S-Bahnhöfe Ausbuchtungen für Bushaltestellen einzurichten, vom Spandauer Damm bis zum Innsbrucker Platz. So sollte eine Alternative zum Fahren mit der „ostzonialen“ S-Bahn geboten werden. Problematisch war in diesem Zusammenhang das Wiedereinfädeln der Linienbusse in den fließenden Verkehr. Doch anders als heute war die Anzahl der Fahrzeuge ja noch recht überschaubar.

Am Anschluss Hohenzollerndamm

Und so fuhren ab November 1958 die BVG-Busse A65 (später 105) direkt neben der S-Bahntrasse und hielten auch nahe der Bahnhöfe. An den Haltestellen gab es in der Regel Treppenaufgänge, da die Autobahn unterhalb des normalen Straßenniveaus verläuft. Sogar im Tunnel unter dem Innsbrucker Platz wurde eine Haltestelle eingerichtet, die jedoch nie in Betrieb genommen wurde. Warum, weiß man heute nicht mehr, vermutlich aber aus Sicherheitsgründen. Heute dient sie als Not-Haltestreifen für liegengebliebene Fahrzeuge. Von den insgesamt 13 Haltepunkten wurden bereits nach wenigen Jahren mehrere außer Betrieb genommen.

Die Autobahn-Bushaltestellen waren eine der Merkwürdigkeiten im Kalten Krieg. Mit der Wiedereröffnung der Ringbahn im Jahr 1993 wurde der parallele Busverkehr wieder aufgegeben, die Haltestellen meist zugemauert. Fast alle einstigen Bushaltestellen sind aber noch heute zu erkennen – wenn man denn auf sie achtet. Aber nur die Haltestelle am Saatwinkler Damm ist noch heute in Betrieb.

Foto 1: Heiko Zapke, Foto 2: Big Virgil / CC BY-SA 4.0

[ Dieser Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]

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