Das Elend im Taxi

Wie geht man bloß mit dem Elend um, das einem im Taxi immer wieder begegnet? Nicht täglich, aber an manchen Tagen mehrmals hat man Fahrgäste, die einem ihre tragische Geschichte erzählen, vielleicht um etwas Trost zu bekommen oder weil sie es einfach nicht aushalten, es für sich zu behalten. Dass Taxifahrer im Zweitberuf auch Psychologen sind, ist ja bekannt. Die räumliche Nähe, vielleicht auch die Anonymität erleichtert das Herzausschütten.

Wir holen die alte Frau ab, deren Mann eben im Krankenhaus gestorben ist. Die Mutter, deren Kind verschwunden ist. Den jungen Mann, der hemmungslos weint, weil seine erste Liebe ihn verlassen hat. Wir sprechen mit den einsamen alten Menschen, der Krankenschwester, die todmüde und fertig von der Doppelschicht kommt, wir fahren die Kinder, die von ihren Alkoholikereltern angebrüllt werden und die froh sind, wenn man ihnen mal zulächelt.
Manche Gespräche dauern länger als die Fahrt. Eine Viertelstunde stand ich noch am Zielort und sprach mit der Frau, die sich Sorgen um ihren Sohn machte, der sich gerade als schwul geoutet hatte. Danach war es für sie keine Katastrophe mehr, sie konnte es jetzt akzeptieren. Ein paar Wochen später war es wieder eine Frau, sie hatte sich gerade von ihrem gewalttätigen Mann trennen wollen, saß nun mit blauem Auge im Taxi und wusste nicht wohin. Ich machte ihr Mut und brachte sie ins Frauenhaus, eine der seltenen Fahrten, die der Fahrgast nicht bezahlen musste. Vergangene Nacht wurde ich auf der Urbanstraße von einem Mann angehalten, ich dachte erst, er wäre betrunken. Aber er sagte nur seine Adresse und „entschuldigung, Parkinson“. Am Ziel angekommen bat er mich die Türen aufzuschließen und mit rein zu kommen. Er konnte es nicht mehr allein und in der Wohnung schloss er sich an einen Apparat an, der ihm ein Medikament in den Körper pumpte. Er bedankte sich überschwänglich und bedauerte, dass er mir kein Trinkgeld geben konnte.
Die Geschlagenen, Hinterbliebenen, Hoffnungslosen, Schwerkranken, egal ob jung oder alt, landen alle mal im Taxi. Ich kenne Kollegen, die das nicht an sich heran lassen, die abblocken und nichts hören wollen. Sie haben einfach keinen Bock und sind arrogant, vielleicht haben sie auch einfach nur Angst. Aber es gibt auch andere, die zuhören und die nicht teilnahmslos einfach nur stur nach vorn blicken. Manchmal ist es nicht einfach und dann muss ich danach erstmal eine Pause machen und mich kurz erholen. Es ist schon wahr: Im Taxi kommt die gesamte Lebensrealität zusammen, das Schöne wie das Traurige. Vielleicht fahre ich deshalb so gerne.

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2 Kommentare

  1. Erhalte dir deine Art diesen Menschen gegenüber. Aber sorge rechtzeitig für dich, die psychische Belastung ist nicht klein, auch wenn das Zuhören ja nicht der „Hauptjob“ ist…

    Stef

  2. whow, das habe ich so noch nicht gehört. Respekt, ein naher Bekannter von mir ist ca. 40Jahre Taxi gefahren und hat nie was in der Art erzählt oder erwähnt. Jetzt verstehe ich den Mann auch ein wenig besser! Lass Dich nicht runterziehen

    (Sa)Biene

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