Barfus nach Bristol

Hans Albrecht Barfus war ein General des 17. Jahrhunderts. Zu den Hauptereignissen dieses Jahrhunderts zählen die Geschichtsbücher den Sieg christlicher Heere über islamische Armeen 1683 vor Wien. Da mischte Barfus mit. Viel hatte nicht gefehlt und das Christentum wäre damals auch in Mitteleuropa durch den Islam ersetzt worden.
Dass die Geschichte Europas deshalb sehr anders verlaufen wäre, glaube ich freilich nicht. Und so habe ich auch von den Leistungen des Barfus keine sehr hohe Meinung, von den meisten Generals-Taten nicht. Dass gerade hier, in dem vielleicht berühmtesten Arbeiterviertel Deutschlands, ein solcher General mehr als ein Jahrhundert lang eine Straße benennen darf, bedeutet auch jetzt noch etwas, obwohl sich niemand mehr für den Türkengeneral interessiert.
Mit ihrem in einer eleganten S-Kurve verlaufenden Mittelstück teilt die Generalsstraße den Schillerpark in zwei Hälften. Der Park ist eine gärtnerische Leistung erster Klasse. Der Gärtner, der ihn knapp vor dem ersten Weltkrieg geschaffen hat, hieß Friedrich Bauer; die städtischen Gärtner, die ihn jetzt erhalten, kenne ich nicht mit Namen. Ich möchte sie loben, wie das Weddinger Grünflächenamt überhaupt, tüchtige Leute.

Hinter dem Schillerpark biege ich in das englische Viertel ein. An Eduard VII., einen großen Erotiker, König von England/Irland und Kaiser von Indien, denke ich jetzt nicht, 1909, im Jahr vor seinem Tode, besuchte er Berlin, und sein Cousin, der zweite deutsche Wilhelms-Kaiser, ehrte ihn mit englischen Straßennamen im Wedding, als ob das sein privater Hausgarten sei.
Die Straßen, durch die ich jetzt im Norden des Schillerparks wandere, sind erst in den 20er Jahren mit ihren englischen Namen versehen worden.

Wer von der Straßenkreuzung Barfus-/Schwyzer Straße nach Norden blickt, der sieht zuerst nicht genau, dass die Straße dort fast rechtwinklig in die Aroser Allee umbiegt, so dass sie vor dem Eingangstor der schönen Wohnsiedlung Schillerhof, der gerade weiß-blau neu gestrichen wird, zu enden scheint wie vor einer Schlosseinfahrt.

Der Straßenwinkel, den Barfusstraße und Aroser Allee nach Westen bilden, umschließt einen Friedhof, der drei evangelische Gemeinden im Namen führt. Es ist kein Mensch auf dem Gottesacker, in kurzen Abständen überqueren ihn Flugzeuge, niedrig und laut, die Toten stört das nicht.
Neben dem Friedhof, auf dem Werkstatthof des Steinmetz-Geschäftes Runschke verheißt eine Stele: Die Sonne scheint für alle.
Sie scheint jedenfalls an diesem Mittwoch Vormittag, als ich in die Bristolstraße einbiege wegen Bruno Taut. Die Wohnsiedlung am Schillerpark kommt in vielen Architektenbüchern vor, sie ist ein Musterstück der Baukultur der ersten deutschen Republik. Der Architekt hieß Bruno Taut; er hatte seine Tätigkeit als SPD-Baustadtrat von Magdeburg gerade beendet, als er nach Berlin kam und in den endenden 20er Jahren diese und mehrere andere beispielhafte Wohnsiedlungen baute.

In Magdeburg verkaufte man einen bunten Likör, der hieß „Taut“. Denn Taut war bekannt und wurde noch bekannter als der Architekt, der Grau raus zwang aus den Mietshaus-Fassaden und Bunt rein. In der Siedlung an der Erich-Weinert-Straße in PrenzlBerg kann man solche Farbigkeit jetzt wieder bewundern (und seit Längerem schon in Zehlendorf in der Argentinischen Allee und in PrenzlBerg in der Rietzestraße).
Hier im englischen Viertel gibt es keine Taut-Farben. Hier baute er in Backstein und in Weiß. Hans Hoffmann restaurierte in den 50er Jahren die Anlage und erweiterte sie. Sie hat ihren beispielhaften Charakter erhalten. Mit ihren Loggien und verglasten Balkonen macht sie einen großzügigen Eindruck.

„Das ist gebauter Sozialismus“, sagte Wassili Lunatscharski, als er Sowjet-Volkskommissar war über die Hufeisensiedlung Tauts in Neukölln, aber Taut bestand darauf, dass es „Sozialismus im unpolitischen Sinne war, fern von jeder Herrschaftsform“.
Ich verweile auf dem Hof in der Windsorer Straße inmitten der klaren Backstein-Fassaden, dem Spielplatz folgt eine freie, gut gemähte Wiese, baumumstanden, vorne ein Sitzplatz für die Bewohner.

Kein Menschen-Laut stört das Zwitschern der Vögel. Draußen auf der Straße lassen zwei Knaben ihre ferngesteuerten Autos laufen. In der Taut-Siedlung in der PrenzlBerger Grellstraße sagte mir neulich ein alter Bewohner; Wer hier wohnt, der zieht nicht so leicht aus. Vielleicht ist es hier beim Weddinger Taut genauso.
Jenseits der Dubliner Straße liegen Kleingärten, Die Kolonie hat den schönen Namen Freudental.

Bei der Korneliuskirche („Café offen, Kirche offen“) biege ich in die Edinburger Straße ein, an der die DeGeWo eine anständige Wohnanlage anständig erhält, ehe die Straße ein breiter, im Mittelstreifen blühender Spazierweg zwischen den Friedhöfen wird. Der Domkirchhof gibt ein neues Beispiel der Mahn-Rhetorik, die nicht nur auf Berliner Friedhöfen auffällt. „Wir wollen einen gepflegten Kirchhof. Da jede Grabstätte Teil der Gesamtanlage des Kirchhofs ist, muss sie von den Nutzungsberechtigten gärtnerisch angelegt und bis zum Erlöschen des Nutzungsrechts gepflegt sowie in einem verkehrssicheren Zustand erhalten werden.“

Die Feierlichkeit, mit der man Begräbnis und Gräber umgibt, die Vorstellung, dass es um Gräber still sein muss, dass man auf dem Friedhof mit gedämpfter Stimme reden muss, alles das sind Formen der Distanzierung der Lebenden von den Toten, Mittel, eine empfundene Bedrohung durch die Nähe der Toten von den Lebenden fernzuhalten. Sagt Norbert Elias.
Ich suche das Grab des ersten Berliner Bürgermeisters aus diesem Friedhof also nicht, sondern gehe an ihm vorüber. Die Straße endet direkt vor einem Baudenkmal der Moderne. Der jetzige Omnibus-Betriebshof der BVG; Ende der 20er Jahre von Jean Krämer gebaut; Arbeitsstätte und Wohnungen drumherum, expressoinistisches Bauen, zu dem die kleinen Jägerzäune lustigen Kontrast bilden, mit denen die Bewohner der unteren Wohnungen die Balkonbrüstungen erhöhen und der Fassade Farbe geben.

Die Plastiken an Front und Seitenflügel haben keine Ähnlichkeit mit den Buspiloten, die in blauer Jacke und mit kleinem Aktenköfferchen aus dem U-Bahnhof Afrikanische Straße herauf kommen.
Während ich dort auf die U-Bahn warte, schreibe ich meiner Mutter in Bad Schwartau eine Karte, die sie später zu der Frage veranlasst: „Afrikanische Straße? In Wedding?“ Das ist aber eine andere Geschichte.

Aus: Spaziergänge in Berlin (1990er Jahre)

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