Demokratie oder Diskriminierung?

Natür­lich sind mili­tä­ri­sche Aufmär­sche nicht jeder­manns Sache — auch meine nicht. Wenn ich Bilder von “feier­li­chen Gelöb­nis­sen” wie heute im Bend­ler-Block sehe, asso­zi­iere ich damit auto­ma­tisch die Wehr­machts­pa­ra­den, die man aus alten schwarz-weißen Wochen­schau-Aufnah­men kennt. Sicher, die Bundes­wehr ist die Armee eines demo­kra­ti­schen Landes. Aber das Mili­tär steht norma­ler­weise auf Seiten der Regie­ren­den, und wenn sich Systeme ändern, dann kann aus einer Vertei­di­gungs­ar­mee auch schnell wieder eine Angriffs­truppe werden. Da nützt auch der Hinweis auf das angeb­lich defen­sive Wort­an­häng­sel “wehr” nichts — das hatte die Wehr­macht auch.

Heute haben sie sich in Berlin alle Mühe gege­ben, die eigene anti­fa­schis­ti­sche Gesin­nung heraus­zu­stel­len, als 600 junge Solda­ten verei­digt wurden. Altkanz­ler Kohl und Minis­ter Jung unter­stri­chen die demo­kra­ti­sche und anti­na­zis­ti­sche Rolle der Bundes­wehr, was aufgrund der Geschichte dieser Armee etwas zu dick aufge­tra­gen war. Bemer­kens­wert finde ich jedoch nicht das Feier­tags­ge­rede, sondern dass ein Verschwö­rer und Atten­tä­ter als Vorbild hinge­stellt wird. Dies steht eigent­lich im tota­len Wider­spruch gegen die mili­tä­ri­sche Gehor­sams­pflicht. Inso­fern hat sich auch in der Bundes­wehr schon etwas posi­tiv geän­dert.

Über­schat­tet wird das gegen­sei­tige Auf-die-Schul­ter-Geklopfe jedoch von der Tatsa­che, dass nur einige Wochen vorher die Dreh­ge­neh­mi­gung für einen Kino­film über eben jenes geschei­terte Atten­tat gegen Hitler verwei­gert wurde. Tom Cruise spielt darin Claus Schenk Graf von Stauf­fen­berg, der Adolf Hitler die Bombe zu Füßen gelegt hatte und der noch in der selben Nacht im Bend­ler-Block erschos­sen wurde. Der Holly­wood-Film “Valky­rie” wird diesen Akt mili­tä­ri­schen Wider­stands außer­halb Deutsch­lands und vor allem in den USA erst rich­tig bekannt machen.

Was aber sind all die Beteue­run­gen des eige­nen Demo­kra­tie­be­wusst­seins wert? Der Film darf nicht am authen­ti­schen Ort gedreht werden, weil der Schau­spie­ler, der Stauf­fen­berg spielt, Mitglied der Scien­to­logy-Sekte ist und in ihr eine höhere Posi­tion beklei­det. Ist es bösar­tig, wenn man da eine Paral­lele erkennt zu den Berufs­ver­bo­ten der Nazis gegen die Juden? Sie wurden aufgrund ihres Glau­bens aus dem gesell­schaft­li­chen Lebens ausge­schlos­sen, wie es weiter­ging, ist bekannt. Wie kann man sich heut­zu­tage hinstel­len und die Demo­kra­tie hoch­le­ben lassen, wenn man gleich­zei­tig jeman­den aufgrund seiner Reli­gion diskri­mi­niert? Natür­lich gibt es viele Gründe, der Scien­to­logy-Kirche jegli­che Serio­si­tät abzu­spre­chen. Man kann sie eine Psycho­sekte nennen, ein dunk­les Wirt­schafts­un­ter­neh­men, eine Kirche, die ihre Mitglie­der ausbeu­tet und abhän­gig macht. Das stimmt sicher alles. Aber gibt einem diese Kritik das Recht, ihre Anhän­ger zu diskri­mi­nie­ren? Warum werden dann nicht auch die Mitglie­der von ande­ren reli­giö­sen Ideo­lo­gien verfolgt? Christ­li­che Funda­men­ta­lis­ten in den USA ermor­den Abtrei­bungs­ärzte. In mosle­mi­schen Staa­ten wie Iran oder Saudi-Arabien werden Frauen hinge­rich­tet, wenn sie ohne Schleier auf die Straße gehen. Schließt man deshalb künf­tig auch alle Moslems aus?

Meine Vorstel­lung von Demo­kra­tie ist, dass jeder an das glau­ben darf, was er möchte. Egal ob Psycho­sekte oder Anbe­ter eines bluten­den Mannes am Kreuz. Etwas ande­res ist es, wenn man ihm eine konkrete Tat nach­wei­sen kann, wenn er z.B. jeman­den aufgrund der eige­nen reli­giö­sen Über­zeu­gung gestei­nigt hat. Dann ist es eine juris­ti­sche Frage. Doch jeman­den nur aufgrund seines Glau­bens oder Sekten­zu­ge­hö­rig­keit zu diskri­mi­nie­ren, ist kein biss­chen besser als der Anti­se­mi­tis­mus der 30er Jahre. Wenn man das vertritt, sollte man sich aber nicht so pompös wie heute Abend als Vertei­di­ger der Demo­kra­tie hinstel­len.

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3 Kommentare

  1. Tja, das sind tief­grei­fende Fragen bezüg­lich einer Reli­gion. Einer­seits geben die Glau­bens­ge­mein­schaf­ten den Menschen einen mora­li­schen Halt, soziale Einge­bun­den­heit und nehmen ihnen (viel­leicht) auch die Angst vor dem Tod. Ande­rer­seits verfol­gen die meis­ten Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten auch Macht­in­ter­es­sen. Da wird die Sehn­sucht der Menschen nach Zusam­men­ge­hö­rig­keit und Erklär­bar­keit der Welt schnell miss­braucht. Und die Hubbart­sche Scien­to­logy-Glau­bens­rich­tung scheint mir da ein beson­ders auf ökono­mi­sche Macht und Ausbeu­tung ausge­rich­te­tes Unter­neh­men zu sein. Warum dieser Sekte viele ameri­ka­ni­sche Künst­ler ange­hö­ren ist mir ein Rätsel. Aber nun das Dreh­ver­bot im Bend­ler-Block mit der Juden­ver­fol­gung gleich­zu­set­zen ist mir doch zu arg. Tom Cruise unter­liegt ja keinem Berufs­ver­bot, er darf nur nicht am echten Schau­platz drehen. “Wehret den Anfän­gen”! Und da finde ich doch viele Ansätze in unse­rer Poli­tik viel beden­kens­wer­ter, wo wir wach­sa­mer und wehr­haf­ter werden soll­ten.

  2. Ich habe das Dreh­ver­bot nicht gleich­ge­setzt mit dem Berufs­ver­bot der Nazis gegen Juden, aber ich meine, dass es Paral­le­len gibt. Die liegen aber nicht in der Quali­tät und Quan­ti­tät der Maßnah­men, das behaupte ich auch nicht. Aber dahin­ter steht ein Denken, das ich proble­ma­tisch finde. Es geht mir um die Doppel­mo­ral und natür­lich ist es gerade bei Orga­ni­sa­tio­nen wie Scien­to­logy schwie­rig, da einen Weg zu finden, der nicht die Anhänger/Gläubigen diskri­mi­niert.
    Man muss sich aber mal klar machen, was hier passiert: Nicht die Scien­to­lo­gen woll­ten einen Film im Bend­ler-Block drehen, sondern ein ganz norma­ler Regis­seur. Dass die Dreh­ge­neh­mi­gung aufgrund der Kirchen­zu­ge­hö­rig­keit eines Schau­spie­lers verwei­gert wird (auch wenn es die Haupt­rolle ist), halte ich doch für sehr proble­ma­tisch. Sein Glau­ben ist Privat­sa­che und mir ist nicht bekannt, dass seine Rolle in dem Film irgend­wie mit seiner Scien­to­logy-Zuge­hö­rig­keit zu tun hat oder sie thema­ti­siert. Und genau an diesem Punkt sehe ich eben Paral­le­len — weil es eben nicht um ihn in der Rolle des Propa­gan­dists einer Orga­ni­sa­tion geht, sondern um seinen Glau­ben.

  3. Der öffent­li­che Umgang mit Scien­to­logy erscheint mir in Deutsch­land — und zur Zeit vor allem in Berlin — noch reich­lich unsou­ve­rän, ähnlich den ersten Fern­seh­in­ter­views mit NPD-Vertre­tern nach deren Einzug in die Land­tage. Ohne hier eine “Gleich­set­zung” zu voll­zie­hen, meine ich, daß für bestimmte sensi­ble Themen und Rollen in Film und Fern­se­hen Glau­ben und Gesin­nung der Macher und Schau­spie­ler durch­aus nicht Privat­sa­che sind. Ein NPD-Mitglied möchte schließ­lich auch niemand in der Rolle des Stauf­fen­berg sehen. Und Tom Cruise ist eben nicht einfach irgend­ein Scien­to­logy-Mitglied, er “ist” recht eigent­lich Scien­to­logy. (http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/seite_3/670161.html) Er selbst thema­ti­siert sein Scien­to­logy-Enga­ge­ment offen­siv und auch immer in Zusam­men­hang mit seiner Schau­spie­le­rei, schon aus diesem Grund bleibt es nicht seine “Privat­sa­che”. Darüber­hin­aus sollte man fest­hal­ten das Scien­to­logy keine Reli­gi­ons­ge­mein­schaft ist sondern ein faschis­to­ides System, daß sich selbst als “wissen­schaft­li­che Welt­an­schau­ung” bezeich­net und laut ihrem Grün­der Hubbard nur als Kirche auftritt “um Steu­ern zu sparen”.
    Demo­kra­tie ist kein Kinder­fa­sching und Reli­gi­ons­frei­heit ist nicht Narren­frei­heit.

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