Richard und Elsbeth Lehmann

Richard Lehmann, geb. 22.4.1864 (Berlin), gestorben 4.6.1943 (Theresienstadt)
Elsbeth Lehmann, geb. Joel, geb. 11.2.1872 (Berlin), ermordet in Auschwitz

„A&A Lehmann. Fabrik von Mohair und Seidenplüschen, Nouveautes, Shawes und Wollenstoffen. Fabrik mit Spinnerei, mechan. Webstühlen, Färberei, Druckerei, Appretur in Schöneweide bei Berlin“

An die 1880 von Alfred und Anton Lehmann gegründete Plüschfabrik am Spree-Ufer erinnert heute fast nichts mehr. In der Hasselwerderstraße entstand Ende der 50er Jahre ein Park, die Wohnhäuser und kleinen Fabriken wurden abgerissen, nur eine Villa steht noch.
Lehmanns hatten Erfolg, ihre Aktiengesellschaft nahm sogar an der großen Gewerbeausstellung 1896 im Treptower Park teil und erhielt eine Silberne Staatsmedaille. Erbe des Betriebs sollte Antons Sohn Richard werden, geboren am 22. April 1864, der seine Reifeprüfung am Friedrichs-Gymnasium ablegte. Chemie- und Maschinenbaustudium folgten, danach noch ein Jahr in England, um dort die Textilfärberei zu lernen.
Im Drei-Kaiser-Jahr 1888 trat Richard Lehmann 24-jährig als Abteilungsleiter in die Firma ein. Zwei Jahre später heiratete er Elsbeth Joel, genannt Else, geboren am 11. Februar 1872 in Berlin. Das junge Paar war eng mit der Fabrik verbunden, es zog sogar noch von der Berliner Straße (heute Schneller-/Michael-Brückner-Straße) in die Hasselwerderstraße 8, fast bis an die Fabrik. Das damalige Werkstattgelände befindet sich heute an der Adresse Fließstraße 1-8.
Zwar war das Ehepaar Lehmann jüdischer Abstammung, doch Religion und Tradition spielten in ihrem Leben keine Rolle. Nach dem Tod von Anton Lehmann übernahm Richard als Direktor die Textilfabrik. Wie sein Vater nahm er viele gesellschaftliche und berufspolitische Ämter an, u.a. als Gemeindevertreter in Niederschöneweide, als Mitglied der IHK, als Vorsitzender des Wollplüschverbands, in der Berufsgenossenschaft sowie als Förderer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Institut). Es waren die besten Jahre des Paares, das 1892 die Tochter Edith und 1895 den Sohn Hans bekam. Die wachsende Familie sah sich nun in Berlin nach einer neuen, größeren Wohnmöglichkeit um, doch der Vorstand der A&A Lehmann AG überredete sie, in Schöneweide zu bleiben. Auf dem Gelände wurde nun eine Villa mit Garten errichtet, auf Kosten der Firma und in deren Eigentum.
Die Tochter Edith Lehmann studierte nach der Schule Wirtschaftsökonomie und wurde allgemein als Erbin der Firma betrachtet. Sie heiratete Anfang der 20-er Jahre Arthur Feder, doch diese Ehe hielt nicht lange. 1926 folgte die Hochzeit mit Julius Feig, der bei A&A Lehmann im Aufsichtsrat saß und zudem Direktor und Miteigentümer einer Fabrik für Qualitätszigarren war. 1928 starb Hans, der Sohn von Richard und Else Lehmann.
Richard Lehmann war mittlerweile 64 Jahre alt und Generaldirektor. Seine knappe Freizeit verbrachte er im Garten seines Hauses sowie auf seinem Motorboot auf Berliner Gewässern. Doch gegen Ende der Zwanziger Jahre war das Glück vorbei, die Weltwirtschaftskrise erfasste auch die traditionelle Berliner Textilindustrie. Die Umsätze der A&A Lehmann AG sanken dramatisch. 1932 musste das Ehepaar Lehmann seine Villa verlassen, deren Eigentümer die Aktiengesellschaft war. Das Gebäude und Teile des Grundstücks wurden an eine andere Firma vermietet, die Lehmanns zogen in ein kleines Haus in Grunewald, Falterweg 13. Nur wenige Monate später kamen die Nazis an die Macht. Richard und Elsbeth sahen die Gefahr und organisierten für ihre Tochter Edith, deren Mann und ihre Kinder die Flucht nach England. Richard Lehmann hatte zeitlebens gute Kontakte auf die britische Insel, geschäftlich, aber auch privat: Sein Cousin Otto Jaffé war dort sogar zum Ritter geschlagen worden, trotzdem dauerte es noch bis 1939, dass neun Familienmitglieder der Lehmanns/Feigs nach England auswandern konnten. Richard und Else jedoch blieben in Berlin, sie hofften, dass man ihnen nichts antun würde. Dabei hatten sie die Repressionen gegen Juden längst gespürt und es wurde immer schlimmer. 1941 mussten sie ihr kleines Haus verlassen, sie fanden Unterschlupf bei einer jüdischen Familie in der Steglitzer Mozartstraße 22. Ab September desselben Jahres mussten sie den „Judenstern“ an ihrer Kleidung tragen. Trotz allem glaubte Richard Lehmann, dass es sich bei der Repression um eine vorübergehende Erscheinung handelte und dass Hitler nach einem Sieg gegen die Sowjetunion einsehen würde, dass die Juden nicht seine Feinde seien. Als im Mai 1942 Richards Mutter Clara starb, erbte er die Hälfte ihres Vermögens, darunter die Aktien der A&A Lehmann AG. Doch dieses Erbe erhielt er nie. Die antijüdischen Gesetze verfügten, dass Vermögen und Erbe zugunsten des Reiches eingezogen wurden. Dies betraf nicht nur die Gewinne der Firma, sondern auch die Gebäude in der Hasselwerderstraße.
Ein halbes Jahr später, am 15. Dezember 1942, holte die Gestapo Richard und Elsbeth Lehmann ab und verschleppte sie ins Jüdische Krankenhaus im Wedding. Ihr Eigentum passte in zwei kleine Koffer, die sie mitnehmen durften. Das Krankenhaus in der Iranischen Straße war zu einem Sammellager umfunktioniert worden, von hier aus gingen Transporte in die Konzentrationslager ab. Nach sieben Wochen im Sammellager kam das alte Ehepaar am 2. Februar 1943 auf den Transport ins KZ Theresienstadt. Hier hin wurden vor allem alte Juden deportiert; Richard war mittlerweile 79 Jahre alt, seine Frau Elsbeth 71.
Am 4. Juni 1943 starb Richard Lehmann im KZ Theresienstadt. Else Lehmann wurde am 16. Mai nach Auschwitz transportiert, wo auch sie ermordet wurde.

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