Der Naziüberfall auf die Zionskirche

In den späten Jahren der DDR eska­lierte die Ausein­an­der­set­zung zwischen der Jugend und der Staats­füh­rung. In den Kirchen bilde­ten sich “Junge Gemein­den”, die sich nicht nur mit theo­lo­gi­schen Themen beschäf­tig­ten, sondern vor allem mit gesell­schaft­li­chen. Dort entwi­ckelte sich auch eine zaghafte Frie­dens­be­we­gung. Paral­lel zur grünen Bürger­initia­ti­ven im Westen entstan­den auch in der DDR Umwelt­grup­pen. Sie beob­ach­te­ten die Entwick­lung der Umwelt­ver­schmut­zung in ihrem Land und versuch­ten die Ergeb­nisse zu doku­men­tie­ren. Andere Jugend­grup­pen hatten sich inner­lich schon völlig von der Gesell­schaft verab­schie­det, die Punks waren weit mehr als in der Bundes­re­pu­blik Außen­sei­ter und wurden von den Staats­or­ga­nen entspre­chend verfolgt.
Und es gab eine weitere Gruppe, die mit dem “ersten sozia­lis­ti­schen Staat auf deut­schem Boden” nichts zu tun haben woll­ten: Die Nazis und Skin­heads. In der Provinz waren sie bereits gefürch­tet, vor allem durch ihre Atta­cken auf viet­na­me­si­sche und afri­ka­ni­sche “Vertrags­ar­bei­ter”. Anders als von der offi­zi­el­len Propa­ganda behaup­tet waren die auslän­di­schen Arbei­ter über­haupt nicht freu­dig von der Bürgern aufge­nom­men worden. Wie so oft in der deut­schen Geschichte brach sich in der Bevöl­ke­rung dump­fer Rassis­mus Bahn und die Angriffe auf diese Menschen wurden wohl­wol­lend kommen­tiert oder besten­falls verschwie­gen. Oft kamen die rechts­extre­mis­ti­schen Angrei­fer aus ordent­li­chen sozia­lis­ti­schen Fami­lien, nicht wenige von ihnen waren Kinder von DDR-Funk­tio­nä­ren. Sie laber­ten von Ordnung und Sauber­keit, und solange der Schein stimmte, wurde über den brau­nen “Makel” hinweg gese­hen. Viele dach­ten, besser mein Kind wird Skin­head als Punker.

Doch nicht nur die auslän­di­schen Arbei­ter waren Ziel der Neona­zis, sondern auch linke und alter­na­tive Jugend­li­che. Die Rechts­extre­mis­ten hatten teil­weise Kontakt nach West-Berlin und in die Bundes­re­pu­blik, sie empfin­gen Besu­cher von dort, hörten sich ihre Geschich­ten an, und erhiel­ten Propa­gan­da­ma­te­rial. Eine der west­deut­schen Grup­pen, die ihre “Kame­ra­den” in der DDR versorg­ten, war die “Natio­na­lis­ti­sche Front”, die sich in Ideo­lo­gie und Auftre­ten in der Tradi­tion der SS sah. Die meis­ten Kontakte gab es aber wohl zwischen den Skin­heads in Ost und West. Damals waren Skins noch klar rechts­extre­mis­tisch, aller­dings galten sie eher als Subkul­tur, das gemein­same Feiern und Saufen war wich­ti­ger als die Poli­tik.
Trotz­dem gab es immer wieder Ausein­an­der­set­zun­gen zwischen den Skin­heads auf der einen und Punks, “Hippies” und ganz norma­len Jugend­li­chen auf der ande­ren Seite. Vor allem die alter­na­tive Szene gehörte zu den Feind­bil­dern der Rech­ten.

Ein Höhe­punkt in der Konfron­ta­tion war der 17. Okto­ber 1987. An diesem Tag fand in der Zions­kir­che in Mitte ein Konzert der West-Berli­ner Band Element of Crime statt. Schon seit dem Sommer gab es dort eine Reihe von Veran­stal­tun­gen, Diskus­sio­nen und Rock­kon­zer­ten, orga­ni­siert von der oppo­si­tio­nel­len Umwelt-Biblio­thek. Entspre­chend suspekt war den Staats­or­ga­nen deshalb das Publi­kum. Rund um den Zions­kirch­platz stan­den die sogen­an­ten Toni-Wagen der Volks­po­li­zei und natür­lich reich­lich Herren von der Staats­si­cher­heit.
Nach Ende des Konzerts, als bereits ein großer Teil der Zuschauer gegan­gen war, befan­den sich noch 300 bis 400 Jugend­li­che in der Kirche. Plötz­lich stürm­ten etwa 30 Skin­heads das Gebäude und grif­fen die Anwe­sen­den an. Sie brüll­ten Nazi­pa­ro­len, prügel­ten auf die Jugend­li­chen ein, wobei mehrere von denen schwer verletzt wurden. Einen solch massi­ven Angriff hatte noch nie jemand von ihnen erlebt oder über­haupt für möglich gehal­ten.
Nach dem ersten Schreck­mo­ment sammel­ten sich mehrere Konzert­be­su­cher, auch fast alles Jugend­li­che, und began­nen gegen die Angrei­fer zurück­zu­schla­gen. Die Gegen­wehr war nicht einge­plant, so dass sich die Rechts­extre­mis­ten zurück­zo­gen. Sie sammel­ten sich vor der Kirche und marschier­ten zur Schön­hau­ser Allee, wo sie noch mehrere Schwu­len­knei­pen über­fie­len.
Während des gesam­ten Über­falls in der Zions­kir­che verhiel­ten sowohl die Poli­zei als auch die Stasi abso­lut passiv. Erst nach dem Abzug der Skin­heads began­nen sie mit Perso­nen­kon­trol­len.

Die DDR verstand sich als anti­fa­schis­ti­scher Staat. Nazis­ti­sche Tenden­zen wurden jahre­lang verleug­net und als west­li­che Propa­ganda abge­tan. Doch nach dem Über­fall auf die Zions­kir­che war diese Behaup­tung nicht mehr halt­bar. Anfangs sollte er in der Öffent­lich­keit noch geheim gehal­ten werden, erst nach­dem in West­me­dien darüber berich­tet wurde, erschie­nen auch in der DDR kurze Arti­kel, in denen von einem “Über­griff von Rowdys” zu lesen war. Ein poli­ti­scher Hinter­grund wurde noch immer verleug­net. Die Justiz wurde erst aktiv, nach­dem einige alte Anti­fa­schis­ten inner­halb der SED gegen diese Verharm­lo­sung protes­tiert hatten. Auf einmal wurden drei Rädels­füh­rer der Neona­zis, Sven Ebert, Ronny Busse und Frank Brand, benannt. Offen­sicht­lich hatte der Staat längst weit bessere Infor­ma­tio­nen, als er bis dahin zugab.
Statt auf Vertu­schung setzte die Partei und ihre Justiz nun auf einen Schau­pro­zess. Und darauf, dass die Rech­ten ja vom Westen verführt worden seien. Zwei angeb­li­che Neona­zis aus West-Berlin namens “Bomber” und Thomas soll­ten die Rädels­füh­rer gewe­sen seien. Noch immer wurde nicht zuge­ge­ben, dass es auch in der DDR Jugend­li­che gab, die rechts­extreme Ideo­lo­gien vertra­ten. Ob tatsäch­lich Neona­zis aus dem Westen betei­ligt waren, wurde nie abschlie­ßend geklärt, nach später aufge­tauch­ten Stasi-Unter­la­gen ist dies aber unwahr­schein­lich. Das Problem war haus­ge­macht.

Nur knapp zwei Monate nach dem Über­fall fand ab dem 15. Dezem­ber 1987 am Stadt­be­zirks­ge­richts Mitte der Prozess gegen vier Betei­ligte statt. Die Öffent­lich­keit war faktisch ausge­schlos­sen, weil bereits sämt­li­che Zuschau­er­bänke besetzt waren. Alle Ange­klag­ten wurden verur­teilt, zwischen 14 und 24 Mona­ten Haft wegen “Rowdy­tums”. Der poli­ti­sche Hinter­grund wurde soweit wie möglich ausge­blen­det. Selbst die Staats­an­walt­schaft legte gegen das Urteil Beru­fung ein, so dass es schon eine Woche später zur 2. Instanz kam. Denn auch in der Bevöl­ke­rung regte sich zuneh­mend Protest gegen die milde Verur­tei­lung.
Anders als in der Ersten Instanz wurden die Taten der Ange­klag­ten dies­mal als Verbre­chen einge­stuft. Laut dem Rich­ter war die Schwere der Ausschrei­tun­gen nicht rich­tig gewer­tet worden. Die Urteile laute­ten nun zwischen 18 Mona­ten und vier Jahren.

Nicht ange­klagt war übri­gens Jens-Uwe Vogt, der als einer der führen­den Köpfe der DDR-Nazi­szene galt und eben­falls an dem Über­fall betei­ligt war. Aus diesem Grund mach­ten bald Gerüchte die Runde, dass er als Spit­zel für die Stasi gear­bei­tet hätte. Wenige Monate nach den Urtei­len reiste Vogt nach West-Berlin aus, wo er sich der “Natio­na­lis­ti­schen Front” anschloss. Nach der Wende wurde seine Spit­zel­tä­tig­keit publik, bereits seit 1982 soll er Inof­fi­zi­el­ler Mitar­bei­ter der Staats­si­cher­heit gewe­sen sein. Das bedeu­tet, dass die Stasi bereits vor dem Angriff auf die Zions­kir­che bescheid wusste.
Verhin­dern wollte sie ihn also nicht. Statt­des­sen kamen sie einen Monat später selber: Am 18. Novem­ber ’87 stürm­ten Geheim­dienst­leute die Gemein­de­räume der Kirche, in denen auch die Umwelt-Biblio­thek unter­ge­bracht war. Sie beschlag­nahm­ten die Einrich­tung und unzäh­li­ges Mate­rial und verhaf­tete die ange­trof­fe­nen Mitar­bei­ter. In der Tages­zei­tung “Junge Welt” erschien darauf­hin ein Kommen­tar von Hans-Dieter Schütt, der die Umwelt­ak­ti­vis­ten mit Neona­zis gleich­setzte: “Der Feind, ob er nun mit missio­na­ri­schem Eifer junge Lite­ra­ten gegen uns losschickt, ob er nun in der Pose des Mahn­wäch­ters, stets pünkt­lich auf Bestel­lung mit Fern­seh­ka­me­ras, vor Kirchen­tore zieht, oder ob er Rowdys mit faschis­ti­schem Voka­bu­lar und Schlag­waf­fen ausrüs­tet — er hat bei uns keine Chance.” Schütt ist heute Redak­teur beim “Neuen Deutsch­land”, der eins­ti­gen Zeitung der SED, später PDS und heute Links­par­tei.

print

Zufallstreffer

1 Kommentar

  1. “In den späten Jahren der DDR eska­lierte die Ausein­an­der­set­zung zwischen der Jugend und der Staats­füh­rung. In den Kirchen bilde­ten sich »Junge Gemein­den«, die sich nicht nur mit theo­lo­gi­schen Themen beschäf­tig­ten, sondern vor allem mit gesell­schaft­li­chen.”

    Die Junge Gemeinde in der DDR bestand seit den späten 1940ern.
    Seit 1953 hat man sich dann mehr oder weni­ger aran­giert.

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*