Unsere teuren Toten

Im eben vergan­ge­nen Jahr haben drei meiner Freunde ihre Mütter verlo­ren. Dieser persön­li­che Schmerz ist natür­lich immer schlim­mer, als wenn eine bekannte Persön­lich­keit stirbt, über die dann Nach­rufe in den Zeitun­gen stehen.
Hier werden noch mal ein paar von denen vorge­stellt, die die Welt auf ihre Art geprägt haben und die in diesem Jahr gestor­ben sind — sortiert danach, ob sie vermeind­lich gut, böse oder einfach nur von gestern waren.

Die Guten

Unter ihnen befin­den sich haupt­säch­lich Künst­ler. Viel­leicht weil in den Küns­ten ja das Wahre, Schöne, Gute vereint ist?

Christa Wolf
Die Schrift­stel­le­rin wurde zu DDR-Zeiten als unbe­queme Künst­le­rin bekannt, erst recht nach ihrem Protest gegen die Ausbür­ge­rung von Wolf Bier­mann, 1976. Bei der großen Demons­tra­tion am 4.11.1989 auf dem Alex­an­der­platz  rief sie dazu auf, eine wirk­lich sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft zu schaf­fen. Ihre Romane “Der geteilte Himmel” und “Nach­den­ken über Christa T.” werden noch in Jahr­zehn­ten zu den wich­tigs­ten der deut­schen Lite­ra­tur gehö­ren.

Václav Havel
Auch er ein Schrift­stel­ler, auch er Opfer einer Dikta­tur. In der Tsche­cho­slo­wa­kei gehörte er zu den Unter­zeich­nern der Charta 77, einer Peti­tion gegen Menschen­rechts­ver­let­zun­gen, aus der sich eine Bürger­rechts­be­we­gung grün­dete. Havel wurde schon Mitte der 60er Jahre verfolgt, weil er sich öffent­lich gegen die poli­ti­sche Zensur wandte. Nach dem Prager Früh­ling 1968 hatte er in der Tsche­cho­slo­wa­kei Auffüh­rungs- und Publi­ka­ti­ons­ver­bot.
Während des poli­ti­schen Umbruchs Ende 1989 wurde Havel zum Präsi­den­ten des Landes gewählt. Das erste frei gewählte Parla­ment bestä­tigte ihn 1990 als Präsi­dent. Zwei Jahre später trat er jedoch zurück, weil er gegen die Teilung des Landes war, verhin­dern konnte er sie aber nicht. Nach der Tren­nung wurde er 1993 für zehn Jahre erneut Präsi­dent, dies­mal der Tsche­chi­schen Repu­blik. Havel stand für die Aussöh­nung, sowohl im eige­nen Land, also auch mit Deutsch­land.

Georg Kreis­ler
Der öster­rei­chi­sche Musi­ker, Kaba­ret­tist und Schrift­stel­ler galt als Meis­ter des schwar­zen Humors. Typisch für seine zyni­sche und spitz­zün­gige Feder war das Lied “Tauben vergif­ten im Park”.
Kreis­ler war Sohn einer jüdi­schen Fami­lie, die vor den Nazis in die USA floh. Dort arbei­tete er u.a. mit Char­lie Chap­lin. 1955 zog es ihn zurück nach Europa. Erst Wien, dann Deutsch­land und die Schweiz, bis er wieder in Öster­reich landete.

Franz Josef Degen­hardt
Der Lieder­ma­cher und Schrift­stel­ler war erklär­ter Kommu­nist. Weil er 1971 zur deren Wahl aufrief, flog er aus der SPD. Seinen größ­ten Hit hatte er bereits 1965 mit “Spiel nicht mit den Schmud­del­kin­dern”. Später waren seine Lieder weni­ger ätzend, dafür sehr vorder­grün­dig poli­tisch. Seine Sympa­thie für die DDR machte ihn zwar weiten Teilen der west­deut­schen Linken unglaub­wür­dig, trotz­dem waren seine Auftritte, vor allem auf Frie­dens­fes­ten, gut besucht.

Loriot — Vicco von Bülow
Auf seine Art kari­kierte auch Loriot die Gesell­schaft. Vor allem in den 60er und 70er Jahren hielt er dem spie­ßi­gen Bürger­tum einen Spie­gel vor. Doch schon 1950 veröf­fent­lichte er die ersten Cartoons, die nach nicht mal zwei Mona­ten seine Kündi­gung beim Stern zur Folge hatten. Sein kriti­scher Humor war dabei nicht verlet­zend und immer intel­li­gent. Als Regis­seur, Schau­spie­ler und Kari­ka­tu­rist ist er aus der deut­schen Kino‑, Fern­seh- und Kultur­ge­schichte nicht wegzu­den­ken.

Bernd Eichin­ger
Der Regis­seur war ein Fließ­band­ar­bei­ter der Film­in­dus­trie. Als einer der ersten thema­ti­sierte er 1977 das Thema Homo­se­xua­li­tät in “Die Konse­quenz” auf eine respekt­volle und realis­ti­sche Weise. Bei der Fern­seh­aus­strah­lung in der ARD boykot­tierte der Bayri­sche Rund­funk den eh schon zensier­ten Film.
Danach folg­ten weitere sozi­al­kri­ti­sche Filme wie “Chris­tiane F. – Wir Kinder vom Bahn­hof Zoo”, anspruchs­volle wie “Der Name der Rose”, “Nirgendwo in Afrika” und “Fräu­lein Smil­las Gespür für Schnee”, erfolg­rei­che wie “Die unend­li­che Geschichte”, “Letzte Ausfahrt Brook­lyn”, “Der Unter­gang” oder “Das Parfüm”. Die Liste seiner Erfolge ist lang, sein Leben war es nicht: Er starb mit 61 Jahren.

Jopi Heesters
Auch er ging mit 108 Jahren viel zu früh. Der aus Holland stam­mende Johan­nes Heesters war seit Mitte der 30er Jahre als Sänger und Schau­spie­ler ein Char­meur und Lieb­ling der Medien. Dass er 1941 mit seinem Münch­ner Ensem­ble einer Einla­dung ins KZ Dachau folgte, nahm man ihm vor allem in seinem Heimat­land bis zum Schluss übel. Heesters stritt immer ab, dass es ein frei­wil­li­ger Besuch war und dass er Sympa­thien für die Nazis hegte.
Bis in den Sommer 2010 hinein stand der mitt­ler­weile erblin­dete Heesters auf der Bühne, zuletzt in einer Neben­rolle im Berli­ner Thea­ter am Schiff­bau­er­damm.

Steve Jobs
Manche meinen sicher, Jobs müsste eigent­lich in der nächs­ten Rubrik stehen, aber über die Toten soll man ja nur Gutes sagen. Also stel­len wir heraus, dass er in der Kommu­ni­ka­ti­ons­tech­no­lo­gie einer der fähigs­ten und vor allem erfolg­reichs­ten Unter­neh­mer war. Apple-Compu­ter, der Mac, der iPod als Nach­fol­ger des Walk­mans, das iPhone als neue Gene­ra­tion von Handys und das iPad als eben­falls neue Gene­ra­tion von Compu­tern haben Tech­no­lo­gie­ge­schichte geschrie­ben.
Zwar hatte er nichts davon selber erfun­den, aber im Entwer­fen schö­ner Designs und vor allem in der Vermark­tung seiner Produkte war Steve Jobs einzig­ar­tig. Selbst wenn er nur eine neue Version z.B. des iPho­nes präsen­tierte, hatte man den Eindruck, einer Papst­weihe beizu­woh­nen. Nicht umsonst nennt man die Anhän­ger seiner Produkte Apple-Jünger.

Die Bösen

Einige der aufge­lis­te­ten Gewohn­heits­ver­bre­cher waren einst von den west­li­chen Regie­run­gen hofierte Perso­nen. Dikta­to­ren sind eben nur dann bäh, wenn sie einem gerade nichts nützen.

Osama bin Laden
Ihn ereilte nach fast zehn Jahren Suche die Strafe der USA für die Anschläge des 11. Septem­bers 2001. Ende der 80er Jahre fanden die Amis ihn noch ganz toll, denn damals kämpfte Bin Laden gegen die sowje­ti­schen Besat­zer in Afgha­ni­stan und durfte sich über reich­li­che Geld- und Waffen­ge­schenke aus den USA freuen. Dass er sich danach so undank­bar zeigte, eine Terror­or­ga­ni­sa­tion grün­dete und mit zahl­rei­chen Anschlä­gen sogar inner­halb der USA gegen den bösen Westen kämpfte, nahm man ihm echt übel. Und so konnte ein Sonder­kom­mando ihn ganz demo­kra­tisch ohne Gerichs­ver­hand­lung abschlach­ten.

Muammar al Ghad­dafi
Schlecht. Gut. Ganz schlecht. Die Einstu­fung von Ghad­dafi wech­selte so konse­quent wie die der euro­päi­schen Staa­ten bei den Ranking-Agen­tu­ren. Nach­dem er in den 70er und 80er Jahren als Bad Boy verfemt war, avan­cierte er zum Part­ner. Schließ­lich verhin­derte er mit seinen Lagern mitten in der Wüste, dass zu viele Armuts­flücht­linge den Weg nach West­eu­ropa finden.
Nach­dem aber die Bevöl­ke­rung von Libyen gegen ihren Sonnen­gott-Dikta­to­ren aufbe­gehrte, wurde der sofort wieder zum Paria der Staats­chefs und die Nato schickte Kriegs­schiffe und Bomber, um ihn unter die Erde zu brin­gen. Dort landete er dann auch. Und die Demo­kra­ten sind zufrie­den.

Kim Jong-il
Wäre er nicht für das Verhun­gern von schät­zungs­weise einer Million Nord­ko­rea­nern sowie vermut­lich zehn­tau­sen­den einge­sperr­ten Oppo­si­tio­nel­len verant­wort­lich — man hätte den “Lieben Führer” rich­tig gern haben können. Seine fesche Frisur, sein exzel­len­ter Mode­ge­schmack, sein souve­rä­nes Auftre­ten in der Öffent­lich­keit schlug die von Mao und Stalin um Längen. Keine Klagen hörte man je aus der nord­ko­rea­ni­schen Bevöl­ke­rung. Nun aber wird sein Sohn die Fami­li­en­chro­nik als Drit­ter des Kim-Clans weiter­schrei­ben.

Lord Volde­mort
Es war ein langer Tod. Schon vor 20 Jahren dachte man, dass der Mörder von Harry Potters Mutter für immer verschwun­den ist. Aber er kehrte zurück und nach­dem das letzte Buch-Kapi­tel bereits geschrie­ben war, starb Lord Volde­mort nun auch im Kino. Vermut­lich endgül­tig.

Die von gestern

Es war nicht alles gut in der Vergan­gen­heit. Manche könn­ten das bezeu­gen, aber nun sind sie nicht mehr.

Bernd Clüver
Der lang­haa­rige, süße Mädchen­schwarm schockte seine Fans, als er 1976 mit “Mike und sein Freund” den ersten deut­schen Schla­ger veröf­fent­lichte, der eine schwule Freund­schaft thema­ti­sierte. Auftritts­ver­bote in Sendun­gen wie “Hitpa­rade” oder “Disco” waren die Folge. Also bemühte sich Clüver schnell, deut­lich klar­zu­stel­len, dass er selbst nicht homo­se­xu­ell sei. Das war wohl auch besser so, denn damals galt das Schwul­sein noch als Karrie­re­kil­ler.

Peter Alex­an­der
Sowas wäre ihm natür­lich nie einge­fal­len. Der stets geschnie­gelt auftre­tende Peter Alex­an­der war die Ausge­burt der Schla­ger­spie­ßig­keit. Kaum eine Mutter, die sich nicht einen solchen Sohn oder Schwie­ger­sohn gewünscht hätte. In zahl­rei­chen Liedern, aber auch in Kino­fil­men hat sich der Öster­rei­cher seit den 60er Jahren in die Herzen der Menschen geträl­lert. Wäre er damals schon gestor­ben- die “Bunte” wäre wohl mit Trau­er­rand erschie­nen.

Gunter Sachs
Der Indus­tri­el­len­sohn reprä­sen­tierte ab 1960 das welt­of­fene Deutsch­land. Als Play­boy bandelte er mit Künst­le­rin­nen, Schau­spie­le­rin­nen, Manne­quins und sogar der Ex-Kaise­rin Soraya an. Zwar heira­tete er bereits 1969 und lebte seit­dem vermut­lich züch­tig und vorbild­lich, doch das Play­boy-Image wurde er zeit seines Lebens nicht mehr los. Aber als Doku­men­tar­fil­mer, Foto­graf und Kunst­samm­ler erwarb er sich dann einen guten Ruf.

Joe Frazier
Als mehr­ma­li­ger Gegner von Muham­mad Ali machte sich Frazier einen Namen im Boxen. Bei seinen Schwer­ge­wichts­kampf am 8. März 1971 saßen auch in Deutsch­land tausende Jugend­li­che nachts heim­lich vor dem Fern­se­her. Und muss­ten zuse­hen, wie Ali die erste Nieder­lage seiner Profi­kar­riere einsteckte. Diese Begeg­nung  zwischen Frazier und Ali gilt heute als Kampf des 20. Jahr­hun­derts.

Die Nach­rufe zu Amy Wine­house, Otto von Habs­burg, Erzbi­schof Georg Ster­zinsky oder Elisa­beth Taylor verkneife ich mir.

print

Zufallstreffer

Berlin

Kältetod

Am Wochen­ende star­ben in Berlin drei Menschen aufgrund der fros­ti­gen Kälte. Bei einer Tempa­ra­tur von bis zu minus 23 Grad Sonn­tag­nacht ist das kein Wunder. Eines der Opfer hatte in einer alten Holz­hütte auf dem […]

Weblog

Der Untertan

Der Deut­sche gilt gemein­hin als guter Unter­tan. Mag sein, dass sich dieses Bild in den letz­ten Jahren geän­dert hat, nicht aber die Tatsa­che, dass er es ist. Auch mich hat die Empö­rung in Stutt­gart gefreut, […]

Schreibe den ersten Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*