Eigentlich wollte ich ja gar nicht mehr dahin. Als Jugendlicher war ich schon mal kurz in Paris und auch damals war mein Ziel eigentlich eine andere Stadt, nämlich Heidelberg. Aber als nach 36 Stunden an der Autobahnabfahrt von Mannheim endlich ein LKW anhielt, war es mir völlig egal, wohin er fuhr — Hauptsache weg. So landete ich damals in der französischen Hauptstadt, dort allerdings nur in der Gegend rund um den Eiffelturm. Da ich kein Geld mehr hatte, beklaute ich deutsche Touristen, indem ich ihre Wertsachen aus dem Reisebus holte, während sie auf dem Turm waren. Dort traf ich auch die schwulen Zwillinge Matteo und Antonio, mit denen ich dann nach Napoli fuhr. Aber das ist eine andere Geschichte.
Als mich mein Freund T. dieses Jahr zu einer Reise einlud, wäre ich am Liebsten nach Kopenhagen gefahren. Das ist nicht so weit und ich mag es sehr. Ein halbes Jahr habe ich mal dort gewohnt und mir ist die Stadt in schöner Erinnerung. Aber T. wollte nicht und so fiel die Entscheidung eben auf Paris. Auch ok.
Drei Monate vor der Fahrt haben wir auf der Website der Bahn die Fahrt gebucht, 70 Euro pro Person und Richtung, zurück sogar im Schlafwagen, das ist ein gutes Angebot, und auch billiger und stressfreier als selber zu fahren. Das online gebuchte Hotelzimmer kostete 65 Euro für 2 Personen, obwohl es nur 200 Meter von Sacre Coeur steht, direkt an einer Metro-Station. Dass man zu diesem Preis keine 5 Sterne erwarten kann, war klar. Aber wenigstens einen Haken für die Jacke, kein Schimmel in der Dusche oder Putz, der auch bei Berührung an der Wand kleben bleibt, wären schon angenehm gewesen. Die gute Nachricht: Das Bett war sauber.
Am Abend der Ankunft liefen wir zu Fuß von Gare de l’Est (Ostbahnhof) durch die Stadtteile Magenta und Opéra zu unserem Hotel. Vorbei am Gare du Nord, dem Pariser Hauptbahnhof, durch die engen Gassen mit den typischen Altbauten, alle mit hohen Fenstern und kleinem Geländer davor, oben das Blechdach, unten entlang an Cafés und kleinen Läden. Dies war das Paris, wie man es aus dem Fernsehen kennt, etwas dunkel, gemütlich, spannend.
Aus unserem Fenster im dritten Stock konnten wir direkt auf den Platz Anvers schauen, einem wuseligen Ort, der selbst in der Nacht noch voll war. Hier stauen sich die Touristen und ihre Busse, dazwischen viele Taxis mit ihren grünen und roten Lichtern, die Radfahrer auf der eigenen Spur, kreuz und quer die Motorroller. Und mittendrin überall noch die Pariser, dabei viele Schwarze. Auffallend viele Menschen sind gut gekleidet, offenbar sind die Franzosen tatsächlich modebewusster, als die Deutschen. Klar, es sind Vorurteile und Klischees, aber anscheinend nicht unbegründet. Nur den schnurrbärtigen Mann mit dem blau-weiß gestreiften T‑Shirt und der Baskenmütze, der mit seiner Gauloises im Mund und einem Baguette unter dem Arm auf dem Fahrrad vorbei fährt, den haben wir nicht gesehen. Vielleicht war er ja gerade im Urlaub.
In den folgenden Tagen haben wir nur am Rande die touristischen Highlights besucht, wir wollten vor allem die Wohnviertel der Pariser sehen. Mit unserer 5‑Tages-Fahrkarte für 32 Euro konnten wir innerhalb der Stadt alle Busse, Metro- und S‑Bahn-Linien nutzen.
Während die Vorderseite von Montmartre mit der Kirche Sacre Coeur von den Touristen bestimmt ist, ist die Nordseite des Hügels eine wunderschöne Wohngegend, in dem es kaum Besucher gibt. Vor allem durch den Hang, in den die Häuser hinein gebaut sind, bekommt das Viertel eine kaum beschreibbare Atmosphäre. Hier wurde der Spielfilm “Die wunderbare Welt der Amélie” gedreht — und wunderbar ist es hier wirklich.
Ganz anders Grenelle: Enge Straßen, kleine Neubauten, in der Rue Keller nur Bekleidungsläden: Punk, Leder, Emo, Manga, dazwischen Schallplattengeschäfte, das genaue Gegenteil von den Hochkulturläden am Champs Elysées oder Place de le Madeleine. Kleine Parks, so wie es sie mit dem Kollwitz- oder dem Chamissoplatz auch in Berlin gibt, sind voll mit Kindern und ihren Eltern. In den Seitenstraßen, durch die Toreinfahrten, liegen weit verzweigte Höfe, mit Handwerksbetrieben, Design-Agenturen oder kleinen Uni-Instituten in zweistöckigen Gebäuden.
Und überall findet man die Cafés und Brasserien, fast alle haben kleine runde Tische vor dem Fenstern, hier sitzt man draußen und beobachtet die Welt. Wer den Fehler macht und in das erstbeste Café geht, zahlt fünf Euro für einen einzigen Kaffee. Oder er geht hundert Meter um die Ecke und bekommt für 12,80 Euro ein kompletten Mittagsmenü. Auch wir mussten erstmal bluten, bevor wir den richtigen Dreh raus hatten.
Paris ist eine volle und laute Stadt. Wer nachmittags in der Metro unterwegs ist, sollte sich schon zwei Stationen vor seinem Ziel Richtung Ausgang durchkämpfen, so voll sind die Züge um diese Zeit. Die schmalen Bürgersteige sind oft zu eng für alle Passanten. Aber da Fußgänger dort nicht als Freiwild für Autofahrer angesehen werden, ist man trotz des krassen Straßenverkehrs viel weniger gefährdet als in Berlin. Man bleibt auch nicht bei Rot an der Kreuzung stehen, wenn die Straße frei ist, sonst ist man ein Verkehrshindernis — jeder läuft dann bei Rot los. Auch in dieser Beziehung sind die Franzosen den Deutschen lässig einiges voraus.
Ähnliches gilt auch für den Autoverkehr. Auf die Fahrbahn gemalte Spuren gibt es kaum. Selbst die riesigen Kreisverkehre in der Innenstadt kommen sowohl ohne Fahrbahnmarkierungen, als auch ohne Ampeln aus. Es gilt einfach Rechts-vor-Links, selbst wenn sich gleichzeitig 100 oder 200 Fahrzeuge im Kreis befinden. Fußgänger, Rad- und Rollerfahrer werden zwar respektiert, müssen sich aber sehr zügig durch den Verkehr bewegen. Anders als bei uns hier werden sie aber nicht weggehupt, sondern als ein Teil des Systems akzeptiert. Es ist ein sehr pragmatischer Umgang mit dem Verkehr.
Wichtig ist in Paris, dass man gut zu Fuß ist. Die Wege sind lang, sogar in der Metro. Es gibt Stationen, da sind die Bahnsteige mehrere hundert Meter auseinander, so dass es Laufbänder gibt, wie an manchen Flughäfen. Und es geht ständig treppauf und treppab. Man hat den Eindruck, dass die Metro-Linien schon immer da waren und die Stadt um sie herum gebaut wurde. Wer hier gehbehindert ist, hat ein großes Problem. Und Rollstuhlfahrer können die U‑Bahn völlig vergessen. Die wenigen Aufzüge, die wir in der Zeit in der Metro gesehen haben, waren außer Betrieb.
In den wenigen Tagen haben wir eine Stadt kennengelernt, die sich sehr von Berlin unterscheidet, obwohl wir ja Nachbarländer sind. Die Lässigkeit im Alltag ist wirklich vorhanden, was einem guten Preußen manchmal zu schaffen macht. Die Stadt ist einfach schön, super interessant und beeindruckend. Die Entscheidung von T., dass wir nach Paris fahren, war genau richtig. Kopenhagen muss eben noch etwas warten.
Dieser Artikel erschien erstmals am 26. Oktober 2012
Super Bericht und tolle Fotos.
Das scheint in der Gegend von Rue Lepic und Rue Cauchois zu sein. Da haben wir uns mit unseren Weibern Anfang der Achtziger gerne rumgetrieben.
Unsere Unterkünfte waren mitunter arg suboptimal — sag ich mal höflich — und einmal haben wir aus einer Drogerie eine Flasche mit vielen Totenköpfen und bösen Kreuzen drauf gekauft, die wir in die Abflüsse der Waschbecken kippten, um die dort lebenden Kakerlaken zu vernichten.
Wir sind dann aus dem Zimmer gerannt, weil wir dachten, daß das ganze Rohrleitungssystem explodieren würde. Danach war allerdings Ruhe vor den Viechern fast im ganzen Haus :-).
Das Hôtel Azur in der Rue Ramey hat heuer die selben übelsten Bewertungen, wie es sie gegeben hätte zu einer Zeit, als es noch kein Internet gab.
Paris war damals zwar ziemlich dreckig aber auch viel geiler wie heute …