Der König vom Stuttgarter Platz

Es wäre einfach zu sagen: Zuhälter und Nachtclubbesitzer sind schlechte Menschen. Sie beuten Frauen aus, bescheißen ihre Kunden und das Finanzamt, dealen mit Drogen und Waffen. Und vermutlich gehen sie sogar bei Rot über die Straße.

„Als ich nach Hause kam, wartete bereits die Polizei auf mich. Es waren nicht die harmlosen Streifenbullen, die mit ein oder zwei Hunnis stets zufrieden sind. Nein, es handelte sich um ausgebuffte, gut ausgebildete Jungs in schwarzer Kampfmontur, ausgerüstet mit Helmen, deren dunkles Visier ihre Gesichter unkenntlich machte, durchschlagsstarken Pistolen und schusssicheren Westen. Das SEK des Landeskriminalamts. Jener Truppe, die nur bei den ganz schweren Fällen ausrückt. Fällen, wie ich einer war.“

Der dies in seinem Buch schreibt ist mittlerweile weit über 70 Jahre alt. Und es war lange Zeit nicht sicher, dass er dieses Alter überhaupt erreichen würde. Denn mehr als 40 Jahre lang war Bernd Termer einer derjenigen, die die West-Berliner Rotlichtszene dominierten. „Holzi“ war Besitzer von Bars, Nachtclubs, später auch Zuhälter. Jemand, der so einige Menschen mit Fäusten oder Waffen ins Krankenhaus befördert hat. Und dabei trotzdem einer, dem man vertrauen kann, weil er seine Prinzipien hat. „Alte Schule“ sozusagen.
Er wurde der „König vom Stuttgarter Platz“. In der Gegend war er schon als Kind aufgewachsen. Ab Mitte der 1950er Jahre rutschte er in die aufblühende Szene von Bars und Nachtclubs, die nach heutigen Maßstäben noch Horte der Prüderie waren. Seine körperliche Größe und der muskulöse Körperbau machte ihn bei den Besitzern interessant.

„Ich war so eine Art Mädchen für alles, eine Mischung aus Kellner, Aufpasser und Rausschmeißer. Angst vor Ärger hatte ich nicht, und bald kam ich in den Ruf, dass mit mir nicht gut Kirschen essen sei. Etwas Besseres kann einem als Rausschmeißer nicht passieren.“

Der erste Laden hieß Lolita-Bar, den zweiten – die Elefanten-Bar – konnte er schon kaufen. Es folgte das Pigalle in der Kantstraße, gleich um die Ecke, der Aufstieg zum König von Stuttgarter Platz hatte begonnen.
Die Nachtclubs mussten mit der Zeit gehen, ab den späten 60ern wurde alles freizügiger. Und es wurden richtige Shows geboten. Termer kaufte das „Mon Chérie“, direkt am Stutti. Hier ging es auf der Bühne hart zur Sache, Spiele mit Stabtaschenlampen, Lesbenshows, mit Aladin dem Wunderschwanz und den Mon-Chérie-Partys, bei denen die Gäste die Schokolade von den Frauen abschlecken konnten.
Die Attraktion aber war das Schaumbad in einem Whirlpool mitten auf der Bühne. Zwei Frauen und ein oder zwei Gäste, die es dann vor allen anderen Besuchern miteinander trieben. Doch einmal ging das schief, denn mitten in das Spiel platzte eine Razzia der Polizei.

„Die Gäste und das Personal musste sich in einer Reihe aufstellen. Der Mann in der Wanne ebenfalls, auch er musste stehen. Das tat er aber ohnehin, denn die Drei hatten in der Wanne nicht nur geplanscht, sondern sich auf sehr reale Weise vergnügt. Handarbeit. Der Typ war voll erregt. Unübersehbar. Alle, auch die Polizisten, fanden das saukomisch und amüsierten sich königlich. Es dauerte eine Zeit, bis der kleine Freund des Mannes abgeschwollen war. Im Mon Chérie wurde dieser Gast nie mehr gesehen, auch nirgends sonst am Stuttgarter Platz.“

Nachtclubs sind zur Unterhaltung da, nicht vordergründig für den Sex. Da der aber immer wieder verlangt wird, begann Bernd Termer damit, in seinen Clubs ebenfalls spezielle Räume einzurichten und Frauen als Prostituierte einzustellen. Er wurde nun auch Zuhälter.

„Ein Begriff, den ich keinesweg zutreffend finde. Denn er impliziert – im allgemeinen Sprachgebrauch jedenfalls – eine gewisse Gewalttätigkeit. Was natürlich auf das unsäglich Benehmen vieler Kollegen zurückzuführen ist, die ihre Waffen und Fäuste sprechen ließen. Und die sich als Besitzer der Frauen aufspielten, was meinem Verständnis einer wie auch immer gearteten Beziehung diamentral zuwiderläuft.
Von Erpressung ist die Rede, von Prügeln und anderen Bedrohungen wie dem Ausdrücken von Zigaretten auf der nackten Haut. In den allermeisten Fällen üben die Frauen, die in diesem Milieu arbeiten, ihre Arbeit aus freien Stücken aus, sie haben sich dafür entschieden, aus wenlchen Gründen auch immer. Die Freiwilligkeit ist der entscheidende Faktor. Nie hätte ich eine Frau gezwungen, sich für mich zu prostituieren.
Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Ich finde es in höchstem Maße kriminell, wenn junge Mädchen über Ländergrenzen hinweg verschleppt und verkauft werden und man sie zwingt, als Prostituierte zu arbeiten. Das ist Menschenhandel. Ein Verbrechen. Ich habe mich nie damit gemein gemacht.
Ich interpretiere den nach meiner Meinung durchaus ehrenhaften Berufsstand des Zuhälters völlig anders. Er bedeutet nichts weiter, als dass jemand zu einem hält. Ich habe mich auch kaum je aktiv um Frauen bemüht, damit sie für mich arbeiten. Sie kamen fast immer von allein zu mir und fragten mich. Schließlich hatte ich einen Ruf im Milieu, dass ich für meine Leute sorgte, dass ich fair war, dass man sich auf mich verlassen konnte. So ein Ruf ist Gold wert.“

Termer hatte das Prinzip, dass es in seinen Clubs keine Drogen geben darf, abgesehen natürlich vom Alkohol.

„Noch heute erinnere ich mich mit Abscheu und Ekel an jene Prostituierte, die ich einmal im Mon Chérie auf der Toilette fand: Halb weggetreten, mit abgebundenem Arm, in dem noch die Nadel steckte. Ich hatte sie drei Tage zuvor nur aus Mitleid aufgenommen, trotz meines unguten Gefühls.
Jetzt hatte ich die Bescherung. Ich tat, was ich ihr zuvor versprochen hatte und setzte sie raus zu den Mülltonnen. Als ich ein paar Minuten später nachschaute, war sie weg.“

Irgendwann begann der Ärger mit der Polizei. Sie war der verlängerte Arm der Politik, die die Prostitution aus den Wohnvierteln heraus haben wollte. Und die natürlich wusste, dass die in den Nachtclubs erwirtschafteten Gelder nicht versteuert wurden. Also kam in immer kürzeren Abständen die Polizei ins Haus. Sie durchsuchten die Clubs, kontrollierten die Frauen, das Personal und die Gäste nach illegalen Ausländern. Dabei wurden einige von denen sogar von einem Zivilfahnder der Polizei erst ins Land gebracht und an die Clubs vermittelt.

„Innerhalb von zwei Jahren führte die Polizei 35 Razzien bei mir durch, manchmal kamen sie zweimal pro Nacht. Sie klingelten Sturm, bollerten gegen die Tür, „Aufmachen, Polizei!“ brüllten sie von draußen.
Zum Glück war die Tür immer verschlossen, und sie war auch sehr stabil. Das ist so üblich im Gewerbe, andernsfalls wäre man völlig hilflos. Außerdem brauchten wir mindest eine Minute, um den Laden besenrein zu machen. Das heißt, die Mädchen verschwanden durch die Hintertür nach oben, jene Gäste, die etwas zu verbergen hatten, ebenfalls.“

Da es in den Nachtclubs offiziell keine Prostitution geben sollte, hatte Bernd Termer die über dem Club befindliche Wohnung angemietet. Durch eine verborgene Tür gelangte man über die Hintertreppe in den ersten Stock. Davon ahnte die Polizei nichts. Bis während einer der Razzien plötzlich eine betrunkene Prostituierte durch eben diese Tür heraus polterte und der leitende Beamte große Augen bekam: „Tja, das ist Pech, Holzi.“
Seitdem wurden die Räume über dem Mon Chérie bei jeder Razzia mit durchsucht. Nicht jedoch der Keller, zu dem es ebenfalls einen verborgenen Zugang gab, den die Polizei aber nie entdeckt hat.

Das Ende kam im Sommer 2000. Nachdem bereits die Clubs einiger anderer Betreiber hochgenommen und die Chefs verhaftet worden waren, sollte schließlich auch der König gestürzt werden. Menschenhandel, Förderung der Prostitution, Körperverletzung, Steuerhinterziehung – die Liste der Anschuldigungen war lang und hätte „Holzi“ für einige Jahre hinter Gitter gebracht. Als das Sondereinsatzkommando der Polizei ihn bereits in seinem Haus festgenommen hatte, gelang ihm erstmal die Flucht, er versteckte sich im Nachbarsgarten. Profis am Werk.

Einige Monate tauchte er bei einem Bekannten unter, dann nochmal in einer Hütte an der Ostsee. Nachdem die Polizei über die Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ sein Foto verbreitet hatte, wurde Termer verraten, festgenommen und nach Berlin gebracht. Hier machte man ihm sechs Monate später im Jahr 2001 den Prozess, doch die Anklage brach stückchenweise auseinander. Es folgten Freisprüche wegen Menschenhandel und Förderung der Prostitution, der Rest wurde zu einer Bewährungsstrafe ausgesetzt. Bernd Termer konnte das Gericht als freier Mann verlassen.

Noch besaß er zwar vier Bars und Nachtclubs, aber ein Jahr Flucht und Gefängnis hatten ihm zugesetzt. Nach und nach stieg er aus dem Geschäft aus und konnte seine Läden nicht mal mehr verkaufen. Die Geschäfte gingen sowieso schlechter, die große Zeit der Nachtclubs war in Berlin offenbar vorbei.

„Vielleicht hat sich die klassische Art des Rotlichtmilieus auch einfach überlebt. Die Separées, die Shows, das Ankobern, der Sekt und der Plüsch, die Spiegel, der Striptease – es war eine bestimmte Art von Kultur, und Kultur ist immer zeitgebunden. In Hamburg, auf St. Pauli, findet man sie noch, aber auch immer weniger. Flatrate heißt die neue Mode, die von vielen Bordellen jetzt angeboten wird. Die Shows, die früher ja stets einen zumindest rudimentären künstlerischen Anspruch besaßen, sind zur reinen Pornografie geworden.
Auch die Art des Umgangs untereinander hat sich verändert. Früher war das Milieu eine in sich stimmige, fest gefügte Welt, in der bestimmte Regeln galten, die von allen akzeptiert wurden. Auch früher gab es Schlägereien, gewiss. Aber man konnte sich darauf verlassen, dass gewisse Grenzen nicht überschritten wurden. Fünf gegen einen, das gab es damals nicht. Heute ist man ganz schnell mit dem Messer und der Pistole zur Hand. Regelmäßig gibt es Tote. Immer häufiger, immer mehr. Clans aus dem arabischen und südeuropäischen Raum haben die Herrschaft übernommen. Auch Russen. Früher spielten Drogen so gut wie keine Rolle, heute sind sie das Thema überhaupt. Was Leute wie ich als Halbwelt kennen, als einen vergleichsweise ruhigen Kiez, hat sich zu einer kriminellen Szene der übelsten Art gewandelt. Und mit der will ich nichts zu tun haben. Dies ist nicht mehr meine Welt. Im Grunde habe ich, mit einer gewissen Melancholie, abgeschlossen mit dieser Welt. Sie ist Vergangenheit.“

Alle Zitate sind aus der Autobiografie von Bernd Termer: „Der König vom Stuttgarter Platz – Ein Ludenleben ohne Filter“.
Herstellung und Verlag: Books on Demand
ISBN 978-3-735-79196-2
248 Seiten

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