Ihre zweitbeste Zeit hatte sie Anfang des letzten Jahrhunderts: Gartenlokale, kleine Varietés, viele Kneipen und ein Kaufhaus am westlichen Ende – schon damals war die Oranienburger Straße in Mitte ein Anziehungspunkt. Die zweite Blüte kam dann 1990 und hält seitdem an. Mittlerweile gibt es hier mehr Kneipenplätze als Bewohner, Restaurants jeder Couleur, Kunst-, Kultur- und Werkstätten, das Centrum Judaicum, und natürlich die Prostituierten. Ob vormittags um 11 oder nachts um 3 Uhr: die Straße ist immer belebt, zwischen Hackeschen Markt und dem unbenannten Platz an der Ecke zur Linienstraße wuseln die Partygänger zwischen Kinobesuchern und hungrigen Menschen, die sich nicht für eines der vielen Restaurants entscheiden können. Dazwischen stehen die mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten, der grüne Panzer an der Synagoge.
Fast jedes Haus hier hat Geschichte oder zumindest Geschichten zu bieten, mit Ausnahme der meist missglückten Neubauten der vergangenen paar Jahre, die teilweise wahre Fremdkörper in der Oranienburger sind.
Vom ehemaligen Schloss Monbijou ist nichts übrig als der Park und eine kleine Parkgaststätte, auch dass hier einst die erste Stadtmauer quer zur Straße verlief, ist unsichtbar für den eiligen Passanten. Höchstens die merkwürdige Führung der Krausnick- und der nahen Neuen Schönhauser Straße weisen darauf hin.
In die Oranienburger fahren des nachts die Taxifahrer ihre auswärtigen Fahrgäste, die „noch was erleben“ wollen. Entweder landen sie in einer der berühmten sogenannten „Szenekneipen“, die das schon längst nicht mehr sind. Aber das weiß ja der Bayer nicht, im Verhältnis zu seinem heimischen Gasthof ist das hier schon Szene genug. Oder er findet – bis um drei Uhr früh – Anschluss bei einer der Barbiepuppen-ähnlichen Huren, die hier bereits seit hundert Jahren stehen. Nicht immer dieselben, versteht sich, aber doch immer. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Straße sogar klar aufgeteilt. Direkt vor dem Kaufpalast der Friedrichstraßen-Passagen (später Wertheim, dann Ruine, dann Tacheles), standen die Damen, auf der anderen Straßenseite die Jungs, die den Geschäften mit ihren Freiern in der Toilette gleich vor Ort nachgingen. Einige Jahrzehnte gab es diese Aufteilung, auch noch zu DDR-Zeiten. Nach der Wende verschwanden die Jungs, übrig blieben die blonden Engelsdamen.
Anfang der Neunziger bekam die Oranienburger Straße einen sehr schlechten Ruf, doch durch die massenhafte Ansiedlung von Gastronomie und Ateliers wurde es bald „chic“, hier seinen Cocktail zu schlürfen oder die Geschäftsfreunde zu einem Essen in einem „ungewöhnlichen Ambiente“ einzuladen. Längst ist dies hier keine Wohngegend mehr, kein Kiez im ursprünglichen Sinn. Die Oranienburger ist eine Geschäftsstraße geworden, wie der Kudamm oder die Steglitzer Schlossstraße, nur dass es hier eben andere Formen von Geschäften sind.
Vieles hier findet auf den Höfen statt, von der Straße aus unsichtbar. Cafés und Modeläden in Remisen, die christliche Buchhandlung im Hinterhaus, im Seitenflügel der Bonbonladen, in dem man die Herstellung der Süßigkeiten live beobachten kann.
Doch das Rebellische, das Verrufene und Verlotterte aus den 90ern, das gibt es nicht mehr, auch wenn manche Einrichtung wie das Kunsthaus Tacheles noch damit kokettiert. Wie überall an „angesagten“ Orten in Berlin haben Geschäftemacher das Heft in der Hand, die Mieten sind mittlerweile unbezahlbar, das Flair des Verfalls wird hinter Glaswänden konserviert. Business und Tourismus bestimmen heute zum Großteil das Geschehen auf dieser Ur-Ostberliner Straße, in der einst das jüdische Bürgertum zuhause war, bis es ab 1938 massiv vertrieben oder deportiert wurde. Heute ist die Oranienburger nicht nur das geografische, sondern auch das logische Ende der Friedrichstraße. Erst die Kultur am Gendarmenmarkt genießen, dann zum Essen in die Oranienburger – oder umgekehrt, beides ergänzt sich mittlerweile prima.
Und diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, sondern wir sind mitten drin. Die letzten Brachen in der Straße sind verplant, auf manchen wird schon gebaut. Dort, wo jetzt noch leere Sandflächen liegen, vermessen die Architekten bereits, in einigen Jahren steht hier wieder ein neues Viertel, selbst der Monbijoupark wurde schon teilweise bebaut.
Aber nicht nur dort, auch auf einigen altbebauten Grundstücken geht es los, insgesamt sollen über eine Milliarde Mark an der Oranienburger Straße investiert werden. Die Hälfte davon fließt in das sogenannte Johannis-Viertel hinter dem Tacheles. Dann gibt es den „Motz-Block“, der nach den ihn umgebenden Straßen (Monbijou, Oranienburger, Tucholsky und Ziegel) benannt wurde. Der Block, errichtet zwischen 1791 und 1913, gehört der Telekom, hier waren einst die Berliner Rohrpost-Zentrale und das Haupt-Telegraphenamt untergebracht.
Schräg gegenüber im ehemaligen Postfuhramt entsteht ein Hotel, davon gibt es ja hier so wenig. Der 1875 bis 1891 von Curt Schwatlo errichtete Gebäudekomplex wurde in den letzten Jahren vor allem für kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Ausstellungen genutzt.
Die Oranienburger Straße: Vom Szene-Viertel zur Kommerzmeile – welche Überschrift wäre besser geeignet, die Entwicklung dieser Straße zu beschreiben.
Foto: Michael.F.H.Barth, CC BY-SA 4.0
Hallo,
ich stimme dem Beitrag völlig zu…leider ist die Gegend um den Hackeschen Markt bis zur Friedrichstrasse ein ziemliches „Schickimickie-Viertel“ geworden.
Wo zu DDR Zeiten noch kleine Leute z.B. Musiker in den Dachgeschossen ihre Gig´s einübten, hausen jetzt Neureiche, die ihren Porsche in der Tiefgarage zu stehen haben.
Eine Alternative Subkultur gibt es dort schon lange nicht mehr.
Alles was dort angeboten wird, ist nur noch auf Kommerz und Touri´s abzocken ausgerichtet !
Ich konnte die Entwicklung dort seit der Wende beobachten, da ich Berufsmäßig in dem Viertel zu tun habe.
Ich muß sagen…SCHADE um diese Gegend.
Sie wird zum Nachteil der Menschen verbaut. Freifläschen werden zubetoniert sodaß es keine Luft mehr zum atmen gibt.
Und leider nicht nur dort.
Wenn man sich die anderen OstBerliner Bezirke ansieht, ist es doch ebenso heftig.
Um noch eine Lanze zu brechen für die „leichten Mädchen“ in der Oranienburgerstrasse…
Wenn se glauben das de nen Kunde sein könntest, wirste angemacht und abgezockt.
Wissen sie jedoch das Du nur Berufsmäßig dort unterwegs bist, sind sie wie Du und ich…!
Soweit, so gut