Nur tote Opfer sind gute Opfer

Etwa 50 Roma und 20 Unter­stüt­zer haben am Sonn­tag Nach­mit­tag das Denk­mal für die im Natio­nal­so­zia­lis­mus ermor­de­ten Sinti und Roma neben dem Reichs­tag besetzt. Die betrof­fe­nen Roma kommen vor allem vom Balkan und befürch­ten, dass sie demnächst abge­scho­ben werden. Um Mitter­nacht fuhren rund 15 Mann­schafts­wa­gen der Poli­zei auf, Beamte in Kampf­an­zug stürm­ten das Mahn­mal und dräng­ten die Roma, ihre Kinder und die Unter­stüt­zer heraus und nahmen mehrere von ihnen fest.

Die Flücht­linge aus Serbien, dem Kosovo, Bosnien-Herze­go­wina, Maze­do­nien und Monte­ne­gro werden in ihren Herkunfts­län­dern aufgrund ihrer Zuge­hö­rig­keit zum Roma­volk rassis­tisch diskri­mi­niert. Der Zugang zu Arbeits­plät­zen, Bildung und zur Gesund­heits­ver­sor­gung ist weitest­ge­hend versperrt. Es trifft also genau das zu, was im Asyl­ver­fah­rens­ge­setz unter §3a und b als struk­tu­relle Diskri­mi­nie­rung beschrie­ben ist. Trotz­dem wird dies in Deutsch­land nicht als Asyl­grund aner­kannt. Anders als z.B. in Frank­reich, das zwar nicht als Roma-freund­lich bekannt ist, sie aber trotz­dem als Flücht­linge aner­kennt, wenn sie vom Balkan kommen.

Ein Spre­cher der Poli­zei sagte gestern Abend, dass die Beset­zung eine ille­gale Demons­tra­tion inner­halb des Bann­krei­ses  war. Außer­dem müsste sie “Die Würde des Denk­mals” sichern. Offen­bar ist die Würde der leben­den Opfer von rassis­ti­scher Verfol­gung weni­ger wich­tig als die, der bereits ermor­de­ten.

Beson­ders bitter ist, dass die Räumung des Protes­tes von der “Stif­tung Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas” bean­tragt wurde, die auch dieses Mahn­mal betreut. In meinen Augen hat diese Stif­tung jede mora­li­sche und poli­ti­sche Glaub­wür­dig­keit verlo­ren!

Die Beset­zer haben eine Erklä­rung verfasst, die hier leicht gekürzt doku­men­tiert wird:

Denje­ni­gen, die neu nach Deutsch­land kommen, um hier Schutz zu suchen gelingt es oft gar nicht mehr, über­haupt hier anzu­kom­men: Kaser­niert in Sonder­la­gern für u.a. Balkan­flücht­linge müssen sie eine Bear­bei­tung der Schutz­ge­su­che abwar­ten, nahezu hundert Prozent davon Ableh­nun­gen. Eine Blei­be­per­spek­tive wird von vorn­her­ein ausge­schlos­sen und gesetz­lich verhin­dert. Ob orga­ni­sierte Sammel­ab­schie­bun­gen oder die unmiss­ver­ständ­li­chen Auffor­de­rung zur “frei­wil­li­gen Rück­kehr” — abge­spal­ten von den Flücht­lin­gen, deren Flucht­gründe als legi­tim gelten wird uns eine nur “geringe Blei­be­per­spek­tive” zuge­ord­net, dementspre­chend werden uns Wege zu einem gleich­be­rech­tig­ten Leben hier versperrt. Ob wir seit drei Mona­ten hier leben, seit 2 oder 20 Jahren – wenn wir in die Staa­ten gehen deren Adler unsere Papiere ziert, dann erwar­ten uns Verfol­gung, Rassis­mus, Ausschluss – und keine Spende aus West­eu­ropa kann unsere Probleme dort lösen. Die Lösung unse­rer Probleme liegt hier.
Wir können nicht mehr in unse­ren Verste­cken blei­ben.
Wir können nur unter­wegs sein – oder etwas beset­zen.
Wir haben uns entschie­den uns auf den Weg zu machen. Wir verlie­ßen die Kommu­nen, die unsere Schutz­ge­su­che ableh­nen. Wir kommen hier­her, nach Berlin, wo die Gesetze beschlos­sen werden, die unsere Leben hier been­den. Nach Berlin, wo zuletzt im April diesen Jahres eine Veran­stal­tung am Mahn­mal für die ermor­de­ten Roma und Sinti Euro­pas statt­fand, in der die Mehr­heits­ge­sell­schaft sich mit uns soli­da­risch erklä­ren wollte: der Vize­prä­si­dent des Zentral­rats der Juden in Deutsch­land, Mark Dainow. Akti­vis­tin­nen, die noch während der Veran­stal­tung mit ihren Zwischen­ru­fen gegen Abschie­bun­gen protes­tie­ren. Die Staats­mi­nis­te­rin Aydan Özoğuz, Beauf­tragte für Migra­tion, Flücht­linge und Inte­gra­tion vertrat die deut­sche Regie­rung. Zoni Weisz, der aus den Nieder­lan­den stam­mende Sinto. Uwe Neumär­ker, Direk­tor der Stif­tung Denk­mal für die ermor­de­ten Juden Euro­pas. Bundes­prä­si­dent Joachim Gauck. Wana Limar, MTV-Mode­ra­to­rin, und Arne Fried­rich, ehema­li­ger Fußball­na­tio­nal­spie­ler. Die Bundes­tags­vi­ze­prä­si­den­tin­nen Petra Pau und Clau­dia Roth sowie Chris­tine Lüders, Leite­rin der Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stelle des Bundes.
Das war vor etwas über einem Monat! Die Erin­ne­run­gen an die Absper­run­gen für die Promi­nen­ten sind noch frisch. Und auch an manche schö­nen Sätze, die dort gesagt wurden.
Unsere Probleme lassen sich nicht an einem Feier­tag lösen, voll­kom­men egal, wie lange dieser vorbe­rei­tet wurde. Jetzt sind wir wieder in der Nähe, in der glei­chen Stadt.
Viele der aktu­ell von Abschie­bung bedroh­ten Roma haben in ihren Fami­lien Verfol­gungs­ge­schich­ten. Viele sind Nach­kom­men von Opfern oder Über­le­ben­den der Vernich­tung. Dieser Tatsa­che muss endlich entspro­chen werden.
Forde­run­gen: Wir brau­chen eure Soli­da­ri­tät.
Wir fordern bedin­gungs­lo­ses Blei­be­recht in Deutsch­land. Für uns alle. Zehn Jahre Aufent­halt und Chan­cen auf Schul­bil­dung, Ausbil­dungs­plätze, Arbeits­markt­in­te­gra­tion – auch wenn das irri­tie­rend normal klingt: das wäre mal ein Anfang.
Wir haben kein Dach überm Kopf. Wir wissen nicht, wohin. Wir bitten Städte wie Akti­vis­tIn­nen um Asyl. Für die nächs­ten Wochen oder für immer. Wir würden uns gerne will­kom­men fühlen.
WIr fordern die Aner­ken­nung unse­rer Flucht­gründe nach der Genfer Konven­tion. Wir fordern euro­päi­sches Recht weil unsere Verfol­gung in ihrer Tradi­tion ein euro­päi­sches Problem ist. Diesen Fakt abzu­schie­ben ist nicht möglich.
Die histo­ri­sche Verant­wor­tung in Deutsch­land umzu­set­zen hieße, Ange­hö­ri­gen der Minder­heit der Roma, die hier wie dort über Gene­ra­tio­nen verfolgt werden eine Aner­ken­nung zukom­men zu lassen und wenigs­tens Schutz vor erneu­ter­ten Verfol­gun­gen zu gewäh­ren.
Die Entschei­dung zur Sicher­heit in Serbien, Maze­do­nien, Bosnien Herze­go­wina, Kosovo, Alba­nien und Monte­ne­gro ist eine Farce. Sie sollte ein Werk­zeug sein um Menschen die Wege zum Aufbau von Perspek­ti­ven in Deutsch­land zu versper­ren. Das hat nichts mit der Lage in den Ländern zu tun, spezi­ell der der Roma. Die Entschei­dun­gen müssen zurück­ge­nom­men werden. (Wer A sagt muss nicht Z sagen. Er kann auch erken­nen, das A falsch war.)

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