Verlorene Vorurteile

Ich weiß, man soll ja keine Vorur­teile haben. Dabei machen sie einem das Leben doch so viel einfa­cher, weil man schnell Antwor­ten hat, ohne sich über­haupt die Fragen stel­len zu müssen. Blöd nur, wenn einem die schöns­ten Vorur­teile immer wieder verlus­tig gehen, weil das Leben sich nicht daran hält. In den letz­ten Tagen war das gleich drei­mal der Fall, lang­sam kriege ich Zwei­fel, ob meine Vorur­teile wirk­lich so gut sind, wie ich immer dachte …

Vorur­teil 1: Araber sind Groß­mäu­ler

Kennen Sie Borat, diese Film­fi­gur eines Kasa­chen, der im Westen so ziem­lich alles falsch macht, was nur geht? So unge­fähr, plus mehrere Gold­ket­ten um Hals und beide Armge­lenke sowie nach einem Liter Parfüm stin­kend stieg ein arabi­scher Mann bei mir ins Taxi ein. Natür­lich hatte er eine Sonnen­brille auf, obwohl es auf Mitter­nacht zuging. Der Dandy grinste mich an, der Schnei­de­zahn mit dem einge­las­se­nen Diaman­ten wunderte mich schon nicht mehr. Seine mehrere Nummern zu enge Jeans trug er ohne Unter­hose, das war nicht zu über­se­hen. Ein Teil seiner Kopf­haare war mit Gold­farbe besprüht, mehr Klischee geht eigent­lich nicht. Wahr­schein­lich musste er mit dem Taxi fahren, weil der Cadil­lac gerade zur Well­ness­kur in Monte Carlo weilte.
Dieses Wesen stieg also am Nollen­dorf­platz ein und wollte in eine Disco. Das Goya hat zu, dort kam er gerade her. Ich empfahl ihm, zum Maxxim zu gehen, erst unter­wegs fiel mir ein, dass er sicher auch gut ins SO36 gepasst hätte. Kaum losge­fah­ren flüs­terte er plötz­lich “Love you”.
Wie bitte?
Es stellte sich heraus, dass nicht er mich liebt, sondern Gott. Der Liba­nese war missio­na­risch unter­wegs. Sein schrei­en­des Äuße­res war das totale Gegen­teil zu seinem Anlie­gen, immer wieder flüs­terte er “God loves you!”. Er zeigte mir kleine Zettel, offen­bar mit Sprü­chen aus der Bibel, auf Arabisch und Englisch. Dann wollte er wissen, ob ich auch Gott liebe, ich antwor­tete, dass ich es nicht weiß. Der Messias schaute sehr mitlei­dig. Mitt­ler­weile waren wir am Ziel ange­langt, er zählte die 6,70 Euro genau vor und dann strei­chelte er meinen Arm: “He loves you!”

Vorur­teil 2: Span­dauer sind schlauer

Leider kommt es oft vor, dass die Taxi­stände von Privat­au­tos blockiert werden, die sie als Park­platz benut­zen. So war es auch gestern Abend, ganz hinten am Bahn­hof Span­dau. Der letzte Platz war von einer Edel­ka­rosse, einem glän­zen­den Audi-Gelän­de­wa­gen, besetzt. Ein Poli­zei­auto stand in zwei­ter Reihe und im selben Moment fuhr schon der Abschlepp­wa­gen vor und lud den Falsch­par­ker auf. Sofort nutzte der Fahrer eines Opel Zafira die Situa­tion aus und rangierte genau in die eben frei­ge­räumte Lücke. So schnell er gekom­men war, sprang er auch schon aus dem Auto, schloss ab und rannte — einem der Poli­zis­ten genau in die Arme. Dieser versuchte den Übel­tä­ter zum Wegfah­ren zu bewe­gen, was sich aber inner­halb einer halben Minute zu einer laut­star­ken Diskus­sion auswei­tete. Ich hörte den Opel-Fahrer nur “scheiß­egal” und “ich muss zum Zug” brül­len und dann rannte er in den Bahn­hof. Natür­lich forderte der Poli­zist wieder einen Abschlepp­wa­gen an und kurz darauf verschwand das Auto auf dessen Lade­flä­che Rich­tung Ruhle­be­ner Straße.
Bleibt nur zu hoffen, dass der Zafira-Fahrer ausrei­chend Geld einste­cken hatte für die Rück­fahrt mit dem Taxi. Denn sein Auto auszu­lö­sen kostet ihn mindes­tens 200 Euro. Offen­bar sind Span­dauer doch nicht so schlau.

3. Vorur­teil: Iren sind laut und besof­fen

Taxi­hal­ten haben manch­mal so ihre Beson­der­hei­ten. Und nicht alle sind verständ­lich. Die Halte am Kranz­ler gehört dazu: Wer hier steht, kann sich sicher sein, dass bald eine Horde lärmen­der Jugend­li­cher (Typ: Puber­tie­rende Schul­kasse aus dem Rhein­land) vorbei­zieht, die Jungs mit der obli­ga­to­ri­schen Bier­fla­sche in der Hand. Gröh­lend ziehen sie die Aufmerk­sam­keit auf sich, je lauter umso besser. Das kennt man aber auch von Ande­ren, zum Beispiel stehen die Bewoh­ner der grünen Insel in diesem Ruf. So war ich nicht begeis­tert, als vor mir eine Horde Iren laut­stark die Joachim­s­ta­ler über­querte und auf mich zusteu­erte. Einige hatte riesige grüne Hüte auf und lange Bärte umge­hängt. Viel­leicht waren die auch nicht echt, jeden­falls zwäng­ten sie sich in mein Taxi. Nicht alle 20, aber doch eindeu­tig zu viel. “Only four persons, please!” sagte ich, obwohl ich in diesem Moment gar nicht wusste, ob die über­haupt Englisch spra­chen. Bei Iren weiß man ja eh nie, woran man ist, aber sie verstan­den es und brav stie­gen zwei von ihnen wieder aus und steu­er­ten auf die hinte­ren Taxis zu.
Das Fahrt­ziel Grün­ber­ger Straße besänf­tigte mich gleich, zwar rech­nete ich mit einer stres­si­gen, aber wenigs­tens lohnen­den Tour. Auf dem Weg nach Fried­richs­hain lernte ich plötz­lich ganz andere Iren kennen: Sie spra­chen fast flüs­ternd mitein­an­der, wie in der Kirche, der Mann hinter mir sang leise ein Lied. Am Schle­si­schen Tor musste ich eine extra Runde um den Bahn­hof fahren, damit sie ihn von allen Seiten betrach­ten konn­ten, sie fanden ihn “so nice”. Der Höhe­punkt aber war der Blick von der Ober­baum­brü­cke nach Westen, alle waren so begeis­tert, dem Mann neben mir kamen fast die Tränen.
Am Fahrt­ziel wurde ich gleich von dreien ange­bet­telt, das Fahr­geld von 21,30 EUR  nur jeweils von ihm zu nehmen, schließ­lich legte mein Beifah­rer 25 Euro hin und stieg aus, nicht ohne sich noch­mal umzu­dre­hen: “You are very, very nice”.
Die Türen waren zu, gerade wollte ich losfah­ren, da kam der grün­be­hü­tete Bart­trä­ger zurück­ge­lau­fen, riss hinten die Tür auf und stam­melte: “Sorry, sorry!” Dann kurbelte er die Scheibe ganz hoch, das hatte er noch verges­sen.
Sage mir niemand wieder, Iren seien alles nur gröh­lende, saufende, unsen­ti­men­tale Mons­ter. Das sind alles nur Vorur­teile!

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1 Kommentar

  1. Türlich. Skan­di­na­vier saufen immer, Ungarn und Öste­rei­cher sind Nazis(ich fahre ungern nach Ungarn), Deut­sche sind dick und häßlich, Fran­zo­sen arro­gant, Spanier erst recht, Ammis dumm, Thais immer freund­lich, Inder sind Verge­wal­ti­ger, Russen Bauern, Austra­lier nett und Japa­ner ängst­lich.

    Wir sind als Volk sind zwar häßlich aber dafür das Maß aller Dinge.

    … und alle werden von ihrem Gott geliebt. So isser eben.

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