Kindheit und Jugend in der DDR

Da ich schon immer gerne lange Briefe zu meiner Verwandtschaft schrieb und meine Briefe immer gerne gelesen wurden, begann ich nach dem Fall der Mauer Geschichten aus dem Leben zu schreiben. Schon mit 16 Jahren wollte ich meine Memoiren schreiben, ob da viel zusammengekommen wäre, möchte ich heute bezweifeln. Nach dem Fall der Mauer hatte ich Zeit und begann mit einer Familienchronik sie beginnt mit meinen Urgroßeltern. Eine zusammengestellte Ahnentafel beginnt 1651. Ende der Chronik ist der Fall der Mauer 1989. Damit sie viele lesen können habe ich mich entschlossen sie im Internet zu veröffentlichen.

Meine Kindheit in der Deutschen Demokratischen Republik

Meine Eltern heirateten 1948 im Februar am Valentinstag. Ich bin ein echte Berlinerin. Im Dezember 1948 in Berlin-Köpenick geboren, lebe ich heute noch in diesem Bezirk. Mein Leben und das meiner Vorfahren habe ich in einer Familienchronik aufgeschrieben die ich auch im Internet veröffentlicht habe.
Wie ich meine Kindheit in Berlin verlebte in den Jahren vor dem Mauerbau möchte ich hier einmal berichten. Es fällt mir schwer alles das was ich damals so erlebte in einer Kurzfassung zu bringen. Dennoch werde ich es versuchen. Zunächst noch etwas Geschichte, Historie die einige Monate vor meiner Geburt passierte. Meine Eltern lebten im Ostsektor, Köpenick war und ist ein Ostbezirk.
Während im Osten das Leben eintönig weiter ging, änderte sich 1948 einiges im Westen.

Am 21.6.1948 gab es im Westsektor eine Währungsreform. Es gab neue Banknoten für den Westsektor, worauf die Russen mit einer Blockade reagierten. Lebensmittel-, Kohle- und Stromversorgung aus dem Osten wurde sofort unterbrochen. Der einzige Ausweg, die Menschen im Westsektor, von ihren Trockenkartoffeln und Trockengemüse zu befreien, war eine Luftbrücke. Amerikanische und englische Flugzeuge versorgten nun von Juni 1948 bis Mai 1949 die Bevölkerung im Westen der Stadt.
Hier im Ostsektor blieb noch die Reichs- und Rentenbanknoten gültig. Zwischen dem 24. und dem 28.6.1948 hatte die sowjetische Besatzungszone keine neuen Banknoten für eine richtige Währungsreform gedruckt, deshalb bekamen die Banknoten der sowjetischen Besatzungszone ein Spezialcoupon aufgeklebt. Sobald neue Banknoten zur Verfügung standen, wurden die Banknoten mit dem aufgeklebten Spezialcoupon aus dem Verkehr gezogen. Der Umtausch fand zwischen den 25. und 28.7.1948 statt. Das Geld hieß nun Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (MDN) Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet, Präsident war Wilhelm Pieck.
Im Westsektor gab es nach der Währungsreform keine Lebensmittelkarten mehr, im Osten gab es auch weiterhin eine Lebensmittelrationierung auf Karten. Die allgemeinen Kohlenkarten gab es bei uns bis zur Wende 1990.
Ich stand nahe vor der Rachitis, eine schlechte Wohnung und die schlechte Ernährung trugen dazu reichlich bei. Ich musste Lebertran nehmen und einmal in der Woche zum Sport und Rotlicht mit anschließender Massage.

Im Sommer gingen wir öfter zu einer Bekannten in den Garten und ich durfte mit ihren großen Hund Teddy, ein Bernhardiner, spielen. Am Anfang hatte ich natürlich Angst vor diesem großen Hund, er war aber harmlos, und dann setzte mich Frau Stark auf den Hund, der mich gemütlich durch den Garten trug, von nun an war er mein Freund. Natürlich gab uns Frau Stark auch Obst mit besonders viel Johannisbeeren. Mein Vater machte dann immer Obstweine daraus.
Einmal wollte Papa Hagenbuttenwein herstellen, statt aber alles richtig mit einem Gärröhrchen zu verschließen, ließ er sich beeinflussen und machte den Weinkrug fest zu, wie ihm gesagt wurde. Der Wein begann zu gären und gären, es gluckerte immer ziemlich gefährlich im Weinkrug. Es sollte auch nicht lange dauern, dann gab es in der Nacht einen Knall, und der Weinkrug zersplitterte vollkommen. Der Wein floss in Strömen durch die Küche, es stank erbärmlich nach Suff, und überall lagen Körner verstreut. Die Reinigungsarbeiten hörten nicht mehr auf.
Mein Vater nahm mich manchmal mit in den Keller wenn er Wein abfüllte. Einmal durfte ich auch am Schlauch nuckeln. Papa und ich nuckelten immer abwechselnd und bald waren wir beide ziemlich voll. Wir schlichen die Treppe hinauf.
Der Schlüssel passte auf einmal nicht mehr und wir klingelten. Mutti öffnete um schimpfte uns aus. Artig setzten wir und an den Tisch, ich nahm meine Gabel und merkte nur noch wie ich langsam rechts von meinem Stuhl fiel. Mutti brüllte: „Um Gottes Willen du hast das Kind betrunken gemacht!“ An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, nach den Erzählungen meiner Mutter war Papa auch ganz schön blau. Ja, aber es schmeckte auch zu gut, man konnte nicht aufhören zu trinken. Noch oft sind bei Feierlichkeiten die Männer auf einmal verschwunden, man fand sie immer im Keller. Nur ich, ich durfte nicht mehr mit in den Keller, Wein und Keller war für mich von nun an verboten.

Der Aufstand 1953

1953 kaufte Papa ein Motorrad, eine BMW und einen Beiwagen. Unsere erste Reise führte uns zu einem Bauernhof im Harz.
Begann eine Reise zogen sich meine Eltern adrett an. Sie hatten sich Ledermäntel gekauft und wir hatten alle drei eine Motorradmütze (aus Leinen) auf. Lächerlich, wenn man bedenkt wie heute die Motorradfahrer ausgestattet sind, sogar Fahrradfahrer haben einen Helm auf, und wir mit unseren Leinenmützen, aber damals trug jeder Motorradfahrer eine Leinenmütze und einen Ledermantel und eine Motorradbrille.
Als wir am 16. Juni 1953 von einem Spaziergang zurückkamen, wurden wir schon erwartet und die Bäuerin sagte uns, wir sollen sofort Nachrichten hören, in Berlin wäre etwas los. Aufgeregt gingen meine Eltern in ihr Zimmer, schalteten das Radio ein, und wir hörten von einem Volksaufstand in Berlin. Die Bauarbeiter der Stalinallee, die neue Prunkstraße des Staates, demonstrierten gegen eine höhere Arbeitsnorm, alle anderen Bauarbeiter solidarisierten sich. Für den 17.6.1953 wurde zum Generalstreik aufgerufen.
Wie nun allgemein bekannt ist, wurde der Aufstand, mit Hilfe der Russen, blutig niedergeschlagen. Wir fuhren gleich am nächsten Tag nach Hause, man sprach schon von Krieg. Ich habe gelesen mindestens 1.400 Personen wurden wegen „faschistischer Provokation“, zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Zum Glück gab es kein Krieg, es wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, dass hieß für uns am Abend durfte niemand mehr auf die Straße.

Meine Schulzeit vor dem Mauerbau

Ich wurde 1955 eingeschult und gleich von der ersten Klasse an wurden wir politisch geschult. Es gab nur ein Motto: „Der Imperialismus will Krieg, und die Amerikaner sind Imperialisten“.
Schließlich mussten wir jeden Monat eine Petition unterschreiben, in der wir erklärten, nicht nach Westberlin zu fahren, keinen Kontakt mit Westberlinern zu haben oder aufzunehmen. Also auch keine Post aus dem feindlichen Teil des Landes und keine Besuche zu Verwandten im Westen. Wir hatten aber Verwandte drüben die wir auch regelmäßig besuchten.
Uns wurde auferlegt alle zu melden die sich nicht daran hielten. Auch Familienangehörige, wie Eltern, Oma, Tante, sollten wir denunzieren. Das war für mich aber kein Thema, hörte ich doch selbst viel zu gerne RIAS oder SFB. Mir ist auch keine Denunziation bekannt.
Meine Lieblingessendung im Radio war immer „Schlager der Woche“, „Die Insulaner“ und „Pension Spreewitz“ mit Edith Hancke, Edith Scholwer, Ewald Wenck und andere. Schlager mit Peter Kraus und Conny Froboess, liebte ich besonders. War doch Peter Kraus der Schwarm aller Mädchen. Es war die große Fluchtzeit, jeden Tag, besonders am Montag, fehlten Schüler und Schülerinnen oder Lehrer in der Schule. Damals gingen alle in den Westen, wenn man am Montag zum Bäcker ging wusste man nicht, ob er noch da war oder auch schon abgehauen ist. So konnte es vorkommen, dass ein Lehrer der als besonders „scharf“ galt, an einem Montag nicht mehr in die Schule kam.
Ich erinnere mich noch genau daran als Christine in unsere Klasse kam. Ihr Vater wurde von Magdeburg nach Berlin versetzt. Montag erschien sie das erste Mal in unserer Klasse, erzählte viel von Westberlin, was mich schon wunderte. Am nächsten Montag fehlte sie, wir sahen sie nie wieder.
Meine Mutter ging dann auch bald nach Westberlin arbeiten, auch das durfte niemand wissen.
Ich nahm deshalb schon keine Schulfreundin mehr mit in die Wohnung, es fiel auf, dass wir immer Obst hatten, wo es doch im den Gemüseläden der DDR kein Obst oder frisches Gemüse außerhalb der Saison gab. In der Saison wurde es rationiert, jeder Familie bekam nur ein Kilo Obst. Je nachdem was es gerade gab: Äpfel, Birnen, Weintrauben oder Kirschen. Und wie oft kam es vor das man umsonst anstand, gerade die Kundin vor mir hatte das letzte Kilo Birnen bekommen. Wenn man umsonst eine Stunde im Gemüseladen angestanden hat, können einen schon die Tränen kommen, und wie oft heulte ich wegen ein paar Birnen oder Äpfel.
In der Schule mussten wir dann einen Aufsatz schreiben, warum es in der Deutschen Demokratischen Republik kein Obst außerhalb der Saison gibt. Es wurden die Wetterverhältnisse vorgeschoben. Ich schrieb dann voller Frust, dass es im Westen alles gibt und hier nichts. Außerdem wäre in Westberlin das Wetter nicht anders als bei uns. Das war dann auch eine glatte Fünf, meine Eltern wurden in die Schule bestellt und zur Rede gestellt, was mein Vater aber noch lachend hinnahm. Auch weigerte ich mich, Pionier zu werden, nach dem Bau der Mauer blieb mir dann aber nichts mehr übrig, ich wurde mehr oder weniger dazu gezwungen. Ich würde das Klassenkollektiv hemmen, hieß es und meinetwegen würde die Klasse nicht an was weiß ich alles teilnehmen können. Nun, was blieb mir übrig, ich ging den Weg aller Kinder. Pionier, FDJ und FDGB mit Deutsch-sowjetischer Freundschaft.

Abenteuer Westberlin

Abenteuer Westberlin deshalb, weil man nie wusste, wie man durch die Kontrollen und über die Grenze kam. Manchmal ging es ganz einfach, manchmal wurde man ausgeholt und mitgenommen.
Oft brauchte man aber nur seinen Ausweis vorzeigen. Ich habe mehrere Varianten erlebt.
Meisten wurde nur der Personalausweis meiner Eltern in der S-Bahn kontrolliert und die Tasche musste geöffnet werden. Manchmal auch das Portmonee, die Grenzer wollten wissen, ob Westgeld im Portmonee wäre, das war natürlich bei Strafe verboten, ebenso das Mitbringen imperialistischer Zeitschriften. Imperialistische Zeitschriften waren neben des „Stern“ auch die „Hör zu“, der Quelle-Katalog oder „Neckermann macht’s möglich“!
Sehr unangenehm war es für mich, als wir einmal von einem Grenzer mitgenommen wurden. Wir mussten mit ihm aussteigen und ihm in eine Kabuff folgen. Schon als meine Mutter ihren Ausweis vorzeigte, fragte der Grenzer wer ich sei? „Meine Tochter“, sagte meine Mutter, „sie steht doch hinten im Ausweis drin“. „Dann kommen Sie mal bitte mit“, war die Antwort darauf.
Im Kabuff musste meine Mutter in ein anders Zimmer und ich musste immer wieder erzählen, dass es auch wirklich meine Mutter wäre und wo ich wohne. Mutter wurde einer Leibesvisitation unterzogen, sie musste ihre Tasche auspacken und ihre Geldbörse leeren. Als man nichts Anstößiges fand und ich heulend meine Name und meine Adresse zum hundertsten Male herunterbetete, durften wir wieder weiterfahren. Ein anderes schreckliches Erlebnis war an einem Sonntag in der Nacht.
Trotz Warnung meiner Verwandten nahm mein Vater angeheitert Zeitschriften mit. Er steckte sich wie immer die Hör zu und den Stern in den Hosenbund. Aber durch den Alkohol wohl unvorsichtig geworden spiele sich folgende Szene auf der Oberbaumbrücke ab:
Es stand nur ein junger Grenzer auf der Oberbaumbrücke, vielleicht war der andere gerade Pipi, oder krank, jedenfalls waren es bisher immer zwei gewesen. Er wollte unsere Ausweise sehen, im Allgemeinen wurde man immer noch gefragt wo man herkam, aber dieser Grenzer sagte nichts, stellt nur die übliche Frage nach Zeitschriften. Mein Vater etwas angetütelt antwortete: „Nei-ei-n, wo denken Sie hin , soo-lch-e verseuchten Zeitungen lesen wir doch nicht.“ Just, in diesem Moment fielen ihm die „Sterne“ aus den Hosenbeinen. Klatsch lagen sie vor dem Grenzer. Oh Gott, jetzt müssen wir mit, dachte ich, und hatte natürlich Angst davor, dass meine Eltern nun eingesperrt werden.
Schmuggel verbotener, provokatorischer, imperialistischer Schriften, hieß Knast für Jahre. Der Grenzer aber ließ uns die Hefte aufheben, gab meinen Eltern ihren Ausweis und ließ uns gehen. „Gehen Sie“, waren nur seine Worte. Diesem Menschen bin ich noch heute dankbar, dass er uns vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt hat.

Da bei uns im Osten für die Westberliner alles billig war, kauften sie gern bei uns ein. Allerdings: selbst konnten die Westberliner bei uns im Osten nicht einkaufen, weil jeder Kunde seinen Personalausweis vorzeigen musste. Der Mensch ist erfinderisch, und so gab es da eben Ostbürger die für die Westberliner einkaufen gingen. Natürlich war diese Hilfeleistung nicht umsonst, eine kleine Entlohnung mit ein paar DM West wollte man dann doch schon haben. Auch meine Mutter ging für Tante Gerda in der HO einkaufen, und mir wurde immer ganz schwindlig wenn ich die vielen Würstchen auf der Stange hängen sah. Bei Anblick der Wurstsorten lief mit oft das Wasser im Mund zusammen. Gab es doch bei uns zu Hause nur für Vater Fleisch, nur am Wochenende aß auch meine Mutter Fleisch und ich bekam etwas davon ab. An Wurst für Stullen kann ich mich überhaupt nicht erinnern.
Es kam vor, dass wir mal in der Woche ein paar Rippchen kauften, einfache, an denen nichts dran war, die knabberte meine Mutter mit Hingabe ab. Mir war es zu kompliziert und ich verzichte dann darauf.

Am 13.10.1957 fand die „Aktion Blitz“ statt. Am Sonntag alle antreten zum Geldumtausch! Es war ein herrlich warmer Oktobertag, wir schwitzten alle. Eigentlich war auch wieder ein Besuch bei Tante Gerda und Onkel Alex angesagt.
Stattdessen mussten wir nun Geld umtauschen. Wir reihten uns in die lange Schlange, der Wartenden ein, und warteten auf die Ding die da kommen würden. In der Zeit von 12 Uhr bis 13 Uhr konnten alle DDR-Bürger gegen Vorlage ihres Personalausweises Banknoten in der Höhe von bis zu 300 DM tauschen (Deutsche Mark der Deutschen Notenbank). Nach Verschleiß dieser Banknoten beschloss der Ministerrat der DDR im Juni 1964 die Erneuerung der Banknoten. Ab 1.8.1964 wurden dann Banknoten mit der Währungsbezeichnung „Mark der Deutschen Notenbank“ ausgegeben (Abkürzung MDN).
Diese Banknoten unterschieden sich von den im Umlauf befindlichen in Gestaltung, Farbe und Format. Mit der Bildung der Staatsbank der DDR, beschloss der Ministerrat ab 1.1.1968 die Währung als „Mark der Deutschen Demokratischen Republik“ – Kurzform „Mark“ – zu bezeichnen. Die Banknoten mit der Bezeichnung „Mark der Deutschen Notenbank“ blieben bis Dezember 1982 gesetzliches Zahlungsmittel.

Der Mauerbau im August 1961

Im August 1961 war meine Cousine Inge gerade mit ihren Verlobten in Berlin. Inge übernachtete bei uns, während ihr Verlobter bei seiner Schwester in Westberlin übernachtete.
Wir schliefen schon alle, als es nach Mitternacht jemand an unserem Schlafzimmerfenster klopfte. Erstaunt sahen wir aus den Fenster und sah Inges Verlobten draußen stehen. Papa ging hinunter die Haustür öffnen und völlig verwirrter Klaus stand vor uns. „Alles ist abgesperrt und man kommt nicht mehr durch, ich habe es bei drei Übergängen versucht.“ Wir versammelten uns schlaftrunken im Wohnzimmer wo Inge schlief. Wir verstanden nur immer „Bahnhof“, er schwafelte immer etwas von nicht mehr durchkommen, Soldaten und Stacheldraht, und wir wollten es nun genau wissen.
„Ich brachte Inge zu euch und wollte dann zu meiner Schwester fahren, kam aber an der Grenze nicht mehr durch.“
Nun war es aber doch ein gewaltiger Schock für uns, vor einiger Zeit sprach Ulbricht im Radio, ich höre noch heute seine Worte: „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen, die Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik hat etwas anderes zu tun, als eine Mauer zu bauen.“
Ungläubig und erschrocken sahen wir uns alle an. Papa stürmte zum Radio, einen Fernseher hatten wir ja immer noch nicht. Es wurde ja schon seit langem davon geredet, dass etwas passieren würde.

Es waren 3,5 Millionen Menschen aus der DDR in den Westen geflüchtet, wenn nun auch nicht mehr so viele flüchteten, waren es aber immer noch eine ganze Menge, die verschwanden. In den Nachrichten wurde immer angeben wie viele Ostdeutsche das Land verlassen haben, so wie heute die Anzahl der Flüchtlinge aus Kriegsgegenden in den Nachrichten bekannt gegeben wird. Nun saßen wir alle vor dem Radio und hörten, was der Nachrichtensprecher sagte. Er sprach von einer allgemeinen Grenzsperre, überall stehen Soldaten, und Stacheldraht wird gezogen. An manchen Stellen wurde schon eine Mauer gebaut. Inzwischen versammelten sich überall an den Grenzübergangsstellen Menschen, auf der Westseite wie auf der Ostseite. Es versuchten noch einige rüber zu kommen, manche schafften es, wieder andere wurden verhaftet oder es wurde auf sie geschossen. Mit Entsetzen nahmen wir alles wahr. Inge und Klaus fuhren am nächsten Tag nach Hause.

Eines Tages kam Tante Anna, eine Schwester meiner Oma, zu uns und bat Papa, sie mit dem Auto zur Wiener Brücke zubringen. Sie hatte mit ihrer Schwester Gerda aus der Wiener Straße einen Termin ausgemacht, wo sie sich sehen wollten. In der ersten Zeit war es noch erlaubt, an den Stacheldraht zu gehen und zu winken. Grenzer standen davor und achteten genau auf den Abstand. Niemand durfte zu nahe an den Stacheldraht. Nun fuhren wir gemeinsam zur Wiener Brücke, die noch stand, als Grenze war ein Zaun gezogen davor standen Grenzer.
Viele Menschen standen auf beiden Seiten und winkten sich mit Taschentüchern zu. Jeder rief seinen Verwandten etwas zu, so kam es zu einen völligen durcheinander und Geschrei, zum Schluss verstand keiner etwas und jeder suchte aus den vielen Taschentuchwinkern seine Verwandten. Nach einer Viertelstunde hatten wir die Nase voll und fuhren wieder nach Hause. Als sich dann langsam alles einspielte, wurde die Wiener Brücke abgerissen und überall musste der Stacheldraht einer Mauer Platz machen. Auch in der Schule sprachen wir über den „Antifaschistischen Schutzwall“ der nötig wurde, weil die Deutsche Demokratische Republik ausblutete. Facharbeiter wurden regelrecht geködert, dafür gab es ausgebildete Leute, die unsere Bürger mit falschen Versprechungen in den Westen lotsten, erfuhren wir. Es konnte nicht lange dauern mit der Grenzsperrung hieß es, Willy Brandt wollte sich dafür einsetzen, schließlich war Willy Brandt „unser“ Regierender Bürgermeister, saßen wir doch am Radio wo er gewählt wurde und wir waren mit der Wahl einverstanden. Es kam aber nur zu einer Protestkundgebung am Schöneberger Rathaus, was uns nun auch nicht viel weiter brachte.

Nun bekamen wir wieder neue Schüler, deren Eltern, nun aber wirklich, nach Berlin versetzt wurden. Die Eltern waren gute Parteigenossen sie wurden unsere so genannte Kader. Jeder Betrieb hatte eine Kaderabteilung, die Kaderabteilung stelle auch Arbeiter ein, versetzte sie, delegierte sie zum Studium oder Weiterbildung. Über die Kader, stand noch der Parteisekretär, er war der höchste Mann (Frau) in jedem Betrieb, die mehr zu sagen hatten wie jeder Betriebsdirektor. Kilometerweite Sperrgebiete wurden errichtet, dafür wurden Bewohner aus ihren Häusern geworfen. Sie bekamen dafür andere Wohnungen. Nicht immer ging alles friedlich aus, es gab auch Hausbewohner die ihr Haus nicht verlassen wollten, aber die Partei hat immer Recht, wie wir inzwischen wissen, also gab es Mittel und Wege, die Leute aus ihren Häusern zu werfen, auch wenn die Häuser über viele Jahre vererbt wurden. Nun bekamen wir von der Verwandtschaft Pakete. Die Wirtschaftslage in der DDR besserte sich etwas.

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Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1984-0726-501 / CC-BY-SA 3.0

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