Traurige Geschichte des Bahnhofs Putlitzstraße

1.500 Menschen wurden durch die Stra­ßen getrie­ben. Es war ein enger Pulk, an allen Seiten Ketten von SS-Männern, die Befehle schrien und die Masse vorwärts trieb. Viele der Opfer wein­ten, wahr­schein­lich ahnten sie schon ihr Schick­sal. Die Stra­ßen muss­ten gesperrt werden, zu groß war die Menge der Gefan­ge­nen, die da in Rich­tung des Güter­bahn­hofs Putlitz­straße gescho­ben und gesto­ßen wurde. Die Passan­ten wand­ten sich ab, viel­leicht gab es auch welche, die es rich­tig fanden und die Häscher anfeu­er­ten. Dass aber jemand protes­tierte, ist jeden­falls nicht bekannt.

Als im Jahr 1898 an der Putlitz­brü­cke der Bahn­hof für Güter- und Perso­nen­ver­kehr eröff­net wurde, ahnte niemand, welche schreck­li­che Funk­tion er einmal bekom­men sollte. Zuerst war er nur ein Halt auf dem S‑Bahn-Ring, der Güter­bahn­hof diente dem nahen Kraft­werk Moabit sowie dem Mili­tär und den zahl­rei­chen Gewer­be­be­trie­ben in der Umge­bung. Doch unter der Rassen­po­li­tik der Nazis erhielt er eine weitere Bestim­mung: Er wurde der größte Depor­ta­ti­ons-Bahn­hof Berlins. 1941 hatte die Gestapo in der Synagoge an der Levet­zow­straße ein Sammel­la­ger für jüdi­sche Bürger einge­rich­tet. Am Abend des 18. Okto­ber 1941 wurden das erste Mal etwa tausend Juden von der SS zum Bahn­hof Grune­wald getrie­ben, ab dem Früh­jahr 1942 zum Güter­bahn­hof Putlitz­straße, rund zwei Kilo­me­ter, quer durch Moabit. Dieses Schau­spiel, von dem nach­her niemand etwas bemerkt haben wollte, wieder­holte sich in den kommen­den Jahren immer und immer wieder. Etwa 30.000 Menschen traten hier vom Gleis 69 aus in Vieh­wag­gons die letzte Reise ihres Lebens an. Was dach­ten die ande­ren Reisen­den, die am S‑Bahnhof auf ihre Bahn warte­ten und das Schick­sal der jüdi­schen Opfer miter­leb­ten?
Der Bahh­nof Putlitz­straße bestand aus mehre­ren Teilen. Ursprüng­lich hatte er zwei Bahn­steige, der nörd­lich gele­gene, heute noch vorhan­dene, diente dem Verkehr auf der Ring­bahn. Ab 1929 hiel­ten hier die Züge der elek­tri­schen S‑Bahn. Direkt dane­ben befand sich der Bahn­steig der Vorort­bahn (Lehr­ter Bahn). Mit der Zerstö­rung und Still­le­gung des Lehr­ter Bahn­hofs verlor dieser Bahn­steig seine Funk­tion und wurde abge­ris­sen. Direkt hinter den Perso­nen­bahn­hö­fen befand sich der Güter­bahn­hof Putlitz­straße.
Ursprüng­lich hatte der Bahn­hof ein impo­san­tes Empfangs­ge­bäude an der Weddin­ger Seite. Von Moabit aus kam man über einen Holz­steg, der die Gleise über­spannte, zum eigent­li­chen Bahn­hof. Dieser Steg wurde 1913 durch eine erste Stra­ßen­brü­cke ersetzt. Während der gesam­ten 20er Jahren gab es immer wieder Erwei­te­run­gen der Bahn­an­lage, auch in Rich­tung des West­ha­fens.

Das Empfangs­ge­bäude wurde im Krieg schwer beschä­digt, genauso wie die Putlitz­brü­cke. 1966 erfolgte der Abriss der Bahn­hofs­ruine, statt­des­sen entstand ein neues Gebäude direkt auf dem Ring­bahn­steig. Mitte der 70er Jahre wurde der S‑Bahnsteig verlän­gert, ober­halb entstand die neue Putlitz­brü­cke mit einer sechs­spu­ri­gen Straße. Deren Bau machte den Abriss der Nach­krieg­ge­bäude auf dem Bahn­steig nötig. Die gesamte Zugangs­si­tua­tion wurde verän­dert, man erreichte den Bahnhsteig nun über zwei Trep­pen­auf­gänge von der Stra­ßen­brü­cke. Gleich­zei­tig wurde ein Über­gang zum bereits 1961 ange­leg­ten U‑Bahnhof geschaf­fen. Nur wenige Jahre später, 1980, erfolgte mit der Still­le­gung des S‑Bahn-Rings auch die Schlie­ßung des Bhf. Putlitz­straße und der Abriss seiner Anla­gen.
Nach der Wieder­ver­ei­ni­gung Berlin sollte auch die Ring­bahn wieder herge­stellt werden, U- und S‑Bahnhof erhiel­ten nun den Namen »West­ha­fen«. Seit dem 19. Dezem­ber 1999 halten wieder Züge der S‑Bahn, am 16. Juni 2002 begann wieder der durch­ge­hende Zugver­kehr der Ring­bahn.

Auf die dunkelste Vergan­gen­heit des Ortes weist seit 1987 ein stäh­ler­nes Denk­mal hin, das unüber­seh­bar auf der Brücke steht. Seine Form erin­nert an ein Grab­mal, von dem eine Treppe in den Himmel führt. Damit niemand vergisst, wohin von hier aus für viele Menschen die Fahrt ging. Und an der Quit­zow­straße, zwischen Bau- und Super­markt, steht unauf­fäl­lig eine Tafel, die in weni­gen Worten über die Geschichte des Ortes infor­miert.

STUFEN /
DIE KEINE /
STUFEN /
MEHR SIND /
EINE TREPPE /
DIE KEINE TREPPE MEHR IST /
ABGE­BRO­CHEN /
SYMBOL DES WEGES /
DER KEIN WEG MEHR WAR /
FUER DIE /
DIE /
UEBER RAMPEN /
GLEISE /
STUFEN /
UND TREP­PEN /
DIESEN LETZ­TEN WEG GEHEN MUSS­TEN /
VOM BAHN­HOF PUTLITZ­STRASSE /
WURDEN IN DEN JAHREN /
1941 — 1944 /
ZEHN­TAU­SENDE JUEDI­SCHER MITBUER­GER BERLINS /
IN VERNICH­TUNGS­LA­GER /
DEPOR­TIERT /
UND /
ERMOR­DET

Foto: Global Fish / CC BY-SA 3.0

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Piratensender im Bundestag

Was haben Sie geschimpft, Regie­rung und viele Abge­ord­nete, als es um die bösen “Raub­ko­pie­rer” ging. Was hat die Poli­zei nicht alles unter­nom­men, um die Pira­ten­sen­der zu erwi­schen, die die linke Szene in Berlin instal­liert hatte. […]

2 Kommentare

  1. Diese Stele mit den erdrü­cken­den Worten “Gleise-Trep­pen-Rampe” steht an einem klei­nen Pflas­ter­weg (Quit­zow­straße 138). Als ich gestern diesen Weg gegan­gen bin, zu der dama­li­gen Trep­pen-Brücke hin, spürte ich die Ohnmacht der vielen Berli­ner Juden. Sie sahen das letzte Mal berli­ni­sche Häuser. Und sie ahnten wohl, dass sie nie wieder berli­ner Luft atmen würden… Ich bin dank­bar dafür, dass berli­ner Juden diese Stadt für immer (!!) geprägt haben. I wish them all is that they rest in peace.

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