Gehlen, Stasi und Agenten

Schon bald nach 1945 nahmen es die west­li­chen Alli­ier­ten mit der Entna­zi­fi­zie­rung nicht mehr so ernst. Der alte Feind war geschla­gen und es gab mit der Sowjet­union einen neuen, den es nun zu bekämp­fen galt. Da kamen ihnen die erfah­re­nen Gene­räle und Offi­ziere des Dutzend­jäh­ri­gen Reiches ganz recht. Auch so mancher Geheim­dienst­ler wurde in die Reihen des eins­ti­gen Fein­des aufge­nom­men, allen voran Rein­hard Gehlen. Dass alte Nazi­ka­der nun unter den neuen Herren dien­ten, gab es aller­dings nicht nur bei den west­li­chen Alli­ier­ten, in der DDR schaff­ten es einige NSDAP-Mitglie­der sogar bis auf einen Minis­ter­pos­ten.

Rein­hard Gehlens erste Karriere fand im Ober­kom­mando der Wehr­macht statt, hier war er der Leiter der Abtei­lung “Fremde Heere Ost”, also für verant­wort­lich die Sowjet­union. Ganz so sieges­gläu­big wie sein Führer war er offen­bar nicht, und so floh er gegen Kriegs­ende zusam­men mit einige Kame­ra­den und vielen Unter­la­gen von Berlin ins tiefste Bayern. Dort bot er sich chamä­le­on­gleich der einrü­cken­den US-Armee an. Inter­es­sant war Gehlen für den us-ameri­ka­ni­schen Geheim­dienst nicht nur wegen seines Wissens und der Doku­mente, sondern vor allem aufgrund seiner zahl­rei­chen Kontakte in den Osten. Ein Teil seines Spit­zel­netz­werks exis­tierte auch noch nach Kriegs­ende und diente in den folgen­den Jahren als Grund­stock zum Aufbau eines neuen Agen­ten­net­zes. Neben der Zentrale in München-Pullach bekam die “Orga­ni­sa­tion Gehlen” einen Schwer­punkt in West-Berlin. Von hier aus wurden vor allem die Agen­ten in der neu entstan­de­nen SBZ bzw. später der DDR gesteu­ert. Im Auftrag der USA spio­nier­ten die Gehlen-Leute haupt­säch­lich die Trup­pen der Roten Armee aus. Durch die noch offene Grenze war die Orga­ni­sa­tion leicht in der Lage, in Ostdeutsch­land Agen­ten zu führen (so wie es der kommu­nis­ti­sche Geheim­dienst natür­lich auch im Westen tat). Das russi­sche “Volks­kom­mis­sa­riat für Staats­si­cher­heit” (ab 1954 KGB) hielt nach Kräf­ten dage­gen und enttarnte allein in den ersten drei Jahren angeb­lich über 5.000 West-Spione. Immer­hin wurden bis 1950 über tausend Ostdeut­sche wegen Spio­nage hinge­rich­tet. Wie viele dieser Fälle auf wirk­li­che Agen­ten­tä­tig­keit zurück­gin­gen oder einfach nur der gewünsch­ten hohen Erfolgs­quote geschul­det waren, lässt sich heute nicht mehr sagen. Vermut­lich hatten aber die wenigs­tens von ihnen wirk­lich Spio­nage betrie­ben.

Im April 1956 wurde die Orga­ni­sa­tion Gehlen in Bundes­nach­rich­ten­dienst (BND) umbe­nannt, er blieb aller­dings weiter­hin unter der Führung von Rein­hard Gehlen, der erst 1968 in den Ruhe­stand ging. Es wird geschätzt, dass der BND rund 2.000 Kontakt­per­so­nen in der DDR hatte, aller­dings waren nicht alles wirk­li­che Agen­ten. Manch Jugend­li­cher oder sozial abseits Stehen­der wurde ange­spro­chen und mit weni­gen Mark dazu verlei­tet, Infor­ma­tio­nen über Trup­pen­be­we­gun­gen oder Ausrüs­tung der russi­schen Armee im Osten zu sammeln. Sie wurden gnaden­los verheizt. Doch es gab auch andere Kali­ber, wie die Sekre­tä­rin des DDR-Minis­ter­prä­si­den­ten Otto Grote­wohl. Ihr gelang es über eine lange Zeit, wich­tige Doku­mente an den BND weiter­zu­ge­ben, obwohl sie mindes­tens drei Jahre lang von der Stasi beob­ach­tet wurde. Schließ­lich aber erhielt auch sie die Todes­strafe.

Die östli­chen Geheim­dienste versuch­ten mit allen Mitteln, die Arbeit des BND auf ihrem Terri­to­rium zu verhin­dern. Dazu gehörte auch das “Umdre­hen” von Geheim­dienst­lern, die fortan als Doppel­agen­ten auch für die Staats­si­cher­heit arbei­ten soll­ten.
Einer dieser Leute war Wolf­gang Höher. Der eins­tige Wehr­machts­ma­jor war bereits in russi­scher Gefan­gen­schaft vom kommu­nis­ti­schen Geheim­dienst ange­wor­ben worden. Zurück in Deutsch­land diente er sich der West-Berli­ner Filiale des Bundes­nach­rich­ten­diens­tes an, wo er schon 1951 Agen­ten­füh­rer wurde. Er machte seine Arbeit so gut, dass er nach einem Jahr zum Verant­wort­li­chen für die Spio­na­ge­ab­wehr aufstieg. Bald wurden so viele west­li­che Agen­ten in der DDR enttarnt, dass Höher beim BND unter Verdacht geriet. 1953 fingierte er seine eigene Entfüh­rung in den Osten und erst Jahr­zehnte danach wurde bekannt, dass dies alles ein getarn­ter Abzug des Agen­ten war.

In dieser Zeit versuchte das MfS1, mehrere BND-Leute in West-Berlin für sich zu gewin­nen. Bei Hans-Joachim Geyer waren sie erfolg­reich. Der nur 1,60 Meter große, unschein­bare Mann war als Kimi­nal-Schrift­stel­ler Henry Troll recht erfolg­reich. Er lebte zwar in Ost-Berlin, verkaufte aber vorwie­gend im Westen. 1952 warb ihn der BND an und Geyer hatte bald das Vertrauen seiner Vorge­setz­ten. Schließ­lich wurde er verant­wort­lich für die Bewach­tung des Holz­schran­kes, in dem die Akten von etwa 100 BND-Agen­ten in der DDR lagen. Wann genau Geyer von der Stasi umge­dreht worden ist, weiß man nicht. Als er jedoch durch einen Zufall enttarnt wurde und nach Ost-Berlin flüch­tete, wurden die meis­ten seiner 60 verra­te­nen Ex-Kame­ra­den verhaf­tet. Bei einer Pres­se­kon­fe­renz präsen­tierte sich Geyer in Ost-Berlin als reuiger Gehlen-Mann: “Mit dem heuti­gen Tag”, las Geyer aus einem Skript vor, “habe ich mit meiner verbre­che­ri­schen Tätig­keit gebro­chen und über­gebe zum Zeichen meiner Aufrich­tig­keit alle Geheim­do­ku­mente der Dienst­stelle X/9592 den Sicher­heits­or­ga­nen der DDR.”

Geyers Verrat zog noch die Verhaf­tung eines weite­ren West-Berli­ner BND-Mannes nach sich: Werner Haase hatte mit einem seiner Agen­ten zur besse­ren Kommu­ni­ka­tion ein Tele­fon­ka­bel zwischen Trep­tow und Neukölln vorbe­rei­tet. Doch sein Mann gehörte zu denje­ni­gen, die von Geyer verra­ten worden waren und die Stasi hatte ihn umge­dreht. Als im Novem­ber 1953 das Kabel instal­liert werden sollte, wurde Haase auf der west­li­chen Seite von MfS-Leuten über­wäl­tigt und nach Ost-Berlin entführt. Hier erhielt er eine lebens­lange Haft­strafe, aller­dings wurde er drei Jahre später gegen einen DDR-Spion ausge­tauscht.

Wenn das Umdre­hen nicht klappte, wandte die Staats­si­cher­heit gerne das Mittel der Entfüh­rung an. So auch bei Wilhelm van Ackern, einem Kolle­gen von Werner Haase. Er hielt sich vorsichts­hal­ber immer von der Sekto­ren­grenze fern und reiste auch nie in die DDR. Als die Stasi im Früh­jahr 1955 die “Aktion Blitz” star­tete, bei der rund 500 vermeint­li­che Agen­ten verhaf­tet wurden, schlu­gen sie auch in West-Berlin zu. Am Abend des 24. März traf er sich in der Kreuz­ber­ger Gnei­sen­au­straße mit dem Infor­man­ten Fritz Weid­mann, der ihm angeb­lich mili­tä­ri­sche Unter­la­gen der NVA2 über­ge­ben wollte. Weid­mann bot Van Ackern einen Kaffee an, der jedoch mit KO-Trop­fen verseucht war. Kurz nach­dem er zusam­men­ge­klappt war, brachte ein Kommando Van Ackern nach Ost-Berlin, wo er zu einer langen Haft­strafe verur­teilt wurde. Erst nach neun Jahren durfte er das Gefäng­nis in Rich­tung West-Berlin verlas­sen.

In der DDR gab es gegen die Orga­ni­sa­tion Gehlen bzw. den Bundes­nach­rich­ten­dienst natür­lich eine breite Agita­tion. Der Dienst wurde als Nach­folge-Orga­ni­sa­tion der Gestapo hinge­stellt, und tatsäch­lich waren im Laufe der Jahre zahl­rei­che eins­tige Nazi-Geheim­dienst­ler und SS-Mitglie­der dort unter­ge­kom­men. Die Haupt­auf­gabe des BND war die Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung, doch in der DDR-Presse wurde behaup­tet, dass er auch für Sabo­ta­ge­ak­tio­nen und Spreng­stoff­an­schläge verant­wort­lich gewe­sen sei. Dafür gibt es jedoch bis heute keine Belege, man kann davon ausge­hen, dass das reine Propa­ganda war.

Während der Bundes­nach­rch­ten­dienst in den späte­ren Jahren immer weni­ger Infor­ma­tio­nen in der DDR sammeln konnte, war er anfang doch sehr erfolg­reich. So bele­gen Doku­mente heute, dass er schon vier Wochen vor dem Mauer­bau 1961 einen Bericht anfer­tigte, in dem vor der tota­len Abrie­ge­lung West-Berlins gewarnt wurde. Ende Juli konnte der Dienst sogar konkrete Maßnah­men berich­ten, trotz­dem glaub­ten es weder die Bundes­re­gie­rung, noch der West-Berli­ner Senat. Bis zum frühen Morgen des 13. August 1961.

Mit dem Mauer­bau gestal­tete sich für den BND die Agen­ten­tä­tig­keit in der DDR weit­aus schwie­ri­ger. Trotz­dem gelang es ihm noch einige Jahre, die Struk­tu­ren wenigs­tens teil­weise aufrecht zu erhal­ten, wenn er auch für die Kommu­ni­ka­tion andere Wege orga­ni­sie­ren musste. Dies gelang unter ande­rem mit chif­frier­ten Funk­sprü­chen, wie sie übri­gens auch die Staats­si­cher­heit für die Kommu­ni­ka­tion mit ihren Agen­ten im Westen nutzte.
Und wer im Radio eine bestimmte Frequenz einstellte konnte diese Sprü­che stun­den­lang hören. Aber wahr­schein­lich nicht verste­hen: “1288 1288 9865 9865 3448 3448 7026 7026 1986 1986 0337 0337 8277 8277 8462 8462 4984 4984” usw.

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  1. DDR-Minis­te­rium für Staats­si­cher­heit []
  2. Natio­nale Volks­ar­mee der DDR []

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1 Kommentar

  1. Inter­es­sant finde ich die Behaup­tung über Wolf­gang Höher. Mir sind leider noch keine Doku­mente unter­ge­kom­men, die diese Behaup­tung eindeu­tig stüt­zen. J.H. Critch­field behaup­tet dies zwar, bleibt aber den Beweis schul­dig. Unter­la­gen des MfS stüt­zen die Entfüh­rungs­these, andere Publi­ka­tio­nen eben­falls. Soll­ten Sie Inter­esse haben, kontak­tie­ren Sie mich doch bitte, da ich zu dieser Person forsche.

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